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Womöglich fragst du dich, warum man jetzt diese 2000 Jahre alte Agrippina ums Verrecken kennenlernen sollte. Nun. Darum:
Agrippinas Leben ist ein Stück brutal-origineller römischer Krimisex-Geschichte. Und die feindliche Überlieferung macht alles noch viel dramatischer: Der Geschichtsschreiber Tacitus mochte die Kaiser im Allgemeinen nicht, weil er sich noch immer halbheimlich in die alte römische Republik träumte. Und eine Frau, die ihre Hände tief in den Machtknäuel hineinwurschtelte, ging natürlich weit über sein patriarchisch organisiertes Gehirn hinaus:
Wir wollen dieser lügnerischen Berichterstattung dennoch folgen, weil sie uns – besser als jede objektive Sichtweise das je vermag – deutlich vor Augen führt, wie ungewohnt und ungewollt eine mächtige Frau damals war. Sie musste eine Hure gewesen sein. Ein herrschsüchtiges und hinterlistiges Weib. Ein durchtriebenes, falsches und gewissenloses Frauenzimmer. Hinter all diesen Verwünschungen versteckt sich aber eine Frau, die am römischen Hof in Wahrheit nicht viel mehr tat, als um ihr nacktes Überleben zu kämpfen. Die in einer Männer dominierten Welt ihre weiblichen Waffen einzusetzen verstand. Denn es waren die einzigen, die ihr zur Verfügung standen.
Agrippina (die Jüngere) wurde am 6. November 15. n. Chr. in Köln geboren. Der Fleck hiess damals natürlich noch nicht Köln, er hatte noch nicht einmal den Status einer Stadt. Aber 35 Jahre später, als sie sich bereits an die Seite des Kaisers Claudius geschlafen hatte, wurde ihr zu Ehren aus dem Plätzchen am Rhein die Kolonie «Ara Agrippinensium» – und Agrippina damit zur Gründerin Kölns.
Ihr Blut war kaiserlich und ging zurück bis zum ersten Kaiser Augustus, während dessen Blut bei keinem Geringeren als beim römischen Stammvater Aeneas entsprang. Dem Sohn der Liebesgöttin Venus. Also war Agrippina auch göttlichen Geblüts – so wie alle aus dem Geschlecht der Julier.
Caligula war ihr Bruder. Der Kaiser, den man gemeinhin für verrückt hält, weil er sein Lieblingspferd Incitatus zum Konsul machen wollte. Und weil er schönen Menschen mit starkem Haarwuchs aus Neid den Hinterkopf rasierte. Er trank in Essig aufgelöste Perlen. Und seine neu erlassenen und seltsamen Gesetze liess er in so fieser kleiner Schrift und in solcher Höhe anschlagen, dass sie kein Römer zu lesen vermochte. So gab es mehr Übertretungen und dafür mehr Strafen, die der Kaiser verhängen konnte. Und das wird wiederum seine sadistische Ader gewaltig zum Pulsieren gebracht haben. Etwa so wie ihn Enthauptungen während des Gastmahls erfreuten oder der Satz, den er jeder seiner Geliebten zuflüsterte:
Agrippina stand erst in Caligulas Gunst, er liess sie und ihre beiden Schwestern Drusilla und Julia Livilla wie Göttinnen verehren – allerdings mussten sie dieses Privileg mit inzestuösen Ausschweifungen bezahlen.
In seiner Paranoia verdächtigte er sie jedoch später, sich an einer Verschwörung gegen ihn beteiligt zu haben und schickte sie in die Verbannung. Drei Jahre lang hockte Agrippina auf der unwirtlichen Felseninsel Pontia (heutiges Ponza), bis sie im Jahre 41 wieder zurückkehren durfte. Ihrem kaiserlichen Bruder wurde inzwischen der Garaus gemacht. Sein Leibgardist hat ihm mit seinem Schwert das Kinn gespalten. Und dreissig weitere Hiebe erledigten ihn – die letzten davon gingen direkt in Caligulas Schamteile.
