Wissen
Tier

Mehr als zwei Drittel der Tierwelt seit 1970 vernichtet

Die Wildtierpopulationen der Welt sind um 68 Prozent gesunken.
Die Wildtierpopulationen der Welt sind um 68 Prozent gesunken.bild: watson/shutterstock

Mehr als zwei Drittel der Tierwelt seit 1970 vernichtet: «Wir spielen Russisches Roulette»

10.09.2020, 10:5410.09.2020, 11:00
Mehr «Wissen»

Die Wildtierpopulationen der Welt sind in den letzten vier Jahrzehnten um mehr als zwei Drittel gesunken. Der Rückgang bei rund 21'000 beobachteten Populationen beträgt zwischen 1970 und 2016 im Durchschnitt 68 Prozent. Einige der Ursachen: Entwaldung, nicht nachhaltige Landwirtschaft und der illegale Handel mit Wildtieren. Das geht aus dem am Donnerstag veröffentlichten «Living Planet Report 2020» der Umweltstiftung WWF und der Zoologischen Gesellschaft London hervor.

Der Wert hat sich im Vergleich zur vergangenen Ausgabe des Berichts von 2018 weiter verschlechtert. Einbezogen wurden nun Bestände von mehr als 4400 bedrohten und nicht bedrohten Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der Tierwelt, denn Insekten wurden nicht einberechnet.

Der Report in Kürze:

Dem Bericht zufolge sind die Regionen Lateinamerika und die Karibik am stärksten betroffen: Dort gingen die Populationen um satte 94 Prozent zurück.

«Wir sehen allmählich einen Zusammenbruch der Natur.»
Rebecca Shaw, Chefwissenschaftlerin beim WWF

Der Report zeigt, dass die Menschen drei Viertel der eisfreien Landoberfläche des Planeten erheblich verändert haben. Und laut WWF bedroht die Zerstörung des Ökosystems in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten rund 1 Million Arten vom Aussterben. Genauer: 500'000 Tiere und Pflanzen sowie 500'000 Insekten.

Der einzige Ausweg sei Experten zufolge die Umgestaltung der Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren und die Bekämpfung des Klimawandels.

Zusammenbruch der Natur

Der WWF spricht von einem neuen Tiefpunkt bei der biologischen Vielfalt. «Der gravierende Rückgang der untersuchten Bestände wildlebender Tierarten ist ein Warnsignal unseres Planeten für ein totales Systemversagen», sagte Thomas Vellacott, CEO des WWF Schweiz, gemäss einer Mitteilung. Der Mensch habe die Macht, die Natur zu zerstören – oder aber zu erhalten.

«Von den Fischen in unseren Ozeanen und Flüssen bis hin zu den Bienen, die eine entscheidende Rolle in unserer landwirtschaftlichen Produktion spielen: Der Rückgang der Wildtierbestände wirkt sich direkt auf die Ernährungssicherheit und die Lebensgrundlagen von Milliarden von Menschen aus», sagte Vellacott.

Experten zufolge nimmt die Artenvielfalt in Süsswassergebieten am schnellsten ab. 85 Prozent der globalen Feuchtgebiete sind seit der industriellen Revolution verloren gegangen.

Um die wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, würden immer mehr Flüsse gestaut und die Süsswasserressourcen zur Herstellung von Nahrungsmittel genutzt, erklärt Rebecca Shaw, Chefwissenschaftlerin beim WWF, gegenüber «CNN».

Als besonders gefährdete Tiere nennt der WWF den Östlichen Flachlandgorilla im Kongo, Lederschildkröten in Costa Rica und Störe im Jangtse - bei den letztgenannten liege der Rückgang seit 1970 bei 97 Prozent.

Ein Flachlandgorilla-Weibchen h�lt seine Tochter im Arm: Diese Art geh�rt laut WWF zu den besonders gef�hrdeten Tieren.
Ein Flachlandgorilla-Weibchen hält seine Tochter im Arm: Diese Art gehört laut WWF zu den besonders gefährdeten Tieren.Bild: sda

Der Mensch ist die Ursache

Shaw zufolge sei der Rückgang der Population ein Hinweis auf die Fähigkeit des Planeten, das Leben zu unterstützen – oder eben nicht. «Wir konzentieren uns auf Arten, die in grossen Schwierigkeiten sind oder vom Aussterben bedroht sind. Aber bis die Art dort ankommt, erfüllt sie nicht mehr ihre ökologische Funktion», so Shaw.

