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Das Tal ist eng, grün, schattig. Strom gibt es keinen. Menschen auch keine. Oder doch? Es wird nur im Sommer bewohnt, jetzt ist doch Sommer? Das Bavonatal ist ein kleines Nebental des hinteren Maggiatals. Es sieht aus, als sei hier seit 500 Jahren kein neues Haus mehr gebaut worden. Es sieht aus, als seien hier Märchen geschrieben worden. Oder Filme gedreht.
Plötzlich wird es weit, 110 Meter tief fällt Wasser von den Felsen. Davor: das uralte Dorf Foroglio. Zuvorderst in Foroglio: die Osteria La Froda mit ihren uralten Polenta-Rezepten. Und vor alledem: ein Parkplatz mit einem leeren Calanda-Bier-Stand.
Die Einheimischen sind scheu, aber sie bieten Dinge zum Verkauf: gestrickte Socken für 36 Franken, Honig, immer und überall gibt es Honig, Traumfänger, bunt bemalte Dekor-Echsen, die aussehen, als hätten sie die Höhlen-Hippies von Gomera schon einmal für 2 Franken verkauft. In Foroglio kosten sie 38.
Hinter dem Dorf führt ein Weg über Wurzeln und Steinblöcke. Nach zehn Minuten steht man vor dem lauten, riesigen Wasser und blickt auf einen Steinzacken, an dem tatsächlich einmal ein Filmstar stand. Leni Riefenstahl. 1931.
Hier, in Foroglio, dreht die 29-Jährige die ersten Szenen ihrer ersten Regiearbeit. Vorher ist sie als Schauspielerin bekannt geworden. Als toughster Schneehase des deutschen Bergfilms. Sie hat die «Weisse Hölle am Piz Palü» bezwungen oder die «Stürme über dem Mont Blanc». Und dann kommt sie ins Bavonatal.
Nun ist die Osteria La Froda stolz darauf, bereits seit 1928 zu existieren. Und auch darauf, dass die Riefenstahl und ihre Crew gute Kunden gewesen sind: «Als die Truppe abgereist war, kehrte die Osteria zu ihrem ruhigen Leben zurück», heisst es auf der Homepage des Restaurants. Erst nach Abreise des Filmteams habe es für die normalen Wasserfall-Touristen wieder offen gestanden. Leider erinnert sich Riefenstahl in ihren «Memoiren» nicht an die Tessiner Wirte:
Der schier menschenleere, unbewirtete Ort erlaubt maximale Konzentration auf die Arbeit. Auf die ersten Aufnahmen eines Filmprojekts mit dem Titel: «Das blaue Licht». Regie, Hauptrolle, Drehbuch: Leni Riefenstahl. Co-Star: der Wasserfall.
Die Geschichte: eine Art Pocahontas der Berge rennt in fahrlässig zerrupften Kleidern Felswände hoch und durch den Wasserfall. Sie ist die Hüterin einer Kristallgrotte. Wenn ein Einheimischer versucht, zu den Steinen zu gelangen, stürzt er zu Tode. Doch dann verliebt sich das wilde Kind, die Grotte wird plötzlich zugänglich und von raffgierigen Bauern geräumt.
Geschändete Grotte und unrein gewordene Frau sind symbolisch gesehen natürlich eins, deshalb bleibt der Frau nichts anderes übrig, als sich mit einem letzten Kristall vom Felsen zu stürzen.
Doch der Sturz in die Tiefe wird erst das Finale sein. So weit ist das Filmteam in jenen ersten Tagen in Foroglio noch lange nicht. Noch haben sie kein Geld. Bloss ihren gemeinschaftlichen Enthusiasmus.
Und dann: das Wunder. Berlin ist überwältigt. «Nie gesehene Bilder», kommt ein Telegramm zurück. Die Wasserfall-Szenen führen direkt zur Finanzierung des Films, jetzt ist alles möglich, mehr Technik, Studioaufnahmen, Drehtage in den Dolomiten. Natürlich ist «Das blaue Licht» mit seiner Mär von bedrohter Reinheit, bösen Eindringlingen und einem Ehrentod ein Blueprint für die nationalsozialistische Ideologie.
Die Filmpremiere am 24. März 1932 in Berlin wird «ein Triumph, den ich mir nie erträumt hatte». Aus Hollywood schicken Charlie Chaplin und Douglas Fairbanks Fanpost. Am soeben gegründeten Filmfestival von Venedig wird «Das blaue Licht» zum zweitbesten Film gekürt. Riefenstahl soll als nächstes in Grönland «S.O.S. Eisberg» drehen, die Produktionsfirma will ihr zwei Eisbären aus dem Hamburger Zoo mitgeben. Aber auch der Vatikan meldet sich, sie soll die katholische Kirche möglichst mystisch und erhaben darstellen.
Sie selbst will vor allem eins: Hitler kennenlernen. Denn als sie ihn zum ersten Mal reden sieht, ist ihr «als ob sich die Erdoberfläche vor mir ausbreitete – wie eine Halbkugel, die sich plötzlich in der Mitte spaltet und aus der ein ungeheurer Wasserstrahl herausgeschleudert wurde, so gewaltig, dass er den Himmel berührte und die Erde erschütterte.»
Am 18. Mai 1932 schreibt sie ihm einen Brief. Fünf Tage später darf sie ihn an der Nordsee besuchen. Sie spazieren am Strand, er gesteht ihr, dass ihn noch nie etwas so sehr beeindruckt habe wie «Das blaue Licht». Die Riefenstahl unter dem Wasserfall, das war sein Augenorgasmus.
Dann sagt er: «Wenn wir einmal an die Macht kommen, dann müssen Sie meine Filme machen.» Sie ist 29, er 43. Er zieht sie an sich, schaut ihr «erregt» in die Augen, sie darüber «bestürzt». «Als er merkte, wie abwehrend ich war, liess er mich sofort los. Er wandte sich von mir ab, dann sah ich, wie er die Hände hob und beschwörend sagte: ‹Ich darf keine Frau lieben, bis ich nicht mein Werk vollendet habe.›» 1933 übernimmt er die Macht, und sie macht seine Filme. Wird die Reichsfilmregisseurin.
Sie dreht die Propagandafilme «Der Sieg des Glaubens» und «Triumph des Willens» über die Reichsparteitage der NSDAP in Nürnberg, «Tag der Freiheit – Unsere Wehrmacht» und den Zweiteiler «Olympia». Als Filmerin ist sie ein Übertalent. Als Mensch ein Übernazi. Hitlers Bildmaschine.
Leni Riefenstahls Memoiren sind längst vergriffen. Zwar bestätigen Historiker die Korrektheit von allem, was sie über ihre Filme schreibt. Ihre Geschichte mit Hitler aber, dessen Geliebte sie höchst wahrscheinlich und dessen Seelenverwandte sie unbedingt gewesen ist, dimmt sie darin auf eine reine Bekanntschaft herunter. Es hat ihr nicht geholfen: Bis zu ihrem Tod mit 101 Jahren blieb sie Hitlers makelloseste Propagandistin.
Zum Anderen: ich habe mich über die Bilder meines langjährigen Lieblingstals (wo ich immer wieder mal bin), das Val Bavona, sehr gefreut, wo ich auch die Wirtsleute der La Froda in Foroglio gut kenne, auch in all den Jahren öfters gegessen habe, zum Nachtisch die leckere "Torta di Pane" 😋!
Erstaunt war ich lediglich, dass ich bis heute keine Ahnung hatte, dass "Das blaue Licht", den ich nie gesehen habe, dort gedreht wurde 😳!