Als Caligulas Nachfolger wurde Claudius bestimmt, der sich während des ganzen Verschwörungstumultes ängstlich hinter einem Vorhang verbarg. Man zerrte ihn kurzerhand hervor und pflanzte ihn auf den Thron. Und plötzlich war der lächerliche Schwächling mit den weichen Knien und dem zitternden Kopf Kaiser. Wahrscheinlich auch darum, weil alle übrigen fähigen Kandidaten Caligulas Säuberungen zum Opfer gefallen waren. Aber immerhin war Claudius ein waschechter Julier, das konnte selbst seine Mutter, die ihn von allen wohl am allermeisten verachtete, nicht leugnen:
Bevor Claudius Kaiser wurde, war er das Opfer des gesamten Hofes. Ein Loser. Wenn er nach dem Festmahl einnickte, wurde er mit Oliven- und Dattelkernen beworfen. Oder man stülpte ihm Frauenschuhe über die Hände. Aber so blöd war er gar nicht. Claudius war sehr gebildet, sprach fliessend (und oft sehr feucht) Griechisch und schrieb Geschichtsbücher über Karthago und die Zeit Cäsars. Aber weil er ein kränkelnder, wackliger Mann war, lachte man über ihn.
Agrippina war inzwischen wieder in Rom zu Hause. Ihr Sohn – der spätere Kaiser Nero aus ihrer Ehe mit Gnaeus Domitius Ahenobarbus – zählte zwölf Jahre, als sich seine Mutter anschickte, sich als vierte Ehefrau für Claudius zu bewerben. Die Vorgängerin Messalina wurde im Jahre 48 hingerichtet – ihren zügellosen Ehebrecherinnen-Sex-Orgien konnten nur mit dem Schwert ein Ende gesetzt werden.
Nun also ging das grosse Hochzeits-Gestürm auf den Kaiser los. Obwohl der eigentlich gar nicht mehr heiraten wollte. Eigentlich war sein Herz gebrochen. Messalina hatte es mit ihren fremdgeherischen Händen in viele winzige Teile zerrissen.
Aber Claudius liebte die Frauen einfach zu fest. Das war recht aussergewöhnlich für einen römischen Kaiser. Seine Vorgänger frönten allesamt der Knabenliebe und/oder anderen sodomistischen Formen der sexuellen Vereinigung. Claudius aber mochte nur die Frauen – die dafür so richtig. Er war seinen Gattinnen restlos verfallen. Und so waren sie es denn auch, die das römische Reich hinter seinem kraftlosen Rücken heimlich lenkten.
Als Agrippina an den Hof kam, schön wie sie war und im blühenden Alter von 33 Jahren, mussten dem alten Claudius die schwächelnden Knie vollends eingeknickt sein. Aber sie war die Tochter seines Bruders Germanicus. Seine Nichte – und die durfte man selbst im alten Rom nicht ehelichen. Claudius machte es aber möglich. Er erliess einfach ein neues Gesetz.
Von da an trieb Agrippina nur ein einziger Gedanke an: Ihr Sohn Nero sollte Kaiser werden. Kaum hatte sie sich bei Hof eingenistet, wurde ihr pickliger Sohnemann auch schon von Claudius adoptiert. Er gehörte nun also zum innersten Kreis – und von dort sollte ihn niemand mehr entfernen. Nur waren da auch noch Britannicus und Octavia, die leiblichen Kinder des Kaisers, die er mit der nymphomanen Messalina gezeugt hatte. Das Mädchen war einfach auf die richtige Seite zu bugsieren: Agrippina verheiratete sie mit ihrem 16-jährigen Nero. Es muss um diese Zeit gewesen sein, da ihm die ersten schüchternen Härchen des später mächtig wuchernden Feuerbartes aus dem kantigen Gesicht sprossen.
