Wie ist das Leben an der Seite eines depressiven Ehemanns? Wie verhält sich ein Psychiater bei der Therapie? Filme bieten Einblicke in das für viele Menschen unbekannte Terrain der psychischen Erkrankungen. Doch nicht immer zeichnen die Drehbuchautoren ein realistisches Bild von Angststörung, Schizophrenie oder Sucht.
Von Hannibal Lecter aus «The Silence of the Lambs» bis zum Joker aus «The Dark Knight»: Psychisch Kranke treten meist in Krimis oder Thrillern auf, oftmals sind sie dort die Reinkarnation des Bösen. Allein vom Klassiker «Dr. Jekyll and Mr. Hyde» gibt es fast zwei Dutzend Verfilmungen, kritisiert das britische Anti-Stigma-Projekt Time to Change. Die Botschaft der Filme: In einem Menschen schlummern zwei Persönlichkeiten, die gesunde gute und die irre bösartige.
Eine Untersuchung der deutschen Dramaturgin Eva-Maria Fahmüller vom Verband der Film- und Fernsehdramaturgie zeigte, dass selbst renommierte Sendungen wie der «Tatort» oder «Polizeiruf» sowie Filme, die für den Grimme-Preis nominiert wurden, Klischees bedienen. In der Hälfte der 24 Krimis, in denen Menschen mit schweren psychischen Problemen auftauchten, waren sie der Täter, in sechs weiteren zumindest die verdächtigte Person.
«Hartnäckig hält sich in Spielfilmen das Stereotyp des gewalttätigen und unberechenbaren psychisch Gestörten», sagt der Psychiater Wolfgang Gaebel, Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit und Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni Düsseldorf. Dabei sei eine psychische Erkrankung weder eine Voraussetzung noch alleinige Ursache von Gewalttätigkeit. Die Folge solcher Darstellungen: Menschen sind gegenüber psychisch Erkrankten argwöhnisch, halten Abstand.
Eine psychiatrische Diagnose ist noch immer ein Stigma, das viele davon abhält, sich helfen zu lassen. Betroffene fürchten, von ihren Mitmenschen den Stempel «Verrückt» aufgedrückt zu bekommen. Filme sind daran nicht unschuldig. «Im guten wie im schlechten Sinne tragen Film und Fernsehen einen grossen Teil dazu bei, wie die Öffentlichkeit psychisch Kranke und die, die sie behandeln, wahrnimmt», sagt der Psychiater Steve Hyler von der Columbia University in Ohio, USA.
Seelenkundler in Hollywood-Produktionen sind vor allem männlich und verhalten sich unethisch, so das Ergebnis einer Analyse von 106 Filmen, in denen Psychotherapie-Szenen vorkamen. Fast die Hälfte aller Behandler beginnt entweder mit seinem Schützling eine Affäre, ist anzüglich oder überschreitet andere Grenzen, wie etwa sich nicht an die Schweigepflicht zu halten. Ebenso viele fallen der Studie zufolge durch ihre Inkompetenz auf.
Die Psychologen Danny Wedding und Ryan Niemiec ergänzen in ihrem Buch «Movies and Mental Illness» weitere Klischees: Wissenschaftliche Erkenntnisse spielen für Hollywood-Therapeuten demnach meist keine Rolle. Psychoanalyse ist weiterhin die dominierende Behandlungsmethode. Die Filme unterscheiden zudem nicht zwischen Medizinern und Psychologen.
Die Darstellung von Psychotherapie und Miteinander zwischen Therapeut und Patient in vielen Blockbustern kann zudem Ängste wecken – oder falsche Hoffnungen. Zwangsjacken, Elektroschocks zur Strafe oder aufgezwungene Gehirn-Operationen: Filme, die in der Psychiatrie spielen, schockieren oftmals. Die Verfilmung von «Shutter Island» mit Leonardo DiCaprio oder der Filmklassiker «One Flew Over the Cockoo's Nest» mit Jack Nicholson zeichnen ein düsteres Bild von der psychiatrischen Versorgung. Mit der Realität in den meisten westlichen Ländern haben sie aber schon lange nichts mehr zu tun.
Dem entgegen stehen Filme, in denen zu positive Erwartungen geweckt werden. Manchmal geht es den Patienten schon dank einer Pille oder Spritze besser. Der Psychotherapeut ist immer und überall erreichbar wie etwa in «Good Will Hunting» – in einer normal laufenden Praxis nur schwer möglich. Ebenso wirkt Psychotherapie in den Filmen oft nicht wie im wirklichen Leben Schritt für Schritt, sondern es gibt meist einen Moment des Durchbruchs, nachdem der Patient plötzlich geheilt ist. Nicht selten ist allein Liebe das rettende Wundermittel wie etwa in dem Neunzigerjahre-Streifen «Benny & Joon» mit Johnny Depp.
Dennoch gibt es zunehmend Lichtblicke: Experten loben etwa den Film «Silver Linings» über Bipolare Störungen mit der Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence oder Mel Gibsons Darstellung von einem depressiven Mann in «Beaver» für ihre Realitätsnähe. Zudem arbeiten Drehbuchautoren, Regisseure und Schauspieler inzwischen häufiger mit Betroffenen zusammen. An dem Film über den an Schizophrenie erkrankten Wirtschaftswissenschaftler John Nash
«A Beautiful Mind» und an der Mafia-Komödie «Analyze This» mit Billy Crystal und Robert De Niro haben Psychologen mitgewirkt. Leonardo DiCaprio verbrachte zur Vorbereitung auf seinen Film «The Aviator» viel Zeit mit Menschen, die wie die Hauptfigur an einer Zwangserkrankung leiden.Unter diesen Vorzeichen können Filme wichtige und hilfreiche Informationsquellen sein. Das betonen auch die Buchautoren Wedding und Niemiec: «Filme sind ein machtvolles Medium - um Studenten auszubilden, Patienten einzubeziehen und die Öffentlichkeit über die faszinierende Welt der Psychopathologie aufzuklären.»