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Ein Tropen­in­sti­tut gegen die Arbeitslosigkeit

Test mit Insektiziden im Garten des Schweizerischen Tropeninstituts während eines Malariakurses 1958.
Test mit Insektiziden im Garten des Schweizerischen Tropeninstituts während eines Malariakurses 1958.Bild: Swiss TPH Library, Allschwil

«Der Schweizer aber wandert gerne aus» – ein Tropen­in­sti­tut gegen die Arbeitslosigkeit

Das Schweizerische Tropeninstitut wurde 1943 aus Befürchtung einer Nachkriegs-Arbeitslosigkeit gegründet. Es sollte die Auswanderung junger Menschen nach Afrika und in die tropischen Regionen der Welt fördern.
01.03.2025, 17:2101.03.2025, 17:21
Gabriel Heim / Schweizerisches Nationalmuseum

Im Jahr 1942 ging im Bundesrat, und in der Bevölkerung die Sorge um, dass das Land bei Kriegsende von einer rasch anwachsenden Arbeitslosigkeit erfasst werden könnte. Der Schweiz sass das Gespenst der Wirtschaftskrise von 1918 noch im Nacken. Diesmal sollten rechtzeitig Vorkehrungen getroffen werden, die einer drohenden Konjunkturflaute vorbeugen konnten, denn ein vom Krieg zerstörtes Europa versprach Elend – auch für die Schweiz.

In dieser weitverbreiteten Annahme wurden Vorschläge zur Arbeitsbeschaffung gesucht. Auch solche, die einem prognostizierten Heer von arbeitslosen Akademikern Beschäftigung bieten konnten. Deshalb forderte der Delegierte des Bundesrats für Arbeitsbeschaffung, Otto Zipfel, die Schweizer Universitäten im Oktober 1942 dazu auf, Projekte zu benennen, die der Industrie, dem Gewerbe und der Landwirtschaft vermehrt Arbeit und Nutzen bringen und die geeignet sind, den Fremdenverkehr und den Export zu heben.

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An der Universität Basel fiel das Rundschreiben aus Bern auf fruchtbaren Boden. Eine Gruppe von Professoren machte sich sogleich an die Arbeit, um für das weltläufige Basel die Errichtung eines nationalen Tropeninstituts zu reklamieren. Mit ihren Argumenten liessen die Basler keine Zweifel darüber zu, dass es dafür nur einen Standort in der Schweiz geben könne, ihren Stadtkanton. Dieser verfüge mit seinem weltumspannenden Missionswerk, seiner renommierten chemischen und pharmazeutischen Industrie, dem sachkundigen Völkerkundemuseum und dem artenreichen Zolli über beste Verbindungen zum «Schwarzen Kontinent» und in die Tropen.

Luftaufnahme des Basler Zoos, 1954.
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Luftaufnahme des Basler Zoos, 1954.Bild: e-pics

Doch das allein war nicht ausreichend. Es ging nicht nur um die Idee, sondern auch um Geld und Arbeitsbeschaffung. Also führte man auch harte Fakten ins Feld, um die Politik für die Errichtung eines Tropeninstituts im Binnenland zu gewinnen. Der umfangreiche Kriterien-Katalog der findigen Initianten zielte zunächst auf die erwartete Welle auswanderungswilliger Schweizerinnen und Schweizer, die nach Kriegsende das Land verlassen würden: «Die engere wirtschaftliche Verflechtung unseres Landes mit den Tropen, wird vermutlich die Zahl der dorthin auswandernden oder von dort zurückkehrenden Schweizer erheblich steigern.»

Da das Konzept auch eine tropenärztliche Ausbildung und sogar ein Tropenspital vorsah, rechnete man dies gewinnbringend hoch: «Infolge des Krieges befinden sich gegenwärtig gewaltige Massen von Menschen aus den gemässigten Zonen in den tropischen Ländern. Es besteht Aussicht auf den Zustrom solcher Kranken auch in die Schweiz. Kommt hinzu, dass die Schweiz in ihren Gebirgsstationen ideale Kurorte für Malaria-Rekonvaleszenten besitzt.»

