In Schweizer Spitälern gibt es eine Legende: Sie handelt von einer Intensivmedizinerin, die trotz ständigem Kontakt mit Covid-Patienten während mehr als zwei Jahren Pandemie nie infiziert wurde. Trotz wöchentlicher Tests soll sie immer negativ geblieben sein, selbst als ihr Partner mit Fieber zu Hause im Bett lag und Pflege bedurfte. Das Virus hat offenbar gegen das Immunsystem der Frau einfach keine Chance.
Ähnliches vermuten auch Tausende andere Menschen von der Virenabwehr ihres Körpers, weil sie sich trotz grösstem Risiko und regelmässiger Exposition nie mit dem Coronavirus infizierten.
Die Existenz eines solchen Super-Immunsystems zu beweisen, ist allerdings schwierig, weil sehr viele Menschen infiziert werden, ohne Symptome zu bemerken und sich testen zu lassen. Normalerweise würde man diese Leute mit einem Antikörper-Test verlässlich identifizieren können. Auf dem individuellen Level und wegen der Impfung, die Geimpfte ebenfalls Antikörper produzieren lässt, ist das aber nicht so einfach möglich.
Die neuste Studie aus dem Kanton Genf fand bei 94 Prozent der Untersuchten Covid-Antikörper im Blut. Dabei liessen sich diese mit speziellen Methoden bei mehr als zwei Dritteln auf eine Infektion mit dem Virus zurückführen.
Weil aber nur etwa 90 Prozent der Infizierten genug Antikörper bilden, um messbar zu sein, lässt sich nicht genau sagen, wie viele Menschen tatsächlich nie Covid hatten. Der Blick in frühere Epidemien zeigt allerdings, dass es wahrscheinlich ist, dass eine genetisch bedingte Immunität gegen bestimmte Varianten des Coronavirus existiert.
Schliesslich gibt es zahlreiche Menschen, die wegen ihres Erbguts gegen andere Viren immun sind. So hat etwa jeder zehnte Europäer eine genetische Immunität gegen HIV, was durch eine Mutation in den Genen unserer Vorfahren erklärt wird.
Als vor ein paar Hundert Jahren Pest und Pocken in Europa wüteten, kamen Kinder mit einer Mutation im CCR5-Gen zur Welt. Die Abwehrzellen dieser Neugeborenen hatten wegen der Mutation ein Protein weniger im Körper, das nicht mehr in die Membran ihrer Zellen eingebaut wurde. Das war in jener Zeit kein Nachteil, sondern ein Vorteil, weil Pockenviren und Pestbakterien Zellen mit dem CCR5-Protein leichter befallen können.
Die Kinder überlebten häufiger als jene ohne Mutation und vererbten ihre Genvariante an bis zu zehn Prozent der heute lebenden Europäer. Und wie Forscher herausfanden, macht das veränderte Gen zufällig auch gegen HIV immun.
Doch leider hat die Immunität einen Preis. Eine amerikanische Studie konnte zeigen, dass ein mutiertes CCR5-Gen mit einer verkürzten Lebenserwartung assoziiert ist.
Und weiter ist diese Mutation zusammen mit anderen in CCR-Genen für einen besonders schweren Verlauf bei Covid-Infektionen verantwortlich. Besonders häufig kommen die Varianten im Erbgut von Menschen mit europäischem Hintergrund vor – denn sie sind das genetische Erbe von Neandertalern.
Ähnliche Phänomene lassen sich auch in Afrika beobachten: Dort lebende Menschen sind in grosser Zahl gegen eine Infektion mit Malaria immun. Dafür leiden sie unter der Sichelzellanämie, einer Erbkrankheit, welche die Form von Blutkörperchen verändert und mit akuten Schmerzen und Angstzuständen verbunden ist. Eine Immunität gegen Covid wäre wegen dieser Gründe womöglich auch mit Nachteilen verbunden.
Genetiker von der Forscherinitiative «Covid Human Genetic Effort» suchen aber gerade fieberhaft nach einem Beweis für die Existenz der genetischen Covid-Immunität. Laut Jean-Laurent Casanova von der Rockefeller-Universität in New York sieht es gar nicht so schlecht aus: Mutierte ACE-2- Rezeptoren in Zellen der Lunge seien vielversprechende Kandidaten, um einen Eintritt des Virus in Zellen zu verhindern, erklärte der Forscher gegenüber dem National Geographic.
Auch die genetisch determinierte Blutgruppe scheint einen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko zu haben. Menschen mit Blutgruppe 0 erleiden seltener schwere Verläufe, laut neueren Erkenntnissen liegt das aber nicht an der Blutgruppe selbst. Sondern daran, dass eine Übertragung des Virus von Kranken auf Menschen mit der gleichen Blutgruppe häufiger ist. Und Menschen mit 0 im Gegensatz zu den anderen nur mit Patienten der gleichen Blutgruppe kompatibel sind.
Als Eintrittskarte für den Club der Covid-Ausweicher werden nicht nur Gene diskutiert. Möglich wäre laut Epidemiologieexpertin Nicola Low von der Universität Bern auch, dass die Covid-Immunen nur vermeintlich nie angesteckt wurden. «Etwa ein Drittel der Bevölkerung hatte das Virus, ohne es zu bemerken», erklärt die Professorin. Wenn dann noch die Impfung dazukomme, gebe das eine zusätzliche Hybrid-Immunität, die besser schützt als eine Impfung alleine.
Viele Menschen, die mit dem Virus noch keine Bekanntschaft gemacht haben, sind ausserdem auch heute einfach noch vorsichtig. Risikopersonen gehören in diese Kategorie, sie tragen auch weiter Masken beim Einkaufen und meiden übervolle Versammlungen. Aber auch ihre Angehörigen passen mehr auf und hatten darum häufiger noch keinen Kontakt mit Covid.
Die von alten Coronaviren ausgelöste Teilimmunität ist vermutlich zu schwach, um das Verschontbleiben vom Virus zu erklären. Anders sieht es bei den Vakzinen aus. Zumindest ein Teil der Menschen blieb bis zum Zeitpunkt der Impfung verschont – die darauffolgende Zeit ohne Ansteckung könnte bei diesen Menschen ohne speziellen genetischen Hintergrund mit dem schützenden Effekt des Vakzins erklärt werden.
Was die Nie-Infizierten vom Rest abhebt, ist also noch nicht sicher. Sicher ist nur, dass auch sie auf der Hut sein müssen. Denn die Infektionszahlen aus England zeigen, dass neue Varianten bisher verlässliche Schutzmechanismen austricksen – und einem somit die Ahnen nicht mehr helfen können.