Die Aa muss im April 1935 in Engelberg ein trauriges Bild abgegeben haben. Der Fluss war eine Abfalldeponie. Hauskehricht, Abfälle aus der Landwirtschaft, Müll aus den Kurhäusern und Unrat aus den Handwerksbetrieben landeten allesamt im Wasser.
An den damals deutlich sichtbaren Verunreinigungen störte sich aber kaum wer. Einzig der Sportfischerverein Obwalden protestierte bei der Gemeinde und beim Kanton, denn er sorgte sich um die Fischbestände im Fluss.
Die Gemeinde Engelberg sah aber kein Problem: Da im Gebiet der Deponie keine Forellen lebten, sei die Fischerei davon ja nicht betroffen. Dass die Schadstoffe aus den Abfällen die Engelberger Aa auch flussabwärts bis in den Vierwaldstättersee verunreinigten und dort Fischpopulationen auslöschten oder dezimierten, lag ausserhalb der Vorstellungskraft der Gemeinde.
Bis in die 1950er-Jahre waren Gewässerverschmutzungen wie diese in der gesamten Schweiz weit verbreitet. Heute zeigt sich die Situation deutlich gebessert. Die Gewässer sind sauberer und gesünder geworden. Da stellt sich die Frage: In welchen Schritten entstand und entwickelte sich der Gewässerschutz in der Schweiz? Welche Akteure traten dabei besonders in Erscheinung? Und welche Rolle spielten dabei Sportfischerinnen und Sportfischer wie jene in Obwalden?
In der ersten Phase des Gewässerschutzes – vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts – bezog sich der Schutz eher auf die Zivilisation als auf die Gewässer. Mit Wildbachverbauungen, Flusskanalisierungen und Seeregulierungen wollte der Mensch den grösstmöglichen Schutz vor den Gefahren des Wassers erreichen. Zudem nahm der Druck auf die Gewässer durch das starke Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum nach dem Zweiten Weltkrieg weiter zu. Immer mehr Abfälle, chemische Schadstoffe aus der Industrie und ungeklärte Abwasser landeten im Wasser.
Obwohl das revidierte Fischereigesetz von 1888 das Einleiten von Schadstoffen und Industrieabfällen in Gewässer verbot, waren in den 1950er-Jahren viele Gewässer in der Schweiz tot. So verhinderten Verbauungen sowie Kraftwerke die Fischwanderung und Fischsterben aufgrund der Einleitung giftiger Schadstoffe waren fast alltäglich.
Erst durch verschärfte Gesetzgebung, veränderte politische Themensetzung, technische Entwicklungen und einen Wandel der öffentlichen Meinung verbesserte sich ab 1950 der ökologische Zustand der Gewässer und ihre Funktion als Lebens- und Erholungsraum kontinuierlich.
1955 erliess das Parlament das erste Gewässerschutzgesetz. Dieses markierte einen wichtigen Paradigmenwechsel. Mit dem Gesetz erhielt der Bund erstmals die Kompetenz, die Schweizer Gewässer vor Verunreinigungen zu schützen. Zwar veränderte das Gesetz zunächst wenig, so waren beispielsweise noch 1963 nur 14 % der Schweizer Bevölkerung an das Abwassersystem angeschlossen. Doch das Gesetz von 1955 war der Türöffner für weitere rechtliche Bestimmungen zum Schutz der Gewässer.
Mit dem Natur- und Heimatschutzgesetz (1967), dem zweiten Gewässerschutzgesetz (1972) und dem dritten Fischereigesetz (1975) erhielt der Bund zusätzliche Befugnisse und förderte den Ausbau von Kläranlagen durch massive Subventionierung. Durch diese Massnahmen verringerte sich die Verschmutzung der Gewässer deutlich. Doch wie kam es dazu, dass sich der Bund auf einmal dem Gewässerschutz angenommen hatte? Welche Akteure drängten auf mehr staatliche Ressourcen für saubere und gesunde Gewässer?
Ab den 1940er-Jahren trugen Medien wie die Neue Zürcher Zeitung dazu bei, dass der Gewässerschutz zu einem öffentlichen Thema wurde. Die Zeitungen berichteten über Verschmutzungen, boten den forschenden Promotoren des Gewässerschutzes eine Plattform und schufen damit einen einfachen Zugang zu relevanten Informationen. In den frühen 1960er-Jahren war das Thema Gewässerverschmutzung in den Schweizer Medien allgegenwärtig, womit der Druck für staatliches Handeln zunahm.
Daneben entwickelten sich die Sportfischerinnen und Sportfischer ab 1950 als direkt Betroffene zu einem wichtigen Akteur und zur Projektionsfläche des Wasserschutzdiskurses. Durch den regelmässigen Besuch von Gewässern eigneten sie sich viel Erfahrungswissen an und hatten bereits früh vor der Gewässerverschmutzung gewarnt. Besonders aktiv waren der Schweizerische Fischerei-Verband und seine kantonalen Sektionen. Sie forderten die Umsetzung der Bundesgesetze, betrieben Aufklärungsarbeit über die Medien und verknüpften in ihren Forderungen für mehr Gewässerschutz fachwissenschaftlichen Informationen mit dem praktischen Wissen ihrer Basis.
