Wir schreiben den 8. August 1894. Im Sanatorium von Battle Creek im US-Bundesstaat Michigan servieren Dr. John Harvey Kellogg und sein Bruder Will Keith Kellogg ihren Kunden neue Nahrung. Die Tester sind beeindruckt, obwohl das Produkt einerseits besonders fad sein sollte und zum anderen durch blossen Zufall erfunden wurde.
John Harvey Kellogg, der Leiter des Sanatoriums, hat zuvor mit seinem Bruder Weizen aufgekocht und stehen lassen. Als sie an den Ort des Geschehens zurückkehrten, war der Weizen aufgequollen: Weil das Duo nur wenig Geld hatte, um ein neues, vegetarisches Lebensmittel zu kreieren, pressten und rösteten sie den aufgequollenen Weizen. Als sie ihn vor 120 Jahren erstmals verfüttern, etablieren sie Corn Flakes.
Dass das Essen, das Kellogg's 2013 einen Gewinn von 2,57 Milliarden Franken beschert hat, fade sein soll, liegt an der Religion seiner Erfinder: Die Brüder sind Mitglieder der Siebenten-Tags-Adventisten. Für diese protestantische Freikirche ist der Samstag (Sabbath) der wahre Sonntag, der menschliche Körper wird als «Haus Gottes» gesehen. Und im Haus Gottes sind Schweinereien natürlich nicht erlaubt.
Nach dem Glauben der protestantischen Freikirche sind Schweinefleisch, Pferd, Kaninchen und Schalentiere ebenso passé wie das Onanieren und Masturbieren. Rauschmittel wie Alkohol und Tabak sind ebenfalls verboten – und Menschen wie die Kelloggs sind davon überzeugt, dass scharfe Gewürze im Menschen bloss wilde Gefühle wecken.
Ungewürzte vegetarische Nahrung ist für die Brüder deshalb auch der Schlüssel zu sexueller Enthaltsamkeit. Wenn die richtige Diät nichts nützt, empfiehlt Dr. Kellogg in seinem Buch «Plain Facts for Old and Young» auch härtere Methoden wie eine Beschneidung:
Sollte ein Mann aber partout nicht von sich lassen können, hat der Doktor auch noch andere, noch radikalere Methoden parat:
Sollten Sie, liebe Leserinnen, sich nun genüsslich zurücklehnen, haben Sie sich zu früh gefreut. Masturbation steht natürlich auch auf der schwarzen Liste und wird auf unmenschliche Art verunmöglicht.
Wenn das alles nicht hilft und auch kühle Sitzbäder, Einläufe oder leichte Verbrennungen der «empfindlichen Teile des Sexualorgans» keine Wirkung zeigten, müsse man die Klitoris entfernen, empfiehlt Kellogg. Selbst Kinder müsste man die Hände bandagieren, um Selbstbefriedigung vorzubeugen. Als Alternative empfahl er auch patentierte Keuschheitsgürtel und Elektroschocks.
Ist Dr. John Harvey Kellogg also ein Monster? Die Antwort: Er weiss es einfach nicht besser. So glaubt der Amerikaner auch, die Darmflora lenke unsere Gesundheit. Flüssigkeiten müssen demnach von oben wie von unten in den Körper gebracht werden: Nach einem Wasser-Einlauf muss ein Patient beispielsweise einen halben Joghurt essen, wonach ihm die zweite Hälfte anal eingeführt wird. Nur so würden die Innereien richtig gereinigt.
Obwohl Kellogg heute nur noch für seine Flakes bekannt ist, entwickelte er auch ein Verfahren zur Herstellung von Erdnussbutter und einen Korn-Biscuit. Trotz der wenig attraktiven Kuren zählen später Stars wie der Literatur-Nobelpreisträger George Bernard Shaw, «Tarzan»-Darsteller Johnny Weissmuller, Erfinder Thomas Edison und der Industrielle Henry Ford zu seinen Patienten.
Doch Seelenfrieden finden die Kelloggs nicht: Die Brüder entzweien sich 1897, weil Will den Cornflakes Zucker beimengen will. Die beiden streiten vor Gericht jahrelang darum, wer die Rechte an den Cornflakes hat. Später schreibt John Will einen Brief, der den Streit beenden soll, doch Will bekommt ihm erst nach dem Tod seines Bruders anno 1943.
Der Grund: Johns Sekretärin weigert sich, ihn abzuschicken. Sie befindet, ihr Boss würde sich erniedrigen, falls der Adressat ihn bekommt.