Britannicus war ein schwieriger Fall für Agrippina. Er war zwar jünger als Nero, aber Claudius hing sehr an ihm. Ein sanfter Junge war das, mit einer wunderschönen Stimme. Und er durchschaute die Machenschaften Agrippinas längst. Doch sein Vater liebte diese Frau mit den flinken Händen. Sie wusste genau, wo sie ihr Kaiserlein berühren musste. So erzählte sie ihm nach der Adoption Neros, Britannicus habe seinen Bruder absichtlich mit Domitius angesprochen – seinem früheren Namen – weil er die Adoption nicht akzeptiere. Claudius liess daraufhin sofort alle Erzieher seines leiblichen Sohnes hinrichten. Und Agrippina schleppte die neuen an – die sicherlich nie vergassen, wem sie ihre hohe Stellung zu verdanken hatten.
Systematisch stürzte Agrippina ihre Feinde ins Verderben, blieb dabei aber immer hübsch im Hintergrund. Unter den Todesurteilen und Selbstmordbefehlen setzte Claudius die Unterschrift. Wenn auch oft mit zittriger Hand. Die Macht dieser Frau war aber symbolisch für jeden Römer sichtbar: Auf den Münzen strahlte ihr schöner Kopf und darüber stand «Augusta», ein Ehrentitel, wie sie keine andere Kaiserin je zu Lebzeiten tragen durfte.
Claudius' Magendarmgegend muss ein Desaster gewesen sein. Er ass dennoch in rauen Mengen. Und vielleicht musste er das auch, weil die Liebe zu seiner Agrippina derart monströs war, dass er sie wie ein Dämon nähren musste. Eigentlich wollte der Kaiser ein Blähungsedikt erlassen, dass all seine Gäste während des Mahls vom Unterdrücken ihrer Fürze freisprach. Er hatte gehört, dass ein Mann, der aus Schamgefühl seine Darmwinde unterdrückte, fast gestorben wäre. Nur kam der Kaiser nicht mehr dazu, sein Esszimmer als freie Zone zu erklären. Denn auch ihm funkte der Tod dazwischen.
Claudius wurde immer kränker. Und Agrippina machte sich auf die Suche nach dem richtigen Gift. Es durfte ihren Gatten nicht zu schnell töten, das wäre zu auffällig. Wirkte es aber zu langsam, so könnte sich der Kaiser wieder seinem Sohn Britannicus zuwenden und all ihre Mühe, Nero als Nachfolger für den Thron zu propagieren, wären vergebens gewesen.
Das Gift kam in einem schmackhaften Pilzgericht daher, Claudius' Lieblingsspeise. Aber etwas ging dennoch schief: Das Gift wollte nicht richtig wirken, ein kaiserlicher Durchfall schien den mörderischen Plan zu vereiteln. Die verzweifelte Agrippina schickte sofort nach dem Leibarzt Xenophon, der dem Kaiser, als wolle er ihm beim Erbrechen helfen, eine mit Gift bestrichene Feder in den Rachen stopfte. Und Claudius' Licht erlosch für immer.
Agrippina holte Seneca aus der Verbannung und setzte ihn als Erzieher für ihren noch nicht ganz 17 Jahre alten Sohn ein. Er sollte Nero seine unkaiserliche Begeisterung für Dichtung, Gesang und Theater austreiben und ihn im Bereich der Rhetorik schulen – damit er zu einem politisch geschickten Kaiser heranwachse. Doch das fruchtete nicht im Geringsten: Kaum hatte Nero den Thron bestiegen, begann er mit der täglichen Stimmbildung: Er machte immerzu Sprechübungen mit einer Bleiplatte auf der Brust und reinigte seinen Körper durch ordentliche Darmspülungen. Singen wollte er. Und ein Künstler sein. Nicht politische Reden schwingen.
Des Nachts drückte sich Nero mit Sklaventracht und Perücke bekleidet in düsteren Gassen, Kneipen und Bordellen herum. Er raubte Läden aus, verhaute wahllos irgendwelche Leute und tauchte ihre Köpfe in die Kloaken. Die Pubertät muss schwer ihn ihm gewütet haben. Und seine Mutter musste ständig dafür sorgen, dass er bei Hof und beim Volk nicht unbeliebt wurde. Doch allmählich begann sie, ihren Einfluss auf ihn zu verlieren. Nicht nur, weil sie ihm alle künstlerischen Tätigkeiten zu unterbinden suchte, sondern auch, weil sie ihm in seine Liebeleien dreinschwatzte.
