Darum interessieren sich Boomer nicht für die Charts
Als Beinahe-Boomer gebe ich gern zu, dass ich keine leise Ahnung mehr habe, was in der Hitparade – pardon: in den Charts – so läuft. Würde mich jemand nach dem Grund fragen, hätte ich die flapsige Antwort parat: «Weil dort eh nichts erfolgreich ist, was ich ohne Grausen hören könnte.» Früher, sehr viel früher, war das freilich nicht so.
Tatsächlich verändert sich unser Musikkonsum im Laufe des Lebens – im Alter nimmt die Zahl unserer Lieblingslieder ab und wir entdecken weniger neue Musik. Das sagt zumindest eine neue internationale Studie, die im Portal der Association for Computing Machinery veröffentlicht wurde. Das Forschungsteam hat die Hörgewohnheiten von mehr als 40'000 Musikfans über einen Zeitraum von 15 Jahren ausgewertet.
«Die meisten 65-Jährigen begeben sich nicht auf eine musikalische Entdeckungsreise», sagte Co-Autor Alan Said, Professor für Informatik an der Universität Göteborg, laut der Pressemitteilung der Hochschule.
«Die Charts verlieren an Bedeutung»
Grundsätzlich hören jüngere Menschen ein breites Spektrum aktueller Popmusik und orientieren sich stark an Trends. In der Jugend und im frühen Erwachsenenalter erweitere sich so das musikalische Repertoire, viele Genres und Künstler werden ausprobiert.
Mit zunehmendem Alter verenge sich das Spektrum jedoch, so die Forschenden. Der Musikgeschmack werde individueller, stärker von persönlichen Erfahrungen geprägt – und weniger von den Charts. «Wenn man jung ist, möchte man alles erleben», erklärt Said, «aber wenn man erwachsen wird, hat man normalerweise einen Musikstil gefunden, mit dem man sich identifiziert. Die Charts verlieren an Bedeutung.»
Und schon ab dem mittleren Alter spiele Nostalgie eine grosse Rolle, berichten die Forschenden. Viele Hörerinnen und Hörer kehrten immer wieder zu Musik aus ihrer Jugend zurück, die den «Soundtrack ihres Lebens» bilde.
Streamingdienste könnten aus der Studie lernen
Für seine Untersuchung nutzte das Team Daten eines Musikdienstes. Nutzerinnen und Nutzer dort können angeben, wie alt sie sind und welche Songs sie über Streaming-Plattformen abspielen. So liessen sich langfristige Trends nachvollziehen. Insgesamt werteten die Forschenden mehr als 542 Millionen Wiedergaben von über einer Million Songs aus.
Die Ergebnisse seien auch für Streamingdienste von Bedeutung, erläutert Said. «Ein Dienst, der jedem die gleiche Art von Musik auf die gleiche Weise empfiehlt, läuft Gefahr, die tatsächlichen Wünsche verschiedener Gruppen zu übersehen.»
Jüngere Hörerinnen und Hörer wünschten sich eine Mischung aus aktuellen Hits und älteren Entdeckungen, Menschen mittleren Alters eine Balance zwischen Neuem und Vertrautem – und ältere Nutzende eher massgeschneiderte Vorschläge, die auch nostalgische Vorlieben berücksichtigen. (dhr/sda/dpa)
