Schliesse die Augen und stelle die eine Weltkarte vor.
Na, was siehst du vor deinem inneren Auge?
Bei den meisten von uns zeichnet sich das selbe Bild der Welt ab: Am linken Rand befindet sich Nord- und Südamerika, im Zentrum liegt Europa, darunter Afrika und am rechten Bildrand, also im Osten, liegen Asien, Australien und Neuseeland.
So sehen Weltkarten oft aus.
Aber wie sieht die Welt wirklich aus?
Das kannst du mit der interaktiven Webseite WorldMapGenerator.com auf spielerische Weise selbst entdecken. Wir haben das Online-Tool ausprobiert und mit der Schweizer Entwicklerin gesprochen.
Die Weltkarten, wie wir sie im Kopf haben, führen uns unweigerlich an der Nase herum. Sie sind immer auf die eine oder andere Weise falsch, da man eine Kugeloberfläche unmöglich wirklichkeitsgetreu auf einer zweidimensionalen Karte abbilden kann. Entweder stimmt die Form der Länder und Kontinente, dafür sind die Flächen verzerrt. Oder die Flächen sind korrekt dargestellt – auf Kosten der richtigen Form.
Länder in Polnähe erscheinen daher oft als gigantische Flächen.
Ein Beispiel:
Heute werden Weltkarten oft gleich dargestellt: Nordamerika und Russland im Norden erscheinen als Riesen, während Afrika oder Indonesien in Äquatornähe vergleichsweise viel zu klein abgebildet sind. Dies verzerrt unweigerlich unser Weltbild.
Hier kommt die Webseite WorldMapGenerator.com ins Spiel. Mit dem kostenlosen Online-Tool aus der Schweiz lassen sich binnen Minuten unkonventionelle Weltkarten gestalten, so wie du sie vermutlich noch nie zuvor gesehen hast. Seit Ende Februar ist die überarbeitete Version online.
Die Absicht des Entwickler-Teams: Der WorldMapGenerator soll uns die Vielfalt möglicher alternativer Weltkarten vor Augen führen. Bei klassischen Weltkarten orientiert sich die horizontale Bildmitte meist am Äquator. Auf WorldMapGenerator.com lässt sich ein beliebiger Ort auf der Erde als Zentrum festlegen. Das kann beispielsweise so aussehen:
Unsere gewohnte Weltkarte ist durch Normen und Konventionen so eingeübt, dass wir kaum in der Lage sind, unkonventionelle Weltkarten zu interpretieren. «Die mittels WorldMapGenerator generierten Weltkarten sind schwieriger zu lesen», sagt die Designerin und Karten-Expertin Julia Mia Stirnemann. Doch wer mit dem Karten-Tool experimentiert, bekommt ein Gefühl dafür, dass es eine Frage der gewählten Abbildung der Kugeloberfläche auf einer zweidimensionalen Karte ist, wie wir unsere Welt wahrnehmen.
«Jede Epoche und Kultur bringt einzigartige Weltkarten hervor, welche die Weltanschauung und die Bedürfnisse jener Zeit repräsentieren», sagt Stirnemann. Für die Schifffahrt bzw. Navigation auf den Weltmeeren mussten die Karten beispielsweise winkeltreu sein. Dass dabei die Flächen von Ländern verzerrt wurden und auch auf unseren heutigen Karten verzerrt dargestellt werden, war sekundär.
Das Problem: Mit konventionellen Karten werden immer die gleichen Regionen unvorteilhaft dargestellt, was unser verzerrtes Bild der Welt zementiert. Mit dem WorldMapGenerator können gezielt andere Regionen vorteilhafter abgebildet werden. «Diese Vielfalt an Weltkarten prägt dann auch nicht eine einziges Weltbild», sagt Stirnemann. Sie hat die erste Version des Karten-Tools im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Hochschule der Künste in Bern (HKB) entworfen und nun mit dem Web-Entwickler Rouven Bühlmann weiterentwickelt.