«Wir spielen russisches Roulette mit der Gefahr von Pandemien und werden am Ende... gross verlieren. Und Covid-19 ist nur der Anfang.»
Rebecca Shaw

Der WWF warnt davor, dass dieser Verlust an biologischer Vielfalt die Ernährungssicherheit der Welt gefährdet. Der Klimawandel sei zwar noch nicht die Hauptursache für den Verlust biologischer Vielfalt, wird aber in den kommenden Jahren zum Haupttreiber werden, wenn die Staats- und Regierungschefs der Welt keine Massnahmen ergreifen.

Was du laut WWF tun kannst:

Die Zerstörung von Lebensräumen könnte mehr Pandemien bedeuten

«Da sich der Fussabdruck der Menschheit auf einst wilde Orte ausdehnt, zerstören wir Artenpopulationen. Aber wir verschärfen auch den Klimawandel und erhöhen das Risiko von zoonotischen Krankheiten wie Covid-19», sagt Carter Roberts, Präsident und CEO des WWF-US, in einer Erklärung. Zoonotische Krankheiten sind solche, die vom Tier zum Menschen springen.

Und auch WWF-Chefwissenschaftlerin Rebecca Shaw zeichnet ein düsteres Szenario: «Je länger die Tierwelt einen Teil der Lieferketten bleiben, desto grösser ist das Risiko, dass eine Tierkrankheit auf den Menschen übergreift. Wir spielen russisches Roulette mit der Gefahr von Pandemien und werden am Ende ... gross verlieren. Und Covid-19 ist nur der Anfang.» (cki/sda)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Verteilung der Nutztiere in der Schweiz
1 / 9
Verteilung der Nutztiere in der Schweiz
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Wir nehmen dem Hirsch seinen Lebensraum weg
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
75 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
TheRealDonald
10.09.2020 12:19registriert Juli 2017
Alles wird der Geld- und Machtgier untergeordnet, auch unsere existenziellen Lebensgrundlagen.
Kurzfristige Gewinne sind wichtiger als nachhaltiges Handeln.
Konsum, Konsum, Konsum bis zum bitteren Ende.
1809
Melden
Zum Kommentar
avatar
Joshzi
10.09.2020 12:44registriert September 2014
Solange sich die längst schon überholten und widerlegten Grundsätze in der Wirtschafts"wissenschaft" halten, welche Umwelt und Ressourcen aus ihren Erfolgsrechnungen fernhalten, wird sich der Mythos vom Kapitalismus als das erfolgreiche System halten. Unsere Bewunderung gegenüber Profitgier und Ausbeutung ist einfach nur widerlich! Wir alle sind dafür verantwortlich.
13110
Melden
Zum Kommentar
avatar
insert_brain_here
10.09.2020 12:46registriert Oktober 2019
Und alle nur so:
Mehr als zwei Drittel der Tierwelt seit 1970 vernichtet: «Wir spielen Russisches Roulette»
Und alle nur so:
412
Melden
Zum Kommentar
75
So sportli­ch war das Mittelalter
Wenn man an Sport denkt, kommen Bilder der modernen Sportarten hoch: Fussball, Rennvelos, Rugby und Skifahren. Doch was ist eigentlich mit dem lange verklärten Mittelalter? Gab es damals schon Sport und ist dieser für den Raum der heutigen Schweiz vergleichbar mit modernen Wettbewerben?

Zur Frage, ob Sport im Mittelalter und darüber hinaus bereits praktiziert wurde, ist eine lang anhaltende Debatte auszumachen: Modernisten gegen Traditionalisten, quasi. Erstere sagen, Sport sei erst mit der Industrialisierung, der damit verbundenen Freizeitgestaltung und der Säkularisierung entstanden. Erst ab dem 19. Jahrhundert hätten Menschen sportliche Wettbewerbe bestritten, einheitliche Regeln erfunden und sich in Clubs und Vereinen organisiert.

Zur Story