Das Tropeninstitut (rechts) und die dazugehörende Klinik (links) an der Basler Socinstrasse bildeten ab 1947 eine Einheit.
Das Tropeninstitut (rechts) und die dazugehörende Klinik (links) an der Basler Socinstrasse bildeten ab 1947 eine Einheit.Bild: Swiss TPH Library, Allschwil

Auch die Patrons der Basler Industrie holte man mit an Bord: «Ein tropen-medizinisches Institut bietet der schweizerischen chemisch-pharmazeutischen Industrie neue Möglichkeiten. Es handelt sich nicht nur darum, Heilmittel für tropenkranke Europäer herzustellen, sondern vor allem auch neue Pharmaka zur Heilung der kranken einheimischen Bevölkerung. Die Möglichkeiten auf diesem Gebiet sind gewaltig, auch auf dem Gebiet der tropischen Schädlingsbekämpfung. Hier handelt es sich um ein weites und für uns neues Arbeitsfeld, dessen Erforschung zu grossen Hoffnungen berechtigt.»

Und nicht zu vernachlässigen – so die Annahme – könnte eine Basler Tropenausbildung die drohende Schweizer Ärzteschwemme mildern: «Damit wäre einer grossen Zahl junger Ärzte ein fruchtbares Arbeitsfeld eröffnet. Auf diese Weise könnte der Ärzteüberschuss wenigstens teilweise absorbiert werden.»

Inserat für die Ausbildung am Basler Tropeninstitut in der Zeitung Die Tat, Dezember 1943.
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Inserat für die Ausbildung am Basler Tropeninstitut in der Zeitung Die Tat, Dezember 1943.Bild: e-newspaperarchives

Die Summe dieser und weiterer Argumente vermochte die Bundesbehörden zu überzeugen, was in Basel Anfang 1943 sogleich zur Gründung eines Komitees führte, das dank seiner engen Verflechtungen mit der pharmazeutischen und chemischen Industrie auf einflussreiche Befürworter zählen konnte. Zu diesen gehörte von Anfang an auch der Zoologe Rudolf Geigy (1902–1995), der sich mit Enthusiasmus und Tatkraft als erster Vorsteher dem Aufbau des Instituts widmete. Anfang 1944 wurde eine dreijährige «Erprobungsfrist» mit einem Zuschuss des Bundes sowie mit jährlichen Zuwendungen des Kantons gesichert.

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Am 17. Januar 1944 ging der Ausbildungsbetrieb der Anstalt zur Förderung der Tropenkunde an den Start. Erste Lehrfächer der Tropenschule waren: Erreger und Überträger tropischer Krankheiten, tropische Pflanzen und Landwirtschaft sowie ein Kurs in tropischer Warenkunde. Auch Tropenhygiene wurde gelehrt. Neben dem Allgemeinen Vorbereitungskurs für Auswanderer wurden Lehrgänge für angehende Pflanzer und Zuckerchemiker etabliert. Die breit angelegte Ausbildung befasste sich auch mit Motorenkunde, Feldvermessung, Problemen der Schweizer Kolonien in Übersee, dem Termitenschutz oder den Religionen tropischer Völker.

Das Diplom befähigte die Absolventinnen und Absolventen, wobei nur ärztlich als «tropentauglich» eingestufte Schülerinnen und Schüler zugelassen wurden, auch als «Kaffee-, Tee-, Sisal- oder Gummipflanzer in Übersee tätig zu sein». Den Zuckerchemikern stellte man eine Karriere als Fabrikationschef, den Pflanzern eine Position als Manager ausgedehnter Plantagen in Aussicht.

Blick in den Hörsaal der Forschungsabteilung, wo 1947 ein allgemeiner Tropenkurs stattfand.
Blick in den Hörsaal der Forschungsabteilung, wo 1947 ein allgemeiner Tropenkurs stattfand.Bild: Swiss TPH Library, Allschwil

Wie ungebrochen die Überzeugung damals war, die schweizerische Arbeitsmarktpolitik durch Auswanderung regulieren zu können, bezeugen Publikationen der Sektion für Arbeitskraft und Auswanderung des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit (BIGA). Noch 1950 veröffentlichte das BIGA ein Vademecum für Auswanderer, in dessen Vorwort zu lesen ist: «Die Angehörigen zahlreicher Staaten müssen auswandern, um nicht in ihrem armen, übervölkerten Heimatland zu verhungern. Der Schweizer aber wandert gerne aus. Vielleicht wird auch er eines Tages gezwungen sein auszuwandern.»

