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Kinderbetreuung und Frauenerwerbsquoten – in der Schweiz und weltweit

Frauen am Arbeitsmarkt: Warum die Schweiz Spitze und gleichzeitig Schlusslicht ist

Die Schweiz hat eine der höchsten Frauenerwerbsquoten der Welt. Wir erklären, wodurch diese beeinflusst wird, was die Schweiz anders macht – und wo sie trotzdem noch sehr konservativ ist.
03.10.2024, 11:0003.10.2024, 13:40
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1997 führte die Regierung von Quebec, Kanada, eine grosszügige Subventionierung von Kinderbetreuungsdiensten ein. Dadurch sanken die Preise für Kinderbetreuung markant. Fünf Jahre später konnte der Effekt dieses Entscheids deutlich gemessen werden: Mütter mit jungen Kindern nahmen jetzt mehr am Erwerbsleben teil, unabhängig ihres Bildungsniveaus. Ihre Erwerbsquote stieg um 8 Prozentpunkte, und ihre Arbeitsstunden nahmen um 231 pro Jahr zu.

Erwerbsquote (oder Partizipationsrate)
Die Erwerbsquote (auch Partizipationsrate genannt) bezeichnet den Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) an der Einwohnerzahl innerhalb der gleichen Alterskategorie. Als erwerbslos gilt in der Schweiz, wer älter als 15 Jahre ist, in der Referenzzeit weder erwerbstätig war, noch aktiv eine Arbeit gesucht hat – und für die Aufnahme einer Tätigkeit verfügbar wäre.

Die Erwerbsquote unterscheidet sich damit von der Erwerbstätigenquote (Beschäftigungsquote), die nur Personen erfasst, die Arbeit haben, und damit die Arbeitslosen ausschliesst.

Das Beispiel aus Kanada zeigt, wie es für Staaten möglich ist, die Erwerbsquoten von Frauen aktiv zu steigern. Hier erfährst du, wie – und warum die Erwerbsquote noch nicht alles ist, wie das Beispiel der Schweiz eindrücklich zeigt.

Frauenerwerbsquoten im Ländervergleich

In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Frauen weltweit einer bezahlten Arbeit nachgegangen. Gemäss einem Bericht der Weltbank von 2012 ist in derselben Zeitspanne die Erwerbsquote von Männern gesunken. Konkret partizipierten im Jahr 2008 weltweit 51,8 Prozent aller Frauen am Arbeitsmarkt, gegenüber 50,2 Prozent im Jahr 1980. Bei Männern sank dieser Wert von 82 Prozent (1980) auf 77,7 Prozent (2008).

Doch die globalen Unterschiede sind gross. Während zum Beispiel in der Türkei nur etwas über ein Drittel der Frauen am Arbeitsmarkt tätig ist, sind es in vielen, vor allem nördlichen, europäischen Ländern sowie Neuseeland oder Island fast doppelt so viele. Hier gehört auch die Schweiz dazu: 62 Prozent aller Frauen partizipieren hierzulande am Arbeitsmarkt, weltweit ist dies die siebthöchste Quote und weit über dem OECD-Durchschnitt. Allerdings ist in der Schweiz auch die Erwerbsquote der Männer mit 72,4 Prozent im Vergleich zu anderen Ländern hoch.

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Und nun zurück zur Story ...

Was ist aus diesen Daten herauszulesen? «Man muss bei der Interpretation aufpassen», warnt Gesine Fuchs, Dozentin für Sozialpolitik an der Hochschule Luzern. «Denn diese Zahlen beschreiben lediglich die bezahlte Erwerbstätigkeit – und nicht die unbezahlte.» Die Statistik sagt per se also noch nichts über die von Frauen gesamthaft geleistete Arbeit aus.

Hinzu kommt, dass aus der Frauenerwerbsstatistik auch nichts über die Anzahl gearbeitete Stunden herauszulesen ist. Und diese Statistik steht gerade in der Schweiz ziemlich gegensätzlich zur Erwerbsquote.

Was die Erwerbsquote von Frauen beeinflusst

Grundsätzlich kann festgehalten werden: Damit Frauen am Arbeitsmarkt teilhaben können, müssen sie sowohl die Zeit als auch die Möglichkeit haben, dies zu tun. Aus der Forschung ist bekannt, dass unter anderem folgende Faktoren einen Einfluss auf die Partizipationsrate von Frauen haben:

