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Flugscham: So viel (oder wenig) würde CO2-neutrales Fliegen kosten?

epa07654699 Airplane of Titan airways containing deported Afghans takes off of the Leipzig /Halle Airport, Schkeuditz, Germany, 17 June 2019. 16 Afghans asylum seekers are deported from Germany as par ...
Fliegen: Einer der grossen Sündenböcke in Zeiten des Klimawandels. Bild: EPA/EPA

So viel würde CO2-neutrales Fliegen heute kosten (Spoiler: Gar nicht sooo viel mehr!)

27.06.2019, 17:2428.06.2019, 09:28
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«Sei wie ein Indianer: Hinterlasse keine Spuren», lautet die Aufforderung in gefühlt jeder zweiten Schweizer Bürotoilette. Es ist ein sanfter Hinweis darauf, dass eigentlich das Verursacherprinzip gelten würde. Wer suppt, der schrubbt.

Doch wir wissen alle, wie gut das System der Freiwilligkeit funktioniert. Die Leidtragenden sind die anderen.

Wer heute fliegt oder Auto fährt, ist kein Indianer. Beides verursacht Spuren in Form von Treibhausgasen, welche zum Klimawandel beitragen. Das Verursacherprinzip gilt nicht einmal ansatzweise. Zwar boomen Dienste wie myclimate.ch, doch die Kompensations-Programme sind für den Laien nicht immer einfach verständlich. Und CO2-neutral ist der Personenverkehr deswegen noch lange nicht.

Dabei wäre das schon heute möglich.

Zwar bestehen noch keine Anlagen mit einer entsprechenden Kapazität, aber die Technologie dazu existiert. Auch dank der Schweizer Firma climeworks.ch.

Die Climeworks-Anlage auf der Verbrennungsanlage in Hinwil. Die Abwärme der Verbrennungsanlage ist beim Abschöpfen des CO2 aus der Luft hilfreich.
Die Climeworks-Anlage auf der Verbrennungsanlage in Hinwil. Die Abwärme der Verbrennungsanlage ist beim Abschöpfen des CO2 aus der Luft hilfreich. bild: climeworks

Climeworks hat ein Verfahren entwickelt, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Dabei wird Luft durch einen speziellen Filter gesogen. Dort setzt sich das CO2 fest. Später wird dieser Filter erhitzt und das CO2 kann als konzentriertes CO2-Gas eingefangen und wieder verwendet werden. Es kann:

  • im Boden in Gestein gebunden werden.
  • zur Produktion von E-Fuel und E-Kerosin verwendet werden.
  • Pflanzen in Gewächshäusern zugeführt oder als Sprudel in Getränken verwendet werden.
CO2 kann in vulkanischem Basaltgestein gebunden werden. Pro Tonne CO2 werden rund 25 Tonnen Wasser benötigt.
CO2 kann in vulkanischem Basaltgestein gebunden werden. Pro Tonne CO2 werden rund 25 Tonnen Wasser benötigt.bild: climeworks

Zurück bleibt auf jeden Fall CO2-freie Luft.

Das Unternehmen, von zwei ETH-Studenten gegründet, hat mit Anlagen in Island, Hinwil und Italien weltweit für Aufsehen gesorgt. Mittlerweile übersteigt die installierte Absaug-Kapazität 2000 Tonnen CO2 pro Jahr. Geplant sind weitere Anlagen. Zum Beispiel zur Herstellung von «Recycling»-Kerosin.

Doch die CO2-Einfangerei ist nicht gratis. Die Sache benötigt eine ordentliche Infrastruktur – und Energie. Und deshalb belaufen sich die Kosten pro Tonne im Moment noch auf ca. 600 Franken. Im Moment noch.

In den nächsten drei bis vier Jahren soll sich dieser Preis auf 200 Franken pro Tonne reduzieren. Bis spätestens 2030 werden 100 Franken anvisiert.

