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Pornos mit Max-Havelaar-Stempel? Fans von Sexfilmen fordern Fair-Trade-Label

Muss man angesichts der Produktionsbedingungen von Pornos ein schlechtes Gewissen haben?
Muss man angesichts der Produktionsbedingungen von Pornos ein schlechtes Gewissen haben?Bild: REUTERS

Pornos mit Max-Havelaar-Stempel? Fans von Sexfilmen fordern Fair-Trade-Label

Was geil macht, ist nicht immer geil gemacht: Auf der Netzkonferenz re:publica fordern Pornofans, mehr auf die Entstehung der Filme und das Wohlergehen der Darsteller zu achten. Aber wie soll das gehen?
06.05.2015, 16:1806.05.2015, 18:07
Markus Böhm / spiegel online
Ein Artikel von
Spiegel Online

Djure Meinen und Jenny-Louise Becker machen etwas, was Millionen Deutsche tun, aber nur wenige zugeben. «Wir schauen beide gern Porn», sagt Meinen auf der re:publica. Das öffentlich einzugestehen, sei «so etwas wie einen Tabubruch», findet der Kommunikationsberater. Das O am Wortende lässt er bewusst weg. Porn klinge einfach weniger schmuddelig, dafür cooler.

«Fair Porn: Von Lust und Gewissen» heisst die Präsentation, die Meinen und Becker am Dienstag auf einer kleineren re:publica-Bühne halten. Der Raum ist bis auf den letzten Platz gefüllt, 100 Zuschauer sind mindestens da. Nackte Haut gibt es kaum zu sehen – stattdessen erscheinen auf der Leinwand Text-Stichpunkte, wie «öffentliche Diskussion ist nur sehr eingeschränkt möglich».

Djure Meinen erzählt, er habe oft ein «komisches Gefühl» beim Pornoschauen – und das weniger, weil die Kirchen oder manche Feministinnen solche Videos verdammen. Meinen stört eher, wie wenig er über die Entstehung der Filme weiss: «Die Produktionsbedingungen sind die Geschichte, über die wir am meisten nachdenken müssen.» Am Ende des Vortrags überlegt er, ob es vielleicht ein Qualitätssiegel für faire Pornos braucht.

Wer spielt freiwillig – und wer aus Geldnot?

Das Thema faire Pornos, alternativ Fair-Trade-Pornos, passt zum Zeitgeist. Neben angeblich fair gehandeltem Kaffee kann man heutzutage schliesslich auch als fair beworbene Erdnusscremes, Rosen und Fussbälle kaufen.

Bekannte Medien wie der Guardian haben sich in den vergangenen Monaten mit der Frage beschäftigt, ob man unbeschwert Sexfilme geniessen darf, bei denen man nicht weiss, ob die Darsteller freiwillig mitwirken – oder ob sie vielleicht zum Mitmachen gezwungen wurden, direkt oder indirekt, etwa aus Geldnot oder weil sie nie einen anderen Beruf gelernt haben.

Die Idee des Fair Porn hat einen etwas anderen Fokus als Initiativen, die sich seit Jahren teils sehr erfolgreich für Pornos stark machen, die weniger sexistisch, stereotyp und nicht ausschliesslich auf die männliche Lust fixiert sind. Der Inhalt der Filme ist auch den Fair-Porn-Befürwortern wichtig, zunächst aber geht es um die Entstehung.

Fragen aus der Pornoforschung

Djure Meinen und Jenny-Louise Becker lassen weitgehend offen, was sie persönlich mit dem Wörtchen fair verbinden. Dafür geben sie Einblicke in aktuelle Fragestellungen der Pornografieforschung:

Wird bei der Porno-Produktion sichergestellt, dass alle Beteiligten mit allem einverstanden sind, was am Set geschieht?

Kann garantiert werden, dass niemand bei seiner Arbeit zu Schaden kommt und dass alle Darsteller volljährig sind?

Wird das Thema Safer Sex ernst genommen? Gibt es beispielsweise Gesundheitschecks bei den Darstellern?

Pornodarsteller sollen fair behandelt werden.
Pornodarsteller sollen fair behandelt werden.Bild: KEYSTONE

Sind diejenigen, die frei verfügbare Pornofilme schauen können, in der Lage, richtig damit umzugehen?

Und wäre es nicht angebracht, Pornofilme grundsätzlich und explizit als einvernehmliches Rollenspiel zu inszenieren, also zum Beispiel Absprachen mit in die Videos aufzunehmen?

Am Ende aber bleibt offen, wie Pornokonsumenten ihr «komisches Gefühl» loswerden sollen. Reflexion allein macht ja noch kein gutes Gewissen.

Die Idee vom Qualitätssiegel jedenfalls wirkt noch nicht zu Ende gedacht, das zeigt schon die Frage, wer ein solches Siegel ausstellen könnte. Die Produzenten selbst oder eine spezielle Pornoprüfstelle? Verlieren Filme durch ein Siegel womöglich den Reiz des Verruchten? Und wie soll die Umsetzung bei Amateurvideos aussehen, die dank Webcams und Smartphones längst einen grossen Teil des Porno-Angebots ausmachen?

Kostenlose Streams, faire Bedingungen?

Der vermutlich wichtigste Satz des Nachmittag ist dieser: Es würde wohl helfen, «schlicht und ergreifend Geld für Porn auszugeben», sagt Djure Meinen.

Jetzt auf

Denn einerseits fordern jetzt auch leidenschaftliche Pornofans bessere, transparentere Produktionsbedingungen – anderseits nutzen auch sie einschlägige Streaming-Portale, wo im Wesentlichen Werbeeinblendungen für Umsätze sorgen und die Herkunft der meisten Clips völlig unklar ist. Allein unter den 50 in Deutschland beliebtesten Internetangeboten finden sich laut SimilarWeb-Schätzungen vier solcher Pornoportale, bei denen der Grossteil der Besucher niemals Geld ausgibt.

Man kennt diese Debatte aus der Musikbranche: Dort klagen die Künstler ständig und zumindest sehr öffentlichkeitswirksam darüber, wie wenig sie verdienen, wenn ihre Stücke gestreamt statt gekauft werden. Die Fans nehmen diese Beschwerden wahr – am Ende nutzen viele aber trotzdem kostenlose Angebote wie YouTube oder Spotifys Gratis-Variante, um an neue Veröffentlichungen zu kommen.

Bei der Pornoauswahl gilt am Ende vermutlich das gleiche wie beim Kaffeekauf: Das günstigste Produkt ist wohl kaum das mit den vorbildlichen Produktionsbedingungen. In beiden Fällen gilt aber auch: Der Umkehrschluss – teuer ist gleich fair – ist definitiv unzulässig.

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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Mophisto
06.05.2015 17:34registriert November 2014
Ja und bitte auch regional, saisonal und Bio.
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Hans Jürg
06.05.2015 18:28registriert Januar 2015
Also nur noch Zwangsprostituierte, die fair gehandelt wurden...
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