Für den Zoologen Rudolf Geigy hingegen, der sich gerne als «Freund der Gliederfüssler» bezeichnete, war der Aufbau des Tropeninstituts, neben der intensiven Lehrtätigkeit, eng mit der Erforschung tropischer Krankheiten und deren Übertragung durch Insekten und Zecken auf den Menschen verbunden. Schon im ersten Geschäftsbericht von 1944 gab er zu Protokoll: «Unser ganzes Unternehmen kann nur auf dem Boden aktiver Forschung gedeihen.»

Rudolf Geigy auf seiner ersten Afrika-Expedition in Brazzaville, 1945.
Rudolf Geigy auf seiner ersten Afrika-Expedition in Brazzaville, 1945.Bild: Swiss TPH Library, Allschwil

In dieser Überzeugung schaffte Geigy im Gründungsjahr erste Voraussetzungen, um das Tropeli von Basel aus in die Welt zu führen. Noch 1944 begründete er die sogleich international renommierte tropenmedizinische Fachzeitschrift Acta Tropica und plante – mitten im Krieg – eine erste, mit 50’000 Franken dotierte Afrikaexpedition.

Auch wenn diese an der Frontlage scheiterte, folgten bald darauf intensive Expeditionen mit Feldforschungen zur Übertragung parasitärer Infektionen wie der Malaria, Schlafkrankheit oder Bilharziose auf den Menschen.

Cover der Zeitschrift Acta Tropica, 1944.
https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=act-001%3A1944%3A1%3A%3A3#3
Cover der Zeitschrift Acta Tropica, 1944Bild: e-periodica

Geigys forscherisch begründetes Unternehmertum ebnete 1951 den Weg zur Errichtung des Centre suisse de recherches scientifiques in Adiopodoumé in der heutigen République de Côte d'Ivoire und führte 1957 – auf Einladung eines Schweizer Missionsordens – zum Aufbau des Feldlabors von Ifakara im heutigen Tansania (Swiss Tropical Institute Field Laboratory). Beide Institutionen sind noch heute eng mit der Arbeit des Tropeninstituts verbunden.

Die Szenarien, die Ende der 1940er-Jahre der Schweiz eine düstere Zukunft prophezeiten, wurden durch die bald darauf einsetzende Hochkonjunktur Lügen gestraft. Nicht nur, dass der Bund nicht länger zur Auswanderung aufforderte, auch die Basler Tropenschule, die so verheissungsvoll angepriesene Tropenklinik und die Vorbereitungskurse für Leben und Arbeit jenseits des Äquators, verloren aus Mangel an Interessentinnen und Interessenten an Bedeutung.

Das Schweizerische Tropeninstitut hingegen, erlebte durch Rudolf Geigy, der diesem während 30 Jahren seinen Stempel aufdrückte – sowie durch die Weitsicht seiner Nachfolger – einen kontinuierlichen Aufschwung. Heute ist das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut mit 950 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getreu seinem Leitsatz Making the world a healthier place in 130 Ländern aktiv.

Ein Kurzfilm zeigt zeigt die Entstehungsgeschichte des Basler Tropeninstituts.Video: Vimeo/Swiss TPH
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Ein Tropen­in­sti­tut gegen die Arbeitslosigkeit» erschien am 4. Februar.
blog.nationalmuseum.ch/2025/02/gruendung-tropeninstitut-schweiz
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what_else?
01.03.2025 18:30registriert April 2020
Danke für den Bericht! Ich habe dort zur Zeit von Prof Freyvogel und zu Beginn von Prof Marcel Tanner meine Doktorarbeit gemacht. War damals (und ist wohl heute noch am neuen Ort) ein tolles Forschungsinstitut.
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