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Die dramati­sche Rettung der Komponistengebeine

Gruseliges Gedenkobjekt: der Glassarkophag mit den Gebeinen von Alberik Zwyssig.
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Gruseliges Gedenkobjekt: der Glassarkophag mit den Gebeinen von Alberik Zwyssig.Bild: Staatsarchiv Uri / Fotosammlung / Bauen

Die dramati­sche Rettung der Komponistengebeine

Ein unglückliches Leben hatte Alberik Zwyssig (1808–1854), der musikalische Mönch aus Uri und Komponist des Schweizerpsalms. Post mortem wurde im Zweiten Weltkrieg dann noch seine Leiche ausgegraben und umgebettet.
16.03.2024, 20:53
Michael van Orsouw / Schweizerisches Nationalmuseum
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Alberik Zwyssigs Vater, ein rauer Geselle, geriet in ein Handgemenge und wurde unter Vormundschaft gestellt. Daraufhin verdingte er sich als niederländischer Söldner, wo er prompt auf dem Feld sein Leben lassen musste. Mutter Zwyssig stand mit fünf Kindern alleine da, darunter Johann Josef Maria Georg.

Der Junge wuchs mal hier, mal dort bei Verwandten auf. Dann fand er im Alter von 19 Jahren Zuflucht in der Welt eines Zisterzienserklosters, wo er Mönch wurde und den Namen Pater Alberik oder Albericus annahm – bis sein Kloster Wettingen 1841 von einem Tag auf den anderen aufgehoben wurde.

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Eine Komposition überdauerte sein turbulentes Leben: der Mönch Alberik Zwyssig auf einem Wachsporträt, um 1840.
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Eine Komposition überdauerte sein turbulentes Leben: der Mönch Alberik Zwyssig auf einem Wachsporträt, um 1840.Bild: Bernisches Historisches Museum/Nadja Frey

Innert 48 Stunden mussten die Mönche aus dem Kanton Aargau verschwinden. Alberik Zwyssig floh in den Kanton Zug und bekam Asyl bei seinem Bruder Peter, bis dieser seinen Landsitz verkaufen musste. Pater Albericus versuchte daraufhin, mit Ordenskollegen aus Wettingen einen neuen Konvent im ehemaligen Franziskanerkloster Werthenstein im Luzernischen zu etablieren. Doch das misslang.

Deshalb war Zwyssig froh, als Musiklehrer im Zisterzienserinnenkloster im Kloster Wurmsbach bei Rapperswil-Jona (SG) wirken zu können. 1854 zog er mit sechs Patres und drei Brüdern weiter ins ehemalige Benediktinerkloster Mehrerau bei Bregenz. Doch schon ein halbes Jahr nach dem Neustart im Voralberg starb Zwyssig an einer Lungenentzündung, einen Tag nach seinem 46. Geburtstag.

Die letzte Wirkungsstätte Zwyssigs: das Kloster Mehrerau bei Bregenz, um 1890.
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Die letzte Wirkungsstätte Zwyssigs: das Kloster Mehrerau bei Bregenz, um 1890.Bild: ETH-Bibliothek

Frieden während seines unruhigen Lebens hatte Alberik Zwyssig wohl nur in der Welt der Musik gefunden, wo er nicht ständig weitergejagt wurde. Er spielte Klavier, Orgel, Violine, Gitarre und verschiedene Blasinstrumente. Und er komponierte, beispielsweise 1841 den Schweizerpsalm mit den berühmten Zeilen «Trittst im Morgenrot daher, seh ich Dich im Strahlenmeer…». Das Lied überlebte seinen Schöpfer und erfreute sich an den zahlreichen Sängerfesten des 19. Jahrhunderts grosser Beliebtheit, auch wenn es eher wie ein Kirchenlied klang und auch Eingang in Kirchengesangsbücher fand.

Das Lied, das nationale Bedeutung erlangte: die Originalhandschrift des «Schweizer Psalms», 1841.
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Das Lied, das nationale Bedeutung erlangte: die Originalhandschrift des «Schweizer Psalms», 1841.Bild: Schweizerische Nationalbibliothek

Zwyssigs Schweizerpsalm war damit ein bekanntes Lied, doch noch weit davon entfernt, die Schweizer Nationalhymne zu sein. Ein erster Anlauf scheiterte grandios: 1894 sollte der Schweizerpsalm offiziell zur Nationalhymne der Schweiz erkürt werden, doch der Schweizer Sängerverein stellte sich strikt dagegen, weil Zwyssigs Melodie beim Singen «harmonische und rhythmische Schwierigkeiten» bereite.

So wurde es still um Zwyssig und seinen Schweizerpsalm. Erst im Zweiten Weltkrieg geriet der komponierende Mönch wieder in die Schlagzeilen. Denn zwei Ereignisse warfen gleichzeitig ein Schlaglicht auf Zwyssig und den Schweizerpsalm. Zum einen wurde das Lied 100 Jahre alt, und in Zug, am Ort der Erstaufführung des Psalms, feierte man das Ereignis ausgiebig. Schliesslich herrschte damals der Zweite Weltkrieg, da kam jede Besinnung auf Schweizerisches wie gerufen. 1941 stürmten nationalsozialistische Soldaten der Gestapo und der SS das Kloster Mehrerau in Bregenz, wo Pater Albericus beerdigt worden war. Ein Pater beobachtete die «ungehobelten Lederhösler und Alltagszivilträger, Männer der Gestapo Innsbruck und SS-Männer».