Unterstützung erhielten die Fischerinnen und Fischer durch Organisationen aus dem Natur- und Heimatschutz. Angeführt vom Schweizerischen Bund für Naturschutz (heute Pro Natura) entstand bereits Anfang des 20. Jahrhunderts eine patriotische Naturschutzbewegung. Der nationale Reichtum zeige sich in der Natur und diese soll gegen negative Einflüsse von Modernisierungsprozessen geschützt werden. Der Zweck des Gewässerschutzes bestand dabei einzig und allein darin, die natürliche Schönheit der Landschaft zu erhalten. In diesen Vorstellungen stellte auch die Fischerei ein Element des «Schweizer Charakters» dar und wurde damit als Teil der patriotischen Heimatschutzbewegung gesehen.
Durch fruchtbare Zusammenarbeit erreichten die am Gewässerschutz interessierten Akteure (Fischereikreise, Naturschutzorganisationen, Forschungseinrichtungen, Medien), dass ab den 1950er-Jahren eine tiefgreifende Veränderung der staatlichen Gewässerschutzmassnahmen stattfand. Verschmutzungen zu reduzieren war nun das Ziel.
In den 1990er-Jahre veränderte sich der Blick auf die Gewässer von Neuem. Ergänzend zur Reduzierung von Schadstoffeinträgen mittels technischer Massnahmen, setzte sich zunehmend eine ganzheitliche Betrachtung der Gewässer als ein bedrohter Teil der Natur durch. Im vierten Fischereigesetz (1991) sowie im dritten und vierten Gewässerschutzgesetz (1991, 2011) fanden vermehrt ökologische Aspekte Eingang.
Erreicht werden sollten diese Ziele durch Revitalisierungen von Gewässern und durch die Verringerung der negativen Auswirkungen der Wasserkraftnutzung. Revitalisierungen, Restwassermengen und Fischtreppen prägten von nun an den Gewässerschutzdiskurs. Was diese Entwicklungen konkret bedeuten, zeigt sich an einem weiteren Beispiel aus Obwalden.
Seit 1955 besteht an der Sarner Aa zwischen Sarnen und Alpnach ein Wasserkraftwerk, das den Fluss zum Wichelsee aufstaut. Die Wasserkraftnutzung legte den Flusslauf unterhalb des Stauwehrs für zehn bis elf Monate im Jahr trocken. Der Sportfischerverein Obwalden forderte vor dem Bau des Kraftwerks zwar eine ausreichende Restwassermenge und den Bau einer Fischtreppe, die die Wanderung der Fische vom See her gewährleisten solle.
Doch vergebens, die gewässerökologischen Forderungen des Sportfischervereins unterlagen betriebswirtschaftlichen Überlegungen der Nutzenmaximierung. Das Restwasser blieb aus, die Sarner Aa war tot und die Hauptwanderroute der Fische in Obwalden unterbrochen.
Erst in den 1990er-Jahren veränderte sich die Lage an der Sarner Aa. In einer gewässerökologischen Studie empfahl der Biologe Ueli Rippmann von der «vorbehaltlosen 100%igen Nutzungsphilosophie» wegzukommen und den Fluss durch eine Restwassermenge sowie durch eine Fischtreppe zu revitalisieren. Tatsächlich nahm der Kanton die Empfehlungen des Gutachtens auf, deren Umsetzung der Obwaldner Fischereiverein mit Nachdruck einforderte. Heute sind die Massnahmen umgesetzt und der ehemals trockengelegte Flusslauf ist wieder ein lebendiges Gewässer.
In Obwalden zeigt sich an der Engelberger und Sarner Aa exemplarisch die Entwicklung des Gewässerschutzes in der Schweiz. Politik und Verwaltung behandelten den Gewässerschutz bis ins 21. Jahrhundert tendenziell reaktiv: Zuerst aus Unkenntnis der Problemlage, später wegen der Priorisierung der wirtschaftlichen Nutzung des Wassers. Es benötigte die koordinierte Handlung von Wissenschaft, Fischerei, Naturschutz und Journalismus, um Denken und Handeln des Staates sowie auch der Gesellschaft zu verändern. Schrittweise gelang es diesen Akteuren zunächst gegen die Verschmutzung der Gewässer vorzugehen und schliesslich die ökologische Inwertsetzung der Gewässer voranzutreiben.
Wir haben NULL gelernt…
Und wieder steht Gewinnmaximierung (Geld) einer kleinen Gruppe über dem Wohl der Gesamtheit.
Rechnet man dies auf die Treibhausgase auf, schwant mir Übelstes.