«Ich, Christine», schreibt eine Frau um 1400. Sie gibt sich ohne den Schutz eines männlichen Pseudonyms als Frau zu erkennen. Und sie erklärt der Frauenfeindlichkeit den Krieg:
Christine de Pizan kratzt mit ihrer spitzen Feder an jahrhundertealten Überzeugungen. Für sie sind die Frauen mehr als mangelhafte, unfertige Männer. Mehr als ein schwaches und schuldbeladenes Geschlecht, das den Rausschmiss aus dem Paradies zu verantworten hat. Mehr als eine Gefahr für die männliche Moral.
Christine schreibt, dass die Seelen der Frauen genauso viel wert seien wie die der Männer. Dass sie ebenso vernunftbegabte Wesen seien und dasselbe zu leisten vermögen – liesse man sie nur machen. Mit Jeanne d'Arc hat sie den Beweis. Dieses einfache Bauernmädchen nimmt den Männern die Angst und befreit Orléans – die letzte Bastion der Franzosen im Hundertjährigen Krieg – von der englischen Belagerung.
Christine ist eine Feministin. Und sie stirbt, bevor die 19-jährige Jungfrau von Orléans als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird.
Christine und Jeanne d'Arc sind zwei der Frauen, die Platz in der «Weltgeschichte für junge Leserinnen» gefunden haben. Die Historikerinnen Kerstin Lücker und Ute Daenschel versuchen in diesem Buch, die andere Hälfte der Menschheit wieder in die Geschichte zu integrieren. Ihnen geht es nicht darum, die Männer herauszustreichen, sondern ihnen Frauen an die Seite zu stellen. Dorthin, wo sie eigentlich immer waren und wirkten, nur sind ihre Spuren nicht ganz einfach auszugraben.
Wie die beiden Historikerinnen mit der schwierigen Quellenlage umgegangen sind und welches Ziel sie mit ihrem Buch verfolgen, erzählen sie im Interview:
Sie wollten keine Spezialgeschichte nur für und über Frauen schreiben. Wie würden Sie ihre «Weltgeschichte» stattdessen beschreiben?
Kerstin Lücker, Ute Daenschel: Frauengeschichte
wird immer vor dem Hintergrund eines Weltwissens erzählt, das wir
schon haben. Wir kennen Alexander den Grossen, Dschingis Khan und
Napoleon, und dann kommt jemand und erklärt uns: Es gab da aber auch
Frauen. Wir wollen jungen Leserinnen eine Weltgeschichte erzählen,
in der beides von Anfang an da ist: Das, was man wissen muss, um die
Weltgeschichte zu verstehen, und das, was die Frauen in der
Geschichte gemacht haben. Ein bisschen so, als sei es ganz
selbstverständlich, dass Weltgeschichte von Frauen und Männern
handelt. Obwohl es eben noch nicht selbstverständlich ist.
Das
verändert natürlich die Gewichtung der Ereignisse. Da erscheint
dann die Schlacht bei Issos vielleicht weniger wichtig als die
Tatsache, dass Aristoteles behauptet hat: «Frauen sind
unvollkommene Männer.» Immerhin haben die Menschen das 2000 Jahre
lang geglaubt.
Sie wenden sich explizit an junge Leserinnen. Wie alt dürfen wir
uns diese vorstellen?
Unsere
Weltgeschichte richtet sich an Leserinnen ab 12 aufwärts – und an
alle, die sich dafür interessieren.
Ist
der Titel Ihres Buches angelehnt an «Eine kurze Weltgeschichte für
junge Leser», dem Jugendsachbuch des österreichischen
Kunsthistorikers Ernst Gombrich?
Ja,
tatsächlich war das unsere anfängliche Idee, zu Gombrichs «Weltgeschichte für junge Leser» eine «Weltgeschichte für
junge Leserinnen» zu schreiben. Es ist aber doch etwas anderes geworden. Denn während Gombrich damals das Wissen über
die Weltgeschichte für Jugendliche aufbereitet hat, haben wir
versucht, die Frauen in diese Erzählung neu hineinzuweben. Das gibt es bisher auch für Erwachsene noch nicht.
Was sind die Schwierigkeiten, wenn man sich mit den Frauen in der Geschichte befasst?
Das
Hauptproblem ist, dass Frauen überhaupt wenig Spuren hinterlassen
haben. Weil man sie vom öffentlichen Leben ausschloss, weil sie
keine Bildung erhielten und deshalb oft nicht schreiben konnten.
Obwohl das gar nicht bedeuten muss, dass sie den Gang der
Weltgeschichte nicht auf ihre Weise beeinflusst haben. Die heilige
Thekla zum Beispiel löste durch ihr Verhalten einen Skandal aus, der
durch die ganze antike Welt hallte.