Mit der vollständig überarbeiteten Version des WorldMapGenerators lassen sich spielend leicht eigene Weltkarten generieren, die unsere durch Google Maps und den «Schulatlas» verinnerlichte Vorstellung von der Erde grundlegend in Frage stellen. Die selbst erstellten Weltkarten können als Bild-Datei heruntergeladen, geteilt oder weiterbearbeitet werden.
Ein Beispiel: In einem Schulatlas in der Schweiz ist Europa das Zentrum der Welt, in den USA ist es Amerika und in Australien entsprechend Ozeanien. Mit dem WorldMapGenerator kann man jedes beliebige Land ins Zentrum der Welt rücken, wie das folgende GIF zeigt.
Es gibt Dutzende Versuche, die kugelförmige Erde auf einer Ebene abzubilden. Die wichtigsten Projektionen können mit dem Online-Kartentool ausprobiert werden. Drei Beispiele:
Die Mercator-Projektion des deutschen Kartographen Gerhard Mercator von 1569 zeichnet sich durch eine hohe Winkeltreue aus, was insbesondere für die Schifffahrt bzw. Navigation zentral war. Mit seiner Karte konnte erstmals ein gesteuerter Kurs als Gerade eingezeichnet werden. Populär ist die Mercator-Projektion auch, weil sie die Formen von Ländern – zumindest lokal betrachtet – kaum verzerrt. Sie eignet sich somit auch für kleinräumige Karten, beispielsweise zur Landesvermessung.
Für die Form- und Winkeltreue muss unsere gewohnte Landkarte (Mercator-Projektion) aber einen hohen Preis zahlen: Die Flächen werden verzerrt. Äquatornahe Länder werden viel kleiner als polnahe Gebiete dargestellt, so dass sich die wahre Grösse von Ländern schlecht vergleichen lässt.
Bekannt ist auch die flächen-, aber nicht winkeltreue Mollweide-Projektion von 1805, welche die gesamte Erdoberfläche als Ellipse darstellt. Die Darstellung wird insbesondere für klimatologische und biologische Karten (z.B. Klima-Zonenmodelle) genutzt, für die genaue Flächen erforderlich sind.
Die kegelförmige Albers-Projektion von 1806 ist ebenfalls eine flächentreue Kartenabbildung. Kontinente erscheinen also so gross, wie sie wirklich sind. Sie wird mehrheitlich für regionale Abbildungen, selten jedoch für Weltkarten verwendet.
«Heutzutage besteht eine Vielfalt verschiedener Projektionen, die je nach Verwendungszweck eingesetzt werden», sagt Stirnemann. Denn Weltkarten sind nicht per se richtig oder falsch, jede Karte hat ihre spezifischen Vor- und Nachteile. Die Wahl der Projektion hängt u.a. davon ab, welche Regionen wir möglichst gut darstellen möchten, ob wir etwas gross- oder kleinräumig betrachten und ob Fläche-, Form- oder Winkeltreue wichtiger sind.
Der WorldMapGenerator macht dies auch für Laien leichter verständlich. Er zeigt, dass alternative Darstellungsmöglichkeiten für Weltkarten genau so gut oder schlecht sind wie die gängige Mercator-Abbildung.
Auf der generierten Map lassen sich so genannte Geolayers einzeln ein- und ausblenden: Seen, Länder, Ozeane etc. Auch das Aussehen der Karte (Farbe) lässt sich verändern, wobei die Karte immer auf einer abstrakten Ebene bleibt, also keine Details zeigt.
Die individuell erstellte Weltkarte kann schliesslich als Bilddatei heruntergeladen oder im Internet geteilt werden.
Weltkarten sehen meist ähnlich aus, damit man sie gut versteht. Äquator in der Mitte, Wasser blau etc. Warum sollte man eine unkonventionelle Weltkarte erstellen, die schlechter interpretierbar ist?
Julia Mia Stirnemann: Richtig, wir sind durch die herkömmlichen Weltkarten und unsere Sehgewohnheiten an konventionelle Weltkarten gewohnt, und können sie darum gut interpretieren. Die mittels WorldMapGenerator generierten Weltkarten sind zwar schwieriger zu lesen, aber man ist frei, eine beliebige Zentrierung mit einer beliebigen Projektion zu kombinieren. Daher können bestimmte Regionen oder geografische Zusammenhänge vorteilhafter abgebildet werden.