Der Geistliche bekam daraufhin einen «Gauverweis» aufgebrummt, musste also sofort das Deutsche Reich verlassen, weil er sich angeblich gegen den «Anschluss» Österreichs an Nazideutschland gestellt habe. Der Zuger Rechtsanwalt Paul Aschwanden (1911–1984) hörte davon und befürchtete aufgrund des Einfalls der Nationalsozialisten im Kloster Mehrerau eine Leichenschändung des bekannten Komponisten Zwyssig. Er schrieb an den Zuger Bundesrat Philipp Etter (1891–1977) und bat, etwas «für die Überführung der sterblichen Überreste dieses grossen Schweizers in sein Heimatland» zu unternehmen.

Er half mit bei der Überführung von Zwyssigs Gebeinen: der Zuger Bundesrat Philipp Etter, 1943.
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Er half mit bei der Überführung von Zwyssigs Gebeinen: der Zuger Bundesrat Philipp Etter, 1943.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Etter, zuständig für die Geistige Landesverteidigung, beschützte alles, was auch im Entferntesten zur Schweizer Identität und Kultur dazugehören könnte – in diesem Fall auch die Gebeine des schon lange verstorbenen Komponisten. Daraufhin wurde das Schweizer Konsulat in Bregenz aktiv und sondierte im Auftrag des Bundesrates in Berlin, ob eine solch aussergewöhnliche Heimführung möglich sei.

Das Auswärtige Amt der Nationalsozialisten hatte grundsätzlich keine Bedenken gegen die Überführung, sofern keine politische Demonstration damit verbunden sei. Damit war Bundesrat Etter einverstanden, der das als freundschaftlichen Akt der Deutschen interpretierte, «den wir dankbar anerkennen müssen». Etter schlug zudem vor, die sterblichen Überreste Zwyssigs nach Bauen am Vierwaldstättersee zu bringen, wo der Mönch 1808 zur Welt gekommen war.

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Und tatsächlich: Die Leiche wurde am Freitag, den 14. August 1942, um 16.00 Uhr, in Mehrerau unter Aufsicht des Amtsarztes von Bregenz ausgegraben und in eine hölzerne Transporttruhe gelegt. In einem Privatwagen fuhr daraufhin der Schweizer Konsul Carl Bitz nach Altdorf, wo Zwyssigs sterbliche Überreste in die Ölbergkapelle kamen. Danach gelangten sie ins Pfarrhaus von Bauen. Denn dort, im Geburts- und Heimatort Zwyssigs, sollten sie die ewige Ruhe finden.

Die neue Grabnische für P. Alberik Zwyssig in der Pfarrkirche von Bauen.
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Die neue Grabnische für P. Alberik Zwyssig in der Pfarrkirche von Bauen.Bild: Staatsarchiv Uri / Fotosammlung / Bauen

Doch bis dahin verging mehr als ein Jahr. Erst am 18. November 1943, dem 89. Todestag des Komponisten, fand die zweite Beisetzung an seinem Geburtsort Bauen statt, mit staatstragenden Reden von Bundesrat Etter und Retter Aschwanden, in einem aufsehenerregenden Glassarkophag, damit Schädel und Knochen des berühmten Urners auch ja alle Anwesenden zu sehen bekamen. Diese Glaskiste wurde in die Pfarrkirche Bauen eingemauert und mit einer Gedenkplatte versehen – obwohl zu diesem Zeitpunkt der Schweizerpsalm noch immer nicht die offizielle Nationalhymne war.

Erst 1961 wurde dann Zwyssigs Schweizerpsalm vom Bundesrat zur Nationalhymne erhoben, allerdings vorerst nur probehalber für drei Jahre. Nach Ablauf der Frist sprachen sich zwölf Kantone für den Schweizerpsalm aus, aber sechs Stände lehnten noch immer ab; und sieben plädierten für eine Verlängerung der Probezeit. Insgesamt dauerte die Probezeit für Zwyssigs Lied 20 Jahre (!) lang, erst dann kam der Ritterschlag: Der Schweizerpsalm wurde 1981 endlich zur Schweizer Nationalhymne erklärt, genau 140 Jahre nach seiner Erstaufführung.

Das Denkmal für Zwyssig in Bauen: 1943 wurde er hier in der Nähe ein zweites Mal bestattet.
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Das Denkmal für Zwyssig in Bauen: 1943 wurde er hier in der Nähe ein zweites Mal bestattet.Bild: Gemeinde Seedorf/Valentin Luthiger
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Die dramati­sche Rettung der Komponistengebeine» erschien am 27. Februar und wurde am 8. März aktualisiert.
blog.nationalmuseum.ch/2024/02/die-dramatische-rettung-der-komponistengebeine
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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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T.M.M.
16.03.2024 21:27registriert September 2023
Danke für diesen interessanten Artikel! 100 Jahre vorher hätte ein katholischer Komponist wohl keine Chance gehabt. Zeigt schön, wie die Schweiz zur Einheit über die Konfessionsgrenzen hinaus wurde.
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