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Grünes Gold aus Niederländisch-Indien

«Buitenzorg, Botanischer Garten, Sterculia mit Pernod/Bretterwurzeln». Stereo-Fotografie von Carl Schröter, 1898.
http://doi.org/10.3932/ethz-a-000069563
«Buitenzorg, Botanischer Garten, Sterculia mit Pernod/Bretterwurzeln». Stereo-Fotografie von Carl Schröter, 1898.Bild: ETH-Bibliothek

Grünes Gold aus Niederländisch-Indien

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts suchte das Binnenland Schweiz nach Wegen, um sich die unermessliche Vielfalt der tropischen Botanik nutzbar zu machen. In Buitenzorg auf Java wurde man fündig.
19.10.2024, 14:48
Gabriel Heim / Schweizerisches Nationalmuseum
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«Gerade weil wir keine Kolonien besitzen und schwerlich Aussicht haben, solche zu erwerben, so müssen wir Ausschau nach allen Regionen der Erde halten, um unseren wirtschaftlichen Einfluss nach aussen hin zu wahren», mahnt die Geographisch-ethnografische Gesellschaft Zürich in ihrem Jahresbericht von 1899/1900. Auch die kaufmännischen Gesellschaften sind angesichts des florierenden Überseehandels der europäischen Kolonialmächte besorgt: «Es ist zu bedauern, dass die Schweiz verurteilt ist, der grossen Bewegung fernzubleiben.»

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Die Sorge, dass dem Binnenland Schweiz der Zugang zu tropischen Früchten, Samen sowie zu «medicinischen Zwecken dienenden Drogen» nur sehr eingeschränkt möglich sei, beschäftigte die damals mit dem Aufbau wissenschaftlicher Sammlungen befassten Botaniker und Pharmazeuten des eidgenössischen Polytechnikums (ab 1911: ETH) seit geraumer Zeit. Zudem drängten die Labore der Nahrungsmittelhersteller auf «exotische» Naturprodukte zur Entwicklung neuer Techniken und Produkte.

«Im Vordergrund dieser Begehren stand das anwendungsorientierte Wissen für die Industrie», schreibt dazu der Historiker Andreas Zangger in seinem Standardwerk Koloniale Schweiz. Im Gegensatz zum britischen Weltreich oder zur Seegrossmacht Niederlande, die nach Belieben aus ihren Kolonien beschaffen konnten, war die Schweiz mit ihrem Begehren lange Zeit auf den patriotischen Goodwill ihrer überseeischen Landsleute oder auf dubiose Händler angewiesen, wobei Kosten stets vermieden werden sollten.

Der Bundesrat wünschte sich einen direkten Zugang zu tropischen Früchten.
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Meyers_Konversations-Lexikon_Bd._16_(1897)
Der Bundesrat wünschte sich einen direkten Zugang zu tropischen Früchten.Bild: Meyers Konversations-Lexikon, Band 16 (1897)

Deshalb wandte sich der Bundesrat 1883 in einem Bittbrief, dem Wunschlisten beigelegt waren, an Schweizer Vertretungen im Ausland. Die Resonanz war ernüchternd. «Auch wenn der gute Wille noch vorhanden wäre, fehle doch den meisten das Verständnis für derartige Arbeiten», lässt Vizekonsul Otto Dürler am 6. März 1884 aus Batavia (heute: Jakarta) den Bundesrat wissen.

Post aus Batavia: Die Korrespondenz zwischen Bundesrat und Konsulat liegt heute im Bundesarchiv.
https://www.recherche.bar.admin.ch/recherche/#/de/archiv/einheit/3288537?q=E80#1000/1126#1379*
Post aus Batavia: Die Korrespondenz zwischen Bundesrat und Konsulat liegt heute im Bundesarchiv.Bild: Schweizerisches Bundesarchiv

Einer hingegen erhörte die Bitte aus dem Alpenland. Melchior Treub, seit kurzem Direktor des bedeutenden botanischen Gartens in Buitenzorg («ohne Sorgen»), erklärte sich bereit, eine umfangreiche botanische Sammlung in die Schweiz zu verschicken. Ein guter Anfang, dem weitere Lieferungen folgen sollten.

Der heute in der indonesischen Provinz West-Java gelegene botanische Garten war 1817 am Sitz des niederländischen Gouverneurs gegründet worden, von wo aus er sich in den darauffolgenden Jahrzehnten zu einer der weltweit einflussreichsten und fortschrittlichsten botanischen Forschungs- und Lehrstätten entwickelte. Im Zentrum des Erfolgs von Buitenzorg stand die angewandte Botanik. Der Ort stand im Ruf eines «Botanischen Zentral-Instituts».

Wissenschaftler aus aller Welt arbeiteten dort in sogenannten Besucherlaboren und international tätige Agronomie-Konzerne errichteten auf seinem Gelände Prüfstationen für Zucker, Kaffee, Tabak oder Gummi (US-Rubber Plantations). Der Genfer Botaniker Bénédict Hochreutiner berichtete 1904 im Journal de Genève: «c’est pas un jardin, une station d'étude, un institut c'est une faculté des sciences orienté vers le botanique.»

Der Niederländer Treub, dessen Mutter Schweizerin war, begriff sofort, worum es in der hilfesuchenden Anfrage des Bundesrats ging. Mit seiner klug gewählten Auswahl ebnete er der Schweizer Wissenschaft den Weg in die Vielfalt und den Artenreichtum der tropischen Pflanzenwelt, wofür ihm der Bundesrat im November 1884 «hohe Anerkennung und unseren wärmsten Dank» aussprach.

