Welche Erfindungen haben tatsächlich Auswirkungen auf den Klimawandel? Die Frage lässt sich nicht so einfach beantworten – für den Konsumenten sowieso nicht. Wie lässt sich beurteilen, ob die Einsparung eines Plastiksäckchens an der Kasse beim Grossisten nun tatsächlich gut fürs Klima ist, oder nur fürs Karma?
Für das Projekt «Drawdown» beauftragte der Autor Paul Hawken diverse Wissenschaftler, herauszufinden, welche Massnahmen dem Klimawandel am entschiedensten entgegenwirken. Wir stellen nun die Erfindungen vor, die laut Hawkens Liste auf den Klimawandel den grössten Einfluss haben.
Egal ob Kühlschrank oder Klimaanlage – in sämtlichen Kühlgeräten kommen Chemikalien zum Einsatz, welche die Temperaturreduktion erst ermöglichen. Lange setzte man dabei auf FCKWs (Fluorchlorkohlenwasserstoffe). Doch diese zerstören bei Freisetzung die Ozonschicht und wurden deshalb mit dem Montreal-Protokoll 1987 verboten. Die Industrie fand aber eine Hintertür: FKWs (Fluorkohlenwasserstoffe).
FKWs sind je nach Zusammensetzung 1000 bis 9000 Mal stärkere Treibhausgase als CO2. Am Umweltgipfel 2016 in Kigali wurde entschieden, dass auch diese Kühlmittel nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Seither sind die entwickelten Länder verpflichtet, den FKW-Gaseinsatz bis 2036 um 85 Prozent zu verringern. Entwicklungsländern wird etwas mehr Zeit eingeräumt. In der Schweiz sind FKWs in Kühlschränken bereits verboten.
Mit den gezielten Einsatz von FCKW- und FKW-freien Kühlgeräten und einem entsprechenden Umgang mit den alten Geräten könnte bis 2050 ein Äquivalent von bis 90 Gigatonnen CO2 eingespart werden. Das entspricht dem 18-fachen Potential des gesamten Flugwesens.
Der Wind wird seid Menschengedenken als Energiequelle benutzt. Sei das bei Segelschiffen oder Windmühlen. Diese Erfindung ist also schon etwas älter – aber noch lange nicht zu Ende entwickelt.
Zwar existieren bereits enorme Windfarmen, die Windenergie kämpft aber weiterhin mit Problemen. Der enorme Platzbedarf ist eines davon. Der Offshore-Windpark von Sheringham Shoal erstreckt sich beispielsweise über 35 Quadratkilometer. Die gesellschaftliche Akzeptanz für die enormen Windräder ist gering. Kein Wunder: Der Rotorendurchmesser eines Windrades im Offshore-Windpark Burbo Bank beträgt 164 Meter. Die Bereitschaft, sich neben einem solchen Koloss niederzulassen, ist bei vielen Menschen gering. Deshalb sieht man diese Kolosse bisher nur im Meer.
Weit kleiner und unauffälliger wären Windräder, die sich auf der Horizontalebene drehen. Doch bisher ist es noch keinem Hersteller gelungen, dieselben Leistungswerte wie mit herkömmlichen Windrädern, zu erzielen. Bisher. Sehr vielversprechend sehen allerdings erste Tests der Schweizer Firma Agile Wind Power aus.
Mit Windenergie (an Land produziert) könnten bis 2050 84,6 Gigatonnen CO2 eingespart werden. Das Potential der Off-Shore-Farmen beträgt weitere 14,1 Gigatonnen. Damit gehört das Windrad zu den nachhaltigsten Erfindungen der Menschheit überhaupt.
Der Mensch braucht Proteine. Fleisch ist eine natürliche Quelle, doch an ihr hängt im Fall von Schweine- und Rindfleisch ein deftiges CO2-Preisschild. Bis zu 100 Kilogramm CO2 sind das Nebenprodukt von 100 Gramm Rindfleisch. Fleischersatzprodukte aus pflanzlichem Protein können hier Abhilfe schaffen. Der CO2-Fussabdruck von Tofu ist 30 Mal kleiner. Und wie bei der Tofuherstellung kommt auch bei vielen anderen Fleischersatzprodukten Soja ins Spiel.
Den Spitzenplatz von Soja könnten schon bald Algenproteine einnehmen. Sie sind relativ einfach herzustellen, wachsen schnell, benötigen keine Landfläche und nur wenig Meeresfläche. Und sie sind in der Herstellung günstig. Der auf Algen spezialisierte vegetarische Seafood-Hersteller Sophie's Kitchen glaubt, mit Mikroalgen ein Kilogramm Protein für zwei Dollar herstellen zu können.
Selbstverständlich sind Fleischersatzprodukte nur ein Teil der Lösung. Eine grossflächige Umstellung auf pflanzenreiche Kost hat aber gigantisches Einspar-Potential: 66,11 Gigatonnen CO2 bis ins Jahr 2050.
Dass jeder Mensch Ressourcen verbraucht und wir diese reduzieren sollten, wird oft diskutiert. Unbequemer wird die Diskussion, wenn es darum geht, auch die Anzahl Menschen zu thematisieren. Auch der IPCC (Weltklimarat) schwieg lange Zeit zu diesem Thema. Erst 2014 wurde das Tabu gebrochen und die Bevölkerungsexplosion auf diesem Planeten wurde zum ersten Mal als triftiger Grund für die Zunahme der Treibhausgasemissionen in den Bericht aufgenommen.
Es geht bei der Diskussion nicht darum, das Recht auf Leben in Frage zu stellen, staatlich verordnete Geburtenkontrolle anzuordnen. Es geht darum, jungen Frauen und Familien die Freiheit zu ermöglichen, selbst zu entscheiden, wann und wie viele Nachkommen sie haben wollen.
