Auf die Frage nach einer erfolgsversprechenden Strategie gegen den EV Zug sagt Servette-General Chris McSorley. «Öfters als sonst in die Kirche gehen und beten.» Und er erklärt, warum der EV Zug haushoher Favorit sei. «Wir haben diese Saison alle Spiele gegen Zug verloren. Wir sind definitiv nur Aussenseiter.»
Die Statistik bestätigt die Einschätzung des Kanadiers. Die Zuger haben die vier Qualifikationspartien gewonnen: Zweimal mit 2:1 in Genf und auf eigenem Eis 5:1 und 3:2 n. V. (Zugs 2:3-Cup- Niederlage in Genf klammern wir mal aus). Alles klar? Nicht ganz.
Chris McSorley rühmt zwar noch einmal ausgiebig die Zuger. «Der EVZ war diese Saison phasenweise die beste Mannschaft der Liga.» Zug habe alles: Schnelligkeit, Härte, defensive Stabilität und offensive Durchschlagskraft. «Und das Coaching von Harold Kreis ist exzellent.» Bleibt noch nachzutragen: Zug hat in der Qualifikation 153 Tore erzielt. Servette bloss 135.
Nun gehört das Lobpreisen des Gegners zum Repertoire aller Coaches. Wenn die gegnerische Mannschaft gross und die eigene kleingeredet wird, dann ist im Falle eines Scheiterns der Schaden geringer.
Servettes Trainer räumt nach mehrmaligen Nachfragen dann doch ein, dass seine Einschätzung der Wirklichkeit nicht ganz gerecht wird. Seine Mannschaft hatte im Verlauf der Saison viel Verletzungspech. Erst in den letzten Runden konnte Servette im Vollbestand spielen und Chris McSorley sagt: «Die Zuger haben in dieser Saison das wahre Servette noch nicht gesehen.»
Das wahre Servette ist so etwas wie ein spielerischer und taktischer Zwilling des EV Zug. Wie Harold Kreis bevorzugt auch Chris McSorley ein konservatives, einfaches, geradliniges Spielkonzept. «Der Unterschied ist tatsächlich gering», sagt der Kanadier. «Die Zuger spielen etwas mehr Ost-West, wir sind stärker auf Nord-Süd ausgerichtet.» Will heissen: Zug spielt etwas mehr über die Aussenbahnen, Servette geradliniger durch die Mitte.
Zugs leichtes Plus an Talent reicht nicht, um diese Serie zu entscheiden. Es geht um etwas anderes: Welches der beiden Teams spielt wuchtiger, ist «böser»?
Ein Blick auf die Kaderliste gibt die Antwort. Zug hat einen Verteidiger mit regelmässigen Einsätzen, der grösser ist als 185 Zentimeter. Servette hat fünf. «Das sollten wir nicht überbewerten», sagt Chris McSorley. «Beweglichkeit, Spielintelligenz und Schnelligkeit sind wichtiger als Grösse und Gewicht. Raphael Diaz (er misst 181 cm – die Red.) ist einer der besten Verteidiger der Liga.»
Diese Aussage ist fachlich richtig. Aber sie lenkt von Chris McSorleys «Strategie des Bösen» ab: Er setzt sehr wohl auf Grösse, Gewicht, Wucht und Kraft. Einschüchterung und Provokation sind wichtige Faktoren. Immerhin hat er es so zweimal (2008 und 2010) bis ins Finale geschafft.
Die Zuger, die seit dem Titelgewinn von 1998 nie mehr übers Halbfinale hinausgekommen sind, setzen sich nur dann durch, wenn sie sich nicht provozieren, einschüchtern und vom Spiel ablenken lassen und ihre taktische Ordnung und Disziplin bewahren. Also wird Chris McSorley alles daransetzen, die Zuger vom rechten Weg abzubringen. Zugs Trainer Harold Kreis ahnt, dass es gehörig rumpeln wird und er kennt diese «Strategie des Bösen». Er sagt deshalb: «Strafen durch hartes Einsteigen sind okay. Aber wenn wir Strafen durch Revanchefouls kassieren, dann haben wir ein Problem.»