  • Die Gesundheit von Müttern. Die verschiedenen Aspekte im Zusammenhang mit der Mutterschaft – Schwangerschaft, Geburt und die Zeit kurz nach der Geburt – stellen eine erhebliche Belastung für die Gesundheit, aber auch den Zeitaufwand von Frauen dar. Dies wiederum kann erhebliche Auswirkungen auf deren Fähigkeit haben, am Erwerbsleben teilzunehmen.
  • Die Anzahl Kinder pro Mutter. Mütter verbringen weiterhin mehr Zeit mit der Kinderbetreuung als Väter. Aus diesem Grund können weniger Kinder pro Frau – niedrigere Geburtenraten – theoretisch die Zeit der Frauen freisetzen und zu einem Anstieg der Erwerbsbeteiligung der Frauen beitragen.
  • Soziale, ökonomische und kulturelle Faktoren. Je akzeptierter Frauen am Arbeitsmarkt sind, desto höher ist in der Regel deren Erwerbsquote. «So weisen zum Beispiel viele post-kommunistische Staaten eine relativ hohe Frauenerwerbsquote auf», sagt Gesine Fuchs. Sozialistische Länder hätten schon immer eine hohe Selbstverständlichkeit für den Frauenerwerb gehabt und weniger das traditionelle, eher westlich geprägte Ernährer-Hausfrau-Modell gelebt. «Frauen genossen oft auch eine sehr gute Bildung. Insgesamt führte das zu einer hohen kulturellen Akzeptanz, die sich noch heute in den Statistiken der meisten Staaten zeigt», so Fuchs.

    Entsprechend verhält es sich auch mit unbezahlter Care-Arbeit, also mit der Betreuung von Angehörigen sowie den Arbeiten im Haushalt: Je mehr Frauen dadurch gebunden sind – sei es aus kulturellen oder auch ökonomischen Gründen – umso weniger haben sie die Kapazität, am Arbeitsmarkt teilzunehmen.

    Noch immer leisten Frauen nämlich deutlich mehr unbezahlte Betreuungsarbeit, und zwar in praktisch jedem Land:
Die Grafik zeigt, wie viel Mal mehr Frauen Hausarbeit/Betreuungsarbeit leisten als Männer. Ein Lesebeispiel: In Pakistan leisten Frauen zehn Mal mehr Betreuungsarbeit, in Dänemark nur 1,3 Mal mehr.
  • Unterstützte Kinderbetreuung und andere familienorientierte Politik. Statistiken zeigen, dass in Ländern mit höheren öffentlichen Ausgaben für Familienleistungen auch die Erwerbsquote von Frauen höher ist. Und aus der Forschung wissen wir zudem – wie das Beispiel aus Kanada –, dass dieser Effekt tatsächlich kausal ist.

Andere Länder – andere Unterstützung

Gerade in Zeiten eines abnehmenden Arbeitsangebots haben Volkswirtschaften ein grosses Interesse daran, die Erwerbsquoten zu erhöhen und so das Arbeitskräftepotenzial besser auszunutzen. Das wird vielerorts getan, allerdings anhand sehr unterschiedlicher Modelle.

Die sozialdemokratische Politik, wie sie beispielsweise in Schweden praktiziert wird, zeichnet sich durch subventionierte Kitas, bezahlten Elternurlaub, der sowohl Mütter als auch Väter ermutigen soll, sich an der Kinderbetreuung zu beteiligen, und eine Förderung der Vollbeschäftigung aus.

Das Unicef-Forschungsinstitut Innocenti untersuchte 2021, inwiefern sich verschiedene hoch entwickelte Staaten bezüglich Qualität und Bezahlbarkeit von Kinderbetreuung schlugen. Demnach schneiden Länder wie Luxemburg, Island, Schweden, Norwegen und Deutschland international am besten ab. In Island, Lettland, Neuseeland, Finnland und Dänemark ist dabei die Qualität der familienergänzenden Kinderbetreuung am höchsten.

Liberale Wohlfahrtsstaaten, wie zum Beispiel diejenigen im angelsächsischen Raum, verfolgen in der Sozialpolitik hingegen einen eher zurückhaltenden Ansatz bezüglich Staatsausgaben für Familien. Als Resultat davon müssen der Innocenti-Studie zufolge in der Schweiz, Irland und Neuseeland Paare mit durchschnittlichem Einkommen für die Betreuung von zwei Kindern zwischen einem Drittel und der Hälfte eines Gehaltes aufwenden.

Ein bekanntes Beispiel für einen liberalen Wohlfahrtsstaat sind auch die USA, die mit einem besonders kurzen Mutterschaftsurlaub von zwölf Wochen auffallen. Zudem sind die Vereinigten Staaten das einzige OECD-Land – und nur eines von acht Ländern weltweit –, das keinen gesetzlich garantiert bezahlten Mutterschaftsurlaub kennt. Mit anderen Worten: Es steht den Unternehmen frei, Mütter während des Mutterschaftsurlaubs zu bezahlen.