Eine von den religiösen Autoritäten akzeptierte öffentliche Aufklärung der Bevölkerung und der freie Zugang zu Verhütungsmitteln sorgte Anfang der 1990er-Jahre im Iran dafür, dass sich die Geburtenrate halbierte. In Bangladesh sank die Geburtenrate von durchschnittlich sechs Kindern in den 80ern auf heute zwei. Und noch ein Beispiel: Laut Hawkens New-York-Times-Bestseller aus dem Jahre 2017 sind 45 Prozent aller Schwangerschaften in den USA ungewollt.
Knapp 60 Gigatonnen CO2 könnten mit einer gezielteren Familienplanung eingespart werden. Verhütungsmittel alleine reichen dafür aber nicht. Es braucht vor allem Aufklärung und freien Zugang.
Die ersten Solarzellen, welche Strom herstellen konnten, wurden Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt. Als Basis diente der Stoff Selen. In den 50ern entdeckten Forscher der Bell-Laboratories in den USA, dass der Wirkungsgrad der Zellen mit Silizium verzehnfacht werden konnte. Trotzdem: Bei Preisen von fast 2000 Dollar pro Watt Peak (Wp) war der einzige wirtschaftliche Einsatzbereich die Raumfahrt – und paradoxerweise die Ölindustrie. Sie war es, welche erste Grossaufträge erteilte, um Bohrtürme und Förderanlagen mit Strom zu versorgen.
Heute kostet ein Watt Peak unter 30 Rappen, die Wirkungsgrade liegen über 20 Prozent und ein einziges Modul schafft zwischen 300 und 400 Wp. Es gibt kein einziges Szenario, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, das ohne einen massiven Ausbau der Photovoltaik auskommt. Mit grossen (Solarfarmen) und kleinen Anlagen (Solardächer) kommt ein Einsparpotential von 61,5 Gigatonnen CO2 bis ins Jahr 2050 zusammen.
Extrem unterschätzt wird die Energie, welche in unserem Planeten ruht. Hawken schreibt dazu:
Die meisten der heute aktiven Geothermiekraftwerke stehen entlang der Ränder der tektonischen Platten – nur ca. 10 Prozent der Erdoberfläche eignen sich für die Geothermie. Doch auch hier hat der technologische Fortschritt seine Spuren hinterlassen. Vor allem bei der Lokalisierung von hydrothermischen Wasservorkommen. Deshalb verspricht man sich in den nächsten 30 Jahren viel davon. Bis zu 16,6 Gigatonnen CO2-Einsparungen.
Kernenergie spaltet nicht nur Atome, sondern auch die Gemüter. Für- und Gegensprecher finden sich in allen Lagern. Streitpunkt ist oft die Frage: Kann mit erneuerbaren Energien genug und vor allem versorgungssicher Strom produziert werden? Eine abschliessende Antwort darauf gibt es nicht. Auch Experten sind sich uneinig. Der Nasa-Experte James Hansen warnte als einer der ersten vor dem Klimawandel. Er empfiehlt den Bau von fast 4000 Atomkraftwerken.
Bill Gates geht einen anderen Weg. Er lässt zu Mini-Reaktoren forschen, die kleiner und effizienter und GAU-sicher sein sollen.
Problematisch wird das Thema Atomenergie, wenn diese Energieherstellungsform stigmatisiert wird. Mittlerweile sind die Auflagen in den USA derart streng, dass neue Anlagen beinahe verunmöglicht werden. Hinzu kommt: Während die erneuerbaren Energien immer billiger werden, verteuerte sich der Bau von neuen Atomkraftwerken in den letzten Jahren massiv, so dass der Strompreis im Prinzip nicht mehr konkurrenzfähig ist.
Trotzdem: Im Moment sind weltweit hunderte Kohlekraftwerke im Bau. Sie produzieren den weitaus «dreckigeren» Strom. Und deshalb sieht Hawken auch bei der Atomenergie Potential von 16,09 Gigatonnen bis ins Jahr 2050.
Nach ein paar Umwegen, zum Beispiel über Fluoreszenzlampen, ist die Menschheit bei einem würdigen Nachfolger der klassischen Glühbirne angekommen: der LED-Lampe. Der Stromverbrauch einer LED-Lampe liegt bei 10-20 Prozent einer vergleichbaren Glühbirne. Auch die guten alten Leuchtstoffröhren sind weit ineffizienter als ihre LED-Nachkommen. Zudem verfügen LED-Lampen über eine weit höhere Lebensdauer, was wiederum Kosten reduziert und die Unterhaltsarbeiten vereinfacht.
Berücksichtigt man die Beleuchtung in privaten Haushalten und die industriellen und öffentlichen Betriebe, ergibt sich daraus ein Einsparpotential von 12,85 Gigatonnen CO2 in den nächsten 30 Jahren.
Sie kommen doch noch, aber erst auf Platz neun: die Elektroautos. 10,8 Gigatonnen Einsparpotential wird ihnen in den nächsten 30 Jahren zugemutet. Das ist im Vergleich zu den Kühlschränken nur ein Bruchteil – aber natürlich immer noch eine bedeutende Menge.
Bei den Elektroautos wird in den nächsten Jahren vor allem die Batterietechnologie im Vordergrund stehen. Schon heute sind Elektroautos günstiger als Verbrenner; Tesla und auch Konkurrent General Motors haben aber bereits die Eine-Million-Kilometer-Batterie angekündigt. Spätestens mit deren Einführung wird sich der Automarkt noch einmal komplett verändern.