Denn da war Acte. Eine ehemalige Sklavin. Und obendrein Neros Geliebte. «Eine Freigelassene meine Nebenbuhlerin!», klagte die Mutter. Und beschloss in ihrer Verzweiflung, den eigenen Sohn zu verführen:
Nero hatte kein Interesse daran (obwohl es natürlich Überlieferungen gibt, die das Gegenteil behaupten). Also wandte sie sich Britannicus zu, den sie vorher bei seinem Vater Claudius derart schlecht geredet hatte, dass dieser Nero den Vorzug gab. Jetzt aber war Britannicus ihre einzige noch verbleibende Machtstütze: Der wahre Erbe sei nun herangewachsen, der Einzige, der würdig sei, die väterliche Herrschaft zu übernehmen. Die Herrschaft, die sie selbst durch Gift und Intrigen ihrem Sohn erst ermöglicht habe. Da oben sitze Nero jetzt, auf einem Thron, den er nicht sein eigen nennen dürfe.
Irgendwann erreichten Agrippinas Wutreden auch Neros Ohren. Und da begann der ganze Nero zu zittern: Als erstes musste Britannicus aus dem Weg geräumt werden. Ganz nach dem Vorbild der mütterlichen Tötungsvariante suchte Nero die Giftmischerin Locusta auf. Ihr Trunk wurde dem Knaben in den Wein gekippt. Der 14-jährige Britannicus wurde bleich und hörte mit dem Atmen auf. Und mit ihm starb Agrippinas letzte Hoffung auf einen Platz an einem langen Machthebel. Fortan galt es nur noch, der Rache ihres Sohnes zu entkommen.
Wütend verstiess der Imperator seine Mutter vom Hof. Und mit ihrem Weggang schwand auch ihre Macht.
Im Grunde wollte Nero seine Mutter sofort töten. Aber da er das Theatralische mochte, musste dieser Mord hübsch geplant und dramatisch inszeniert werden. Also lud er Agrippina unter dem Vorwand der Versöhnung nach Baiae ein, um mit ihr gemeinsam das Fest der Minerva zu begehen. Zum Abschied küsste er ihren Busen. Den Busen, der ihn einst genährt hatte.
Das Schiff, mit dem sie nach Hause fuhr, war präpariert. Es sollte auf offenem Meer zusammenbrechen. Das tat es dann auch, nur konnte sich Agrippina ans Ufer retten. Nach dem misslungenen Anschlag musste sie wissen, dass ihr Sohn ihr nach dem Leben trachtete. Sie spielte aber die Unwissende und schickte ihren Freigelassenen Agermus zu Nero, um ihm zu berichten, «dass sie diesem schweren Schicksalsschlag entronnen sei».
Als dieser am Hof ankam und bei Nero vorsprach, improvisierte der Kaiser einen Mordanschlag gegen sich selbst: Er warf dem Boten ein Schwert zwischen die Füsse und rief: «Ein von der Mutter gesandter Mörder!». Während man den auf diese Weise getäuschten Agermus in Ketten legte, brachte der Henker Anicetus seinen Auftrag zu Ende und stiess der Kaiserin Mutter seinen Dolch in den Leib.
Als Agrippina ihre letzten, tapferen Worte sprach, hob sie ihr Gewand hoch. Genauso wie es die mythologische Klytaimnestra tat, um das Schwert ihres Sohnes Orestes zu empfangen. Nero selbst inszenierte sich nach der Tat als Muttermörder. Denn Orestes wurde zwar von den Rachegöttinnen in den Wahnsinn getrieben, letztlich aber sprach ihn ein göttliches Gericht frei. Weil er den Ehebruch seiner Mutter und ihren Mord an seinem Vater Agamemnon gerächt hatte. Und nicht zuletzt befreite er damit das mykenische Volk von der Tyrannis einer machthungrigen Frau. Hatte Nero nicht ebendies getan?
Erinnert mich irgendwie an TTIP.