Porträt von Melchior Treub, Direktor des botanischen Gartens in Buitenzorg.
https://hdl.handle.net/20.500.11840/299815
Porträt von Melchior Treub, Direktor des botanischen Gartens in Buitenzorg.Bild: Wereldmuseum Rotterdam

In den dreissig Jahren seines Direktorats (1880 bis 1910) intensivierte Melchior Treub die Verbindungen von Buitenzorg zur Schweiz. Ab 1902 finanzierte der Bund auf seine Anregung hin, ein «Buitenzorg-Stipendium», das Schweizer Botanikern jeweils ein Forschungsjahr auf Java ermöglichte.

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In der Folge hatten Wissenschaftler aus der Schweiz, wie Andreas Zangger feststellt, «im landwirtschaftlichen Dienst Niederländisch-Indiens gute Chancen. Insgesamt konnten 22 Botaniker ermittelt werden, welche im Zeitraum zwischen 1900 und 1930 eine Anstellung in den staatlichen Versuchsstationen oder bei einem der privat betriebenen Labore der angewandten Botanik angestellt waren.»

Viele von ihnen bekleideten in der Folge Professuren an Schweizer Hochschulen, andere wandten sich der Ethnologie zu oder wurden von der Schweiz in internationale Organisationen entsandt.

«Canariumallee im Botanischen Garten von Buitenzorg». Fotografie von Carl Schröter, 1898.
http://doi.org/10.3932/ethz-a-000069599
«Canariumallee im Botanischen Garten von Buitenzorg». Fotografie von Carl Schröter, 1898.Bild: ETH-Bibiliothek

Was mit einem Rundschreiben des Bundesrats im Jahr 1883 seinen Anfang genommen hatte, entwickelte sich in den darauffolgenden Jahrzehnten zu einem nachhaltigen Wissens- und Erkenntnisgewinn für die Schweiz. Kaum messbar – und wenig erforscht – ist die fruchtbare Hinterlassenschaft der frühen botanischen Lieferungen aus den Tropen in den Sammlungen der ETH und weiterer Universitäten sowie deren Gedeihen in den botanischen Gärten der Schweiz, wo über 100-jährige Baumriesen «exotischer» Provenienz noch heute bestaunt werden können.

Lieferschein für Pflanzen, Früchte und getrocknete Botanik aus Japan, 1901.
https://www.recherche.bar.admin.ch/recherche/#/de/archiv/einheit/3288537?q=E80#1000/1126#1379*
Lieferschein für Pflanzen, Früchte und getrocknete Botanik aus Japan, 1901.Bild: Schweizerisches Bundesarchiv

Wie eng die Verbindungen waren, belegen die vielfältigen Glasplattennegative und fotografischen Dokumente aus Buitenzorg im Bildarchiv der ETH. Sie verweisen eindrücklich auf diese Episode der schweizerischen Kolonialgeschichte.

Der 80 Hektar grosse Botanische Garten von Bogor (Kebun Raya Bogor) ist mit seinen 15’000 Arten von Bäumen und Pflanzen nach wie vor ein wichtiges Zentrum der botanischen Forschung.

«Buitenzorg, Botanischer Garten, Ficus Elastica mit "Jongens" Ngut 1898». Foto von Carl Schröter und Maurice Pernod.
http://doi.org/10.3932/ethz-a-000069583
«Buitenzorg, Botanischer Garten, Ficus Elastica mit ‹Jongens› Ngut 1898». Foto von Carl Schröter und Maurice Pernod.Bild: ETH-Bibliothek
kolonial — Globale Verflech­tun­gen der Schweiz
13.09.2024 – 19.01.2025
Landesmuseum Zürich

Ab dem 16. Jahrhundert waren Personen und Unternehmen aus der Eidgenossenschaft mit dem kolonialen System eng verflochten. Einzelne Schweizer Firmen sowie Privatpersonen beteiligten sich am transatlantischen Sklavenhandel und verdienten am Handel mit Kolonialprodukten und durch die Ausbeutung versklavter Menschen ein Vermögen. Schweizerinnen und Schweizer waren als Missionare auf der ganzen Welt unterwegs. Andere dienten, getrieben von Armut oder Abenteuerlust, als Söldner in europäischen Heeren, die koloniale Eroberungen machten und den Widerstand der indigenen Bevölkerungen bekämpften. Aber auch Fachleute aus der Schweiz stellten ihr Wissen in den Dienst der Kolonialmächte. An den Universitäten Zürich und Genf wurde zudem rassistisches Denken gelehrt, das international verbreitet wurde und der Legitimation des kolonialen Systems diente.

Basierend auf neusten Forschungsresultaten, anhand von konkreten Beispielen und illustriert mit Objekten, Kunstwerken, Fotografien und Dokumenten bietet die Ausstellung im Landesmuseum Zürich erstmals einen umfassenden Überblick über die koloniale Verflechtungsgeschichte der Schweiz. Mit Aktualitätsbezügen geht sie ausserdem der Frage nach, was das koloniale Erbe für die Schweiz der Gegenwart bedeutet.
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Grünes Gold aus Niederländisch-Indien» erschien am 15. Oktober.
blog.nationalmuseum.ch/2024/10/gruenes-gold-aus-niederlaendisch-indien
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