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Was Stillen so besonders macht: Zürcher Forscher nehmen Muttermilch unter die Lupe

Was Stillen so besonders macht: Zürcher Forscher nehmen Muttermilch unter die Lupe

21.04.2016, 07:1321.04.2016, 07:27
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Frauen stillen in Lausanne ihre Babys.
Frauen stillen in Lausanne ihre Babys.
Bild: KEYSTONE

Muttermilch ist die erste Nahrung vieler Babys. Das Kind zu ernähren, ist bei weitem nicht ihre einzige Aufgabe. Stillen reduziert die Säuglingssterblichkeit und schützt vor Infektionskrankheiten, schreiben Forscher der Universität Zürich.

Mit mehr als 200 verschiedenen Zucker-Molekülen besitzen Menschen die komplexeste Muttermilch aller Säugetiere. Gerade diese Komplexität erschwert es Wissenschaftlern, die vielen verschiedenen Effekte der Muttermilch für Mutter und Kind zu enträtseln. Bereits in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft beginnt in der mütterlichen Brust die Bildung von Milch. Sie wird Vormilch oder auch Kolostrum genannt. Selbst zu früh geborene Kinder können dadurch direkt nach der Geburt mit Muttermilch versorgt werden.

Dünger für die Darmbesiedlung

In den ersten Wochen nach der Geburt bildet jede Brust im Durchschnitt 450 Gramm Milch täglich. Nach anderthalb Jahren können es abhängig von der Stillintensität immer noch 200 Gramm täglich sein, schreiben Thierry Hennet und Lubor Borsig von der Uni Zürich in ihrem Übersichtsartikel im Fachjournal «Trends in Biochemical Sciences».

In den ersten Tagen nach der Geburt diene die Muttermilch aber weniger dazu, die kindliche Ernährung sicherzustellen. Stattdessen förderten die zahlreichen in der Muttermilch befindlichen Zucker-Moleküle anscheinend gezielt die Besiedelung des bis dato keimfreien Darms der Neugeborenen mit Bakterien.

Stillende Mütter: Eine Fotografin verwandelt sie in stolze Göttinnen

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quelle: catersnews / / 1086237
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«Babys haben keine Maschinerie, um diese Zucker zu verdauen, sie sind also eigentlich für die Bakterien – es ist wie ein Saatboden, und die Muttermilch ist der Dünger», erläutert Hennet. Im Verlauf der Stillzeit ändere sich die Zusammensetzung der Zucker-Moleküle in der Muttermilch. Damit verändere sich auch die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft – das Mikrobiom – im Darm.

Starthilfe in Sachen Abwehr

Heute ist bekannt, dass das Mikrobiom nicht nur die Darmgesundheit selbst, sondern den Stoffwechsel insgesamt sowie die Entstehung von Übergewicht oder Asthma beeinflusst.

Die Muttermilch unterstützte zudem die Entwicklung des kindlichen Immunsystems, bestätigen Hennet und Borsig detailliert: Direkt nach der Geburt enthalte sie einen besonders hohen Anteil an bioaktiven Proteinen, etwa Antikörper, Cytokine, Defensine oder Lactoferrin. Sie bremsten das Wachstum von Krankheitserregern und schützten das Baby, bis das kindliche Immunsystem ab etwa einem Monat nach und nach selbst die Abwehr von Krankheitserregern übernehme.

Die Zahl der mütterlichen Antikörper in der Milch sinke dann drastisch um etwa 90 Prozent. Auch die Vielfalt der Zucker-Moleküle nehme ab, der Fettanteil hingegen zu. Dies begünstige das Wachstum des Babys.

Muttermilch enthält auch Schadstoffe

Mit der Muttermilch gelangten aber nicht ausschliesslich schützende Substanzen zum Baby. Etliche Schadstoffe, wie Schwermetalle, Pestizide oder Stoffe mit hormonähnlicher Wirkung sammelten sich im mütterlichen Brustgewebe und schadeten unter Umständen der Gesundheit der Säuglinge. Einige dieser Substanzen seien mittlerweile verboten, etwa das Pestizid DDT.

Andere fänden noch immer Verwendung, wie die in vielen Kunststoffen vorkommenden Weichmacher (Phthalate). Seitdem es Milchersatznahrung gibt, sind das Stillen und Muttermilch Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen geworden. Denn trotz der überwiegend positiven Effekte wüchsen Babys auch ohne Muttermilch völlig gesund auf. «Wir müssten vorsichtig damit sein, irgendwelche Empfehlungen zu geben», sagt Hennet dazu.

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«Auf der einen Seite ist Muttermilch das Produkt von Millionen Jahren Evolution und besitzt mit Sicherheit die optimalen Nährstoffe für ein Neugeborenes. Aber die Frage ist: Wie lange braucht ein Neugeborenes diese Versorgung wirklich? Wir glauben, Familien sollten diese Entscheidung treffen – nicht Wissenschaftler.»

(sda/dpa)

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