Noch Jahrhunderte später erinnerten die Menschen sich an sie. Viele Frauen schlossen sich ihr an, was der Verbreitung des Christentums einen grossen Schub verlieh. Nur zählt das heute nicht mehr, weil Thekla keine Texte hinterlassen hat. Schon etwa 200 Jahre später sagte ein Kirchenmann über Thekla: Vergesst ihre Geschichte, das sind doch alles Märchen.
So etwas ist häufig passiert. Andere Frauen wurden in extrem schlechtem Licht dargestellt, als rachsüchtig und intrigant. Das war vermutlich bei Olympias von Epirus so, der Mutter von Alexander dem Grossen, und bei Agrippina, der Mutter von Kaiser Nero. Und Lucrezia Borgia ging als verrucht in die Geschichte ein, obwohl Zeitgenossen sie als intelligent, aufrichtig und bescheiden beschrieben.
Wie
hat das Ihre Recherche-Arbeit beeinflusst?
Die
vorhandenen Quellen sind in manchen Epochen – vor allem bis etwa
400 n. Chr. – äusserst spärlich. Wir haben sehr viele Bücher
gelesen, auch über Alltags-, Sozial- und Ideengeschichte, um
wenigstens ein paar Informationen über Frauen zusammenzutragen.
Noch
schwieriger war es bei der aussereuropäischen Geschichte. Wenn man
nicht gerade Sinologie studiert hat, ist es nicht einfach, etwas über
Frauen in China zu erfahren. Hier haben wir das Gefühl, nur an der
Oberfläche kratzen zu können. Wobei China sich über die
englischsprachige Literatur noch einigermassen bewältigen liess. Im
Gegensatz zu Indien. Dort gab es zwar immer wieder Königinnen,
insbesondere in den Mogulreichen. Aber für ein blosses
Name-dropping, eine Galerie herrschender Frauen, hatten wir keinen
Platz. Wir haben die Frauen ja vor allem danach ausgewählt, wie sie
sich in die Erzählung der Weltgeschichte einbinden liessen.
Sie mussten also etwas Besonderes geleistet haben, um in Ihrem Buch einen Platz zu bekommen?
Wir haben Weltgeschichte lose so definiert, dass wir gesagt haben: Zu ihr gehören Personen und Ereignisse, die die Welt zu dem
gemacht haben, was sie heute ist. Doch in der Frauenforschung wird
meist nicht nach dem Beitrag der Frauen zur Weltgeschichte gefragt.
Da heisst es dann über Frauen in der italienischen Renaissance:
Sie waren sehr gebildet, konnten dichten und philosophieren. Aber
haben sie damit aktiv zur Entwicklung der neuen Ideen beigetragen,
die für die Renaissance prägend waren? Oft konnten wir das so
schnell nicht herausfinden.
Welche
der historischen Frauen hat sie persönlich beeindruckt?
Christine
de Pizan, die ihre Texte Ende des 14. Jhs. mit «Ich, Christine» beginnt. Das ist selbst für heutige Verhältnisse ganz schön
selbstbewusst.
Aischa,
die Lieblingsfrau von Mohammed. Sie hat nach dem Tod des Propheten
der Gemeinde seine Lehre erläutert und ihre Anhänger in eine
Schlacht geführt. Völlig selbstverständlich und ganz
selbstbewusst. Wie die Geschichte des Islam wohl verlaufen wäre,
wäre Aischa zum Rollenvorbild geworden?
Olympe de Gouges, nicht nur, weil sie die Rechte der Frau und Bürgerin formulierte, sondern auch, weil sie die Schreckensherrschaft der Jakobiner kritisierte und deswegen selbst auf dem Schafott landete. Aber auch Männer wie François Poulain de la Barre, der gesagt hat: Männer und Frauen haben dieselben Fähigkeiten, ungeachtet ihrer biologisch unterschiedlichen Körper. Oder der Marquis de Condorcet, der meinte, nur weil eine Frau schwanger sein kann, muss sie doch das Bürgerrecht genauso ausüben können wie ein Mann. Schliesslich erkälten sich Männer oder erkranken an Gicht.
Was können die
Frauen der Moderne von ihren Vorgängerinnen lernen?
Vielleicht, was wir zu allen Zeiten immer wieder neu lernen müssen: Dass
der Mensch zählt, Charakter, Können, Wissen – unabhängig
von Geschlecht und Hautfarbe.
Ich glaube meine Generation (25-40 Jahre) lebt ziemlich auf Augenhöhe, wenn ich mir aber die jüngeren Buben und Mädchen anschaue, da meinen die coolen Käppiträger sie seien die Herren der Schöpfung...