Die Zuger haben die letzten zwei Viertelfinals gegen Davos und Lugano auch verloren, weil sie mental und körperlich zu wenig robust, zu wenig «böse» waren. Deshalb hat Sportchef Reto Kläy den kanadischen Topskorer und Schillerfalter Pierre-Marc Bouchard durch den Rumpelschweden Carl Klingberg ersetzt und in der Abwehr mit dem meisterlichen Riesen Timo Helbling aus Bern nachgerüstet.
In der Qualifikation war der EV Zug das meistbestrafte Team der Liga (768 Minuten) – vor Lugano (723) und Servette (640).
Es kann also sehr wohl sein, dass dieser Viertelfinal nicht durch die grössere spielerische Klasse oder die beiden National-Goalies Robert Mayer und Tobias Stephan entschieden wird. Sondern durch die Fähigkeit der Spieler, «böse» zu sein. Und «bös» sieht es im Falle eines Scheiterns für Zugs Trainer Harold Kreis aus. Er ist dann seinen Job los. Für Chris McSorley ist es hingegen einerlei, ob er zum vierten Mal in Serie die Halbfinals erreicht oder nicht – seine Position in Genf ist unerschütterlich.
Zugs Harold Kreis ist einmal von einem Kritiker als «Eishockey-Antwort auf Angela Merkel» bezeichnet worden. Ein frivoler Vergleich. Und doch recht treffend. Gemeint ist mit dieser Charakterisierung der Führungsstil des Zuger Bandengenerals: konservativ, auf Machterhalt bedacht, verwalten und nicht aufmischen, ja keine Emotionen entfachen und ein übervorsichtiger oder, wer es gerne boshaft hat, ein langweiliger Kommunikator.
Wenn wir das so sehen, dann können wir Chris McSorley als «Eishockey-Antwort auf Donald Trump» bezeichnen: Unberechenbar, immer darauf aus, zu provozieren, und so wie der US-Präsident bei den Medien Verschwörung wittert und entsprechend wettert, so spart Genfs kanadischer Feuerkopf nicht mit Verschwörungstheorien bei den Schiedsrichtern und der Verbandsjustiz. Er ist ein charismatischer Kommunikator, ein Hexenmeister der Provokation – aber gelegentlich wird er in hitzigen Partien auch zum Zauberlehrling, der die Geister, die er gerufen hat, nicht mehr unter Kontrolle bringt. Sage mir, ob Chris McSorley ausflippt und sich mit den Schiedsrichtern anlegt und ich sage dir, ob Zug ins Halbfinale kommt.
Der ruhige Riese Tobias Stephan spielt konstanter und ist der bessere Stilist als der zu «Überaktivität» neigende, hin und wieder flatterhafte Robert Mayer. Aber Mayer hat das robustere Nervenkostüm.
Statistisch ist Zug (122 Gegentreffer) klar besser als Servette (140 Gegentore). Aber diese Zahlen helfen uns bei einer Prognose nicht weiter. In der Intensität der Play-offs wird Servettes Rumpel-Verteidigung «komprimiert» und stabilisiert. Beide haben böse Abräumer – Zug mit Timo Helbling, Servette mit Goran Bezina. Beide haben einen «Quarterback» (Spielmacher an der blauen Linie) – Zug mit Raphael Diaz, Servette mit Romain Loeffel. Die grosse Frage: Ist Diaz hundertprozentig fit?
Zug hatte in der Qualifikation die grössere offensive Feuerkraft (153 Tore, 18 mehr als Servette) und das bessere Powerplay. Aber Kevin Romy hat nur 23 von 50 Qualifikationspartien bestritten – er ist Servettes wichtigster Center und jetzt wieder fit. Beide haben ihren offensiven «Zauberzwerg». Zug mit Lino Martschini, Servette mit Nathan Gerbe.
Mein Verstand sagt: Zug kommt ins Halbfinale. Mein Bauchgefühl sagt: Servette schafft es.