Was ist das Problem einer konventionellen Weltkarte?
Konventionelle Karten bringen dieselben Verzerrungen an denselben geografischen Regionen hervor. So ist etwa die Antarktis in die Breite gezogen und Grönland ist viel zu gross dargestellt. Zum einen stellt die konventionelle Weltkarte also immer dieselben Regionen unvorteilhaft dar, zum anderen manifestiert sie eine Weltanschauung, die für unsere Vorstellung der Welt verantwortlich ist.
Welche Absicht steht hinter dem WorldMapGenerator?
Der WorldMapGenerator macht den User mit der Thematik vertraut und er kann selber eine Weltkarte generieren. Ich hoffe, die Nutzenden hinterfragen dabei die konventionelle Weltkarte und die damit verbundene konventionelle Weltanschauung. Der WorldMapGenerator plädiert für eine Vielzahl unterschiedlicher Abbildungen statt für eine vorherrschende Weltkarte.
Was beeinflusst, wie Weltkarten aussehen?
Es sind verschiedene Einflüsse für die verschiedenen Weltkarten und Weltanschauungen verantwortlich; etwa der Wissensstand über geografische Gegebenheiten oder auch machtpolitische Umstände, durch deren Einwirkung bestimmten Regionen mehr Relevanz beigemessen wird als anderen.
Im Laufe der Geschichte und bis heute gibt es immer wieder neue Weltkarten bzw. Projektionen. Warum eigentlich?
Seit jeher machen sich Menschen ein Bild der Welt, das mit dem Zeitgeist in dem sie leben korreliert. Dieses ‹Bild der Welt› widerspiegelt die Umstände und Denkweisen ihrer Zeit. So bringt jede Epoche einzigartige Weltkarten hervor, welche die Weltanschauung jener Zeit repräsentieren.
In der Geschichte wurden zudem mathematisch-geometrischen Aspekten mal mehr oder weniger Relevanz beigemessen. Mittelalterliche Darstellungskonventionen sind beispielsweise nicht mehr durch eine Projektion im mathematischen Sinne bestimmt.
Und heute?
Heute ist die mathematische Herleitung von der Kugeloberfläche in die Ebene keine Herausforderung mehr, die Geografie der Erde ist vermessen und bekannt. Wir haben eine Vielfalt an Projektionen und Kartennetzentwürfen, die je nach Verwendungszweck eingesetzt werden können. Jedoch sind in der Geschichte Konventionen gewachsen, die verantworten, dass wir die Welt immer in einer ähnlichen Art und Weise darstellen und die Vielfalt an Projektionen kaum ausschöpfen.
Ihr habt nun die dritte Version des Online-Karten-Tools lanciert. Was ist neu?
Es gibt eine völlig neue Benutzeroberfläche. Die erstellten Weltkarten können nun auch mit allen Geolayers als Vektor-Daten exportiert und weiter bearbeitet werden. Und zusätzlich kann man den WorldMapGenerator bzw. die Welt auch anhand der Reisen von Forscherinnen und Abenteurern, etwa des Polarforschers Roald Amundsen, entdecken.
Du beschäftigst dich seit zehn Jahren mit Weltkarten. Was macht die Faszination aus?
Ja das ist verrückt und ich hätte das vor zehn Jahren wohl nie gedacht. Weltkarten und die damit verbundenen Themen sind enorm spannend und vielschichtig. Soziokulturelle Fragen rund um Weltkanschauungen treiben mich schon seit jeher um, politische Fragen rund um Machtzentren bleiben top aktuell. Die historische Auseinandersetzung mit Weltkarten ist unglaublich vielschichtig und gleichzeitig bewegt sich die derzeitige Kartografie und Projektionslehre immer weiter.
Die Webseite WorldMapGenerator.com ist seit Ende Februar in der überarbeiteten Version online.
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