Wie würde sich das auf die Flug- und Benzinpreise auswirken? Wenn wir sämtliches produziertes CO2 während eines Flugs einfach so wieder verschwinden lassen könnten? Wir haben eine einfache Milchbüechlirechnung gemacht.

Annahmen: CO2-Angaben (2,3 t für New York und 0,426 t für Cagliari für Hin- und Rückflug, 1 Person, Economy) von myclimate.ch. Flugpreise Swiss im September 2019, 15'000 Kilometer Auto fahren mit einem Benzinverbrauch von 6,5 Litern bleifrei 98 (Totalverbrauch 150 × 6,5 Liter = 975 Liter) und einem Benzinpreis von 1,74 Franken pro Liter.

In dieser einfachen Milchbüechlirechnung nicht einberechnet ist, ...

  • dass die Preise für Flugtickets ansteigen, sollte sich der weltweite Flugverkehr langsam verringern.
  • dass der CO2-Preis pro Tonne bei grossflächigem Einsatz (Grossserieproduktion) schneller fällt.
  • dass das durch den Flugverkehr in höheren Regionen ausgestossene CO2 einen grösseren Einfluss aufs Klima hat.
  • die sozialen Kosten des CO2-Anstiegs.

2140 Franken für ein Flugticket nach New York. Das ist ziemlich genau der Preis, den unser Politik-Experte Peter Blunschi für denselben Flug in den 90er-Jahren bezahlte. Leider bietet Climeworks ein solch direktes Kompensationsmodell noch nicht an. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein.

Wurde noch vor wenigen Jahren mit Langstreckenflügen geprotzt, darf man heute nur noch mit vorgehaltener Hand von seinen Ferienflügen erzählen. In Schweden gibt es dafür neuerdings ein Wort: «Flygskam» – Flugscham.

Flugscham müsste nicht sein.

Bereits heute wäre es möglich, ein Verursacher-Prinzip-Preis-Modell zu betreiben, mit dem man ohne Scham, dafür mit indianisch stolzem Kreuz in ein Flugzeug steigen könnte. Die Angst, dass man in Zukunft nicht mehr in die Ferien fliegen darf, ist unbegründet. Die Frage lautet bloss, zu welchem Preis.

Wer Climeworks unterstützen will, kann das hier tun. Wer lieber konventionell kompensieren möchte, kann das bei myclimate.ch tun.

Drake mit eigener Luxus-Boeing

Video: instagram
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Sitzstreik für das Klima: Greta Thunberg am 25. Januar 2019 am WEF in Davos.
quelle: ap/ap / markus schreiber
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Der Boden als CO2-Speicher
Video: srf
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60 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Roxy_red
27.06.2019 17:47registriert Februar 2017
Finde ich Klasse. Sicher kombinierbar mit anderen Massnahmen.
Trotzdem bleiben Fragen: woher wird die Energie zum Betreiben dieser Geräte genommen? Wie viel CO2 kann überhaupt „gespeichert“ werden und für wie lange und wo? Wer will das CO2 kaufen?
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Hollda von Quorn
27.06.2019 21:20registriert August 2018
Es steht zwar schon in andern Kommentaren, aber bitte hier nochmals: Das CO2 bzw. der Kohlenstoff darin wird dem Kreislauf nur dann entzogen, wenn er dauerhaft aus der Luft weg ist. Ihn ins Mineralwasser zu pumpen oder in Gewächshäuser ist äusserst kurzfristig und bringt nichts! Höchstens das Einlagern in Gesteine könnte etwas nützen. Wir sollten uns nichts vormachen. Dieses CCS (carbon capture and storage) ist zwar eine Möglichkeit, aber eine teure und aufwändige (und braucht Energie, die dann anderswo fehlt). Es geht billiger und viel einfacher: Öl und Kohle gar nicht aus dem Boden holen.
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meliert
27.06.2019 21:19registriert August 2014
aber eben, mit Geld das Gewissen beruhigen, weil das Co2 wird ja immer noch ausgestossen-oder ?
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