«Gerade weil wir keine Kolonien besitzen und schwerlich Aussicht haben, solche zu erwerben, so müssen wir Ausschau nach allen Regionen der Erde halten, um unseren wirtschaftlichen Einfluss nach aussen hin zu wahren», mahnt die Geographisch-ethnografische Gesellschaft Zürich in ihrem Jahresbericht von 1899/1900. Auch die kaufmännischen Gesellschaften sind angesichts des florierenden Überseehandels der europäischen Kolonialmächte besorgt: «Es ist zu bedauern, dass die Schweiz verurteilt ist, der grossen Bewegung fernzubleiben.»
Die Sorge, dass dem Binnenland Schweiz der Zugang zu tropischen Früchten, Samen sowie zu «medicinischen Zwecken dienenden Drogen» nur sehr eingeschränkt möglich sei, beschäftigte die damals mit dem Aufbau wissenschaftlicher Sammlungen befassten Botaniker und Pharmazeuten des eidgenössischen Polytechnikums (ab 1911: ETH) seit geraumer Zeit. Zudem drängten die Labore der Nahrungsmittelhersteller auf «exotische» Naturprodukte zur Entwicklung neuer Techniken und Produkte.
«Im Vordergrund dieser Begehren stand das anwendungsorientierte Wissen für die Industrie», schreibt dazu der Historiker Andreas Zangger in seinem Standardwerk Koloniale Schweiz. Im Gegensatz zum britischen Weltreich oder zur Seegrossmacht Niederlande, die nach Belieben aus ihren Kolonien beschaffen konnten, war die Schweiz mit ihrem Begehren lange Zeit auf den patriotischen Goodwill ihrer überseeischen Landsleute oder auf dubiose Händler angewiesen, wobei Kosten stets vermieden werden sollten.
Deshalb wandte sich der Bundesrat 1883 in einem Bittbrief, dem Wunschlisten beigelegt waren, an Schweizer Vertretungen im Ausland. Die Resonanz war ernüchternd. «Auch wenn der gute Wille noch vorhanden wäre, fehle doch den meisten das Verständnis für derartige Arbeiten», lässt Vizekonsul Otto Dürler am 6. März 1884 aus Batavia (heute: Jakarta) den Bundesrat wissen.
Einer hingegen erhörte die Bitte aus dem Alpenland. Melchior Treub, seit kurzem Direktor des bedeutenden botanischen Gartens in Buitenzorg («ohne Sorgen»), erklärte sich bereit, eine umfangreiche botanische Sammlung in die Schweiz zu verschicken. Ein guter Anfang, dem weitere Lieferungen folgen sollten.
Der heute in der indonesischen Provinz West-Java gelegene botanische Garten war 1817 am Sitz des niederländischen Gouverneurs gegründet worden, von wo aus er sich in den darauffolgenden Jahrzehnten zu einer der weltweit einflussreichsten und fortschrittlichsten botanischen Forschungs- und Lehrstätten entwickelte. Im Zentrum des Erfolgs von Buitenzorg stand die angewandte Botanik. Der Ort stand im Ruf eines «Botanischen Zentral-Instituts».
Wissenschaftler aus aller Welt arbeiteten dort in sogenannten Besucherlaboren und international tätige Agronomie-Konzerne errichteten auf seinem Gelände Prüfstationen für Zucker, Kaffee, Tabak oder Gummi (US-Rubber Plantations). Der Genfer Botaniker Bénédict Hochreutiner berichtete 1904 im Journal de Genève: «c’est pas un jardin, une station d'étude, un institut c'est une faculté des sciences orienté vers le botanique.»
Der Niederländer Treub, dessen Mutter Schweizerin war, begriff sofort, worum es in der hilfesuchenden Anfrage des Bundesrats ging. Mit seiner klug gewählten Auswahl ebnete er der Schweizer Wissenschaft den Weg in die Vielfalt und den Artenreichtum der tropischen Pflanzenwelt, wofür ihm der Bundesrat im November 1884 «hohe Anerkennung und unseren wärmsten Dank» aussprach.
In den dreissig Jahren seines Direktorats (1880 bis 1910) intensivierte Melchior Treub die Verbindungen von Buitenzorg zur Schweiz. Ab 1902 finanzierte der Bund auf seine Anregung hin, ein «Buitenzorg-Stipendium», das Schweizer Botanikern jeweils ein Forschungsjahr auf Java ermöglichte.
In der Folge hatten Wissenschaftler aus der Schweiz, wie Andreas Zangger feststellt, «im landwirtschaftlichen Dienst Niederländisch-Indiens gute Chancen. Insgesamt konnten 22 Botaniker ermittelt werden, welche im Zeitraum zwischen 1900 und 1930 eine Anstellung in den staatlichen Versuchsstationen oder bei einem der privat betriebenen Labore der angewandten Botanik angestellt waren.»
Viele von ihnen bekleideten in der Folge Professuren an Schweizer Hochschulen, andere wandten sich der Ethnologie zu oder wurden von der Schweiz in internationale Organisationen entsandt.
Was mit einem Rundschreiben des Bundesrats im Jahr 1883 seinen Anfang genommen hatte, entwickelte sich in den darauffolgenden Jahrzehnten zu einem nachhaltigen Wissens- und Erkenntnisgewinn für die Schweiz. Kaum messbar – und wenig erforscht – ist die fruchtbare Hinterlassenschaft der frühen botanischen Lieferungen aus den Tropen in den Sammlungen der ETH und weiterer Universitäten sowie deren Gedeihen in den botanischen Gärten der Schweiz, wo über 100-jährige Baumriesen «exotischer» Provenienz noch heute bestaunt werden können.
Wie eng die Verbindungen waren, belegen die vielfältigen Glasplattennegative und fotografischen Dokumente aus Buitenzorg im Bildarchiv der ETH. Sie verweisen eindrücklich auf diese Episode der schweizerischen Kolonialgeschichte.
Der 80 Hektar grosse Botanische Garten von Bogor (Kebun Raya Bogor) ist mit seinen 15’000 Arten von Bäumen und Pflanzen nach wie vor ein wichtiges Zentrum der botanischen Forschung.