Das Beispiel zeigt: Reiche Länder kennen nicht zwingend bessere Bedingungen für Mütter und Väter. Sowohl niedrige Betreuungsquoten als auch kurze Elternurlaube finden sich ebenfalls in einigen der reichsten Länder – wie zum Beispiel in der Schweiz.

Warum die Schweiz ein spezieller Fall ist

Dass die Betreuungsquote in der Schweiz niedrig ist, äussert sich auch in folgender Statistik:

Wie oben gezeigt hat die Schweiz zwar eine der höchsten Erwerbsquoten – gleichzeitig aber nur vergleichsweise wenige geleistete Arbeitsstunden.

Warum ist das so? «Dass die Schweiz eine so hohe Frauenerwerbsquote hat, liegt vor allem am liberalen Arbeitsmarkt», erklärt Politikwissenschaftlerin Gesine Fuchs. Dieser erlaube es den Arbeitnehmenden relativ einfach, in Teilzeit zu arbeiten. Zudem habe der wirtschaftliche Druck zugenommen: «Mittlerweile müssen auch Paare aus der Mittelschicht mehr als ein Einkommen haben, um einen gewissen Standard leben zu können.»

Zwar bemüht sich der Staat auch hierzulande, Kitaplätze gezielt zu fördern. Die sogenannte Anschubfinanzierung ist ein seit 2003 laufendes, befristetes Impulsprogramm, das die Schaffung zusätzlicher Plätze für die Tagesbetreuung von Kindern fördern soll. «Die Forschung zeigt, dass die Erwerbstätigkeit von Schweizer Frauen durch dieses Programm profitiert hat», sagt Fuchs. (Durch die Sparpläne, die der Bundesrat vorsieht und die er kürzlich kommunizierte, steht dieses Programm allerdings auf der Kippe.)

Trotzdem: Da Schweizer Männer im Ländervergleich noch immer überdurchschnittlich viele Stunden arbeiten, ist klar, dass es nach wie vor einen starken geschlechterspezifischen Effekt gibt.

Zum einen dürfte das ökonomische Gründe haben: Für viele lohnt sich eine allzu häufige externe Kinderbetreuung nicht, weil sie mehr kosten würde, als der zusätzliche Lohn dem Haushalt einbringt. Und zum anderen spricht vieles dafür, dass die Normen in der Schweiz noch vergleichsweise konservativ sind. Denn: In aller Regel reduziert hierzulande noch immer die Frau ihr Pensum, um sich um die Kinderbetreuung zu kümmern, wenn diese zu teuer ist.

RealTalk – der Podcast
Damit bleibt nicht nur die unbezahlte Arbeit bestehen: «Den Mental Load tragen oft die Frauen stärker. Wir haben all das Unsichtbare im Kopf» – so Andrea Jansen am RealTalk in der Diskussion mit Christoph Simon. Die beiden haben darüber diskutiert, wie der Alltag funktioniert, wenn beide Elternteile arbeiten. Den Podcast gibt's zum Nachhören.
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60 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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El_Chorche
03.10.2024 12:11registriert März 2021
Suche Frau mit Kinderwunsch und der Bereitschaft, nach der Geburt 100% zu arbeiten, während ich den Nachwuchs betreue, inkl. 250.-- wöchentliches Taschengeld (für mich)

Bestehe nicht auf Fernbedienungen, guter Reisepartner und kann recht unterhaltsam sein. Dafür spiele ich kein Tennis.

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Daniel Noger
03.10.2024 14:43registriert November 2022
Der Mann arbeitet mehr Stunden pro Woche und hat im Durchschnitt ein höheres Pensum. Logisch ist deshalb seine PK auch höher. Diese Differenz ständig als Benachteiligung der Frauen zu titulieren ist für mich eine Realitätsverweigerung von linken Kreisen.
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Bruno Wüthrich
03.10.2024 16:12registriert August 2014
Die Erwerbsquote der Frauen steigt, während die der Männer sinkt. Offenbar haben einige Männer begriffen, dass man die Arbeit auch die Frauen erledigen lassen kann. Ist doch viel bequemer so.

Spass beiseite: Mich stört, wenn man bei der Kinderbetreuung durch die Eltern von unbezahlter Betreuungsarbeit spricht. Die Kinderbetreuung durch die Eltern wird immer unbezahlt sein. Man sollte seine Kinder ja auch irgendwie wollen und sie nicht einfach zeugen und gebären, damit sie da sind.

Das ist übrigens geschlechterneutral zu verstehen.
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    Du hast noch den 50:50-Joker und dann kommt diese 500'000-Euro-Frage, zockst du?

    Am Montagabend nahm Dr. Christine Weiss bei Günther Jauch auf dem Stuhl Platz. Und die Tierärztin überzeugte bei «Wer wird Millionär?» – sie geht mit einer stolzen Summe von 125'000 Euro nach Hause.

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