Der Eigenmietwert ist ein Ärgernis, aber …
Mit der Vorlage zur Abschaffung des Eigenmietwerts hat das Parlament dem Stimmvolk eine Knacknuss beschert. Verwirrend ist nur schon, dass am 28. September nicht über den Eigenmietwert abgestimmt wird, sondern über eine Steuer auf Zweitliegenschaften, mit der vor allem Gebirgskantone absehbare Einnahmeausfälle kompensieren können.
Für viele ist der Eigenmietwert ein Ärgernis, mit dem Eigentümerinnen und Eigentümer «bestraft» werden. Die Befürworter der Vorlage sprechen von einem fiktiven Einkommen oder einer Geistersteuer. Für die Gegner handelt es sich um ein Naturaleinkommen. Nach dieser Lesart stellt das Wohnen im Eigenheim eine Ersparnis dar: Man bezahlt keine Miete.
So umschreibt es die Raiffeisenbank, die jede fünfte Hypothek in der Schweiz vergeben hat. Und damit beginnt das Problem, denn die Banken haben Interesse daran, dass die Vorlage scheitert. In diesem Fall bleiben die Steuerabzüge für Schuldzinsen bestehen. Sie animieren dazu, Hypothekarkredite zu halten statt abzuzahlen – und die Banken kassieren den Zins.
Banken halten sich zurück
Sie sicherten sich damit «ein regelmässiges, fast risikoloses Einkommen», sagte der Ökonom Mathias Binswanger der NZZ. Dennoch halten sich die Banken im Abstimmungskampf zurück, wohl um nicht in den Verdacht zu geraten, sie würden bloss ihre Privilegien verteidigen. Und weil sie nicht zusammen mit den Linken marschieren wollen.
Diese bekämpfen die Vorlage und warnen vor den Einnahmeausfällen bei Bund, Kantonen und Gemeinden, die auf rund 1,8 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt werden. Dabei hatten Teile der Linken Sympathie für das Geschäft, denn die Bürgerlichen konnten sich zum Systemwechsel durchringen: kein Eigenmietwert, aber auch keine Schuldzinsabzüge mehr.
Badrans Seitenwechsel
Selbst eine sonst «fadengerade» Politikerin wie SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, eine Kennerin des Schweizer Immobilienmarkts, war für die Vorlage, ehe sie ins Nein-Lager wechselte. In der «Sonntagszeitung» argumentiert sie, die Eigentümer hätten in den letzten 20 Jahren zweifach profitiert: von sinkenden Zinsen und steigenden Immobilienwerten.
Für Mietende hingegen hätten sich die Wohnkosten im selben Zeitraum fast verdoppelt, erklärt Badran. Das relativiert den Slogan «Wohnen ohne Sorgen» des Ja-Komitees enorm. Und ein Aus für den Eigenmietwert bedeutet nicht, dass der Erwerb von Wohneigentum einfacher wird. Es dürfte wegen des knappen Angebots die Preise weiter anheben.
Es ist definitiv kompliziert. Das zeigt sich auch anhand zweier zentraler Punkte: Wer profitiert von der Abschaffung des Eigenmietwerts? Und was bringt die neue Zweitwohnungssteuer?
Profiteure
Das Lieblingsargument der Befürworter sind Rentnerinnen und Rentner, die ihre Liegenschaft im Lauf der Zeit weitgehend amortisiert und kaum noch Abzüge haben, aber weiterhin den Eigenmietwert versteuern müssen. Und das bei einem zumeist um einiges tieferen Einkommen als vor der Pensionierung. Sie würden von der Abschaffung profitieren.
Arme Rentner als Opfer? Ein Argument, das zieht. Doch wie sieht es genau aus? Es ist hochinteressant, dass die SP, eine vehemente Gegnerin der Vorlage, und die FDP-nahe NZZ, die sie befürwortet, zu praktisch identischen Schlüssen kommen. Die Steuerreform bringe «in der Tendenz vor allem Entlastungen für Gutbetuchte», schreibt die NZZ.
Sie beruft sich auf eine Auswertung der Steuerdaten für 2022 durch das statistische Amt des Kantons Zürich. Für die SP hat das Beratungsbüro BSS eine Studie erstellt, gestützt auf Daten der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Ihr Fazit lautet, dass vermögende ältere Wohneigentümer überdurchschnittlich häufig zu den Gewinnern zählen.
Statt der armen profitieren die reichen Rentner? Es ist eine pikante Konstellation. Der Urner FDP-Finanzdirektor Urs Janett verwies im Interview mit «CH Media» darauf, dass es auch Rentner gebe, «die kein Einkommen mehr haben und die jeden Monat 2000 Franken Miete zahlen müssen. Leute mit Wohneigentum haben immerhin ein Vermögen.»
Zweitwohnungen
Janett gehört zur «Phalanx» der Bergler, die mit dem «Steuergeschenk» des Parlaments in Sachen Zweitliegenschaften nichts anfangen können. Sie bekämpfen es im Gegenteil aktiv. An der Medienkonferenz der Konferenz der Gebirgskantone konnte man erkennen, dass sie den Versprechungen der Befürworter nicht über den Weg trauen.
Sie haben allen Grund dazu. Mehrfach sind in Kantonen und Gemeinden Anläufe für eine Abgabe auf Zweitwohnungen gescheitert. Und es gibt keinerlei Garantie, dass gewisse Akteure, die die Liegenschaftssteuer mangels Alternative auf dem Stimmzettel treuherzig unterstützen, sie bei der konkreten Einführung nicht bekämpfen werden.
Denn ein Ja am 28. September ermöglicht den Kantonen nur, sie einzuführen. Sie müssten eine konkrete Umsetzung erarbeiten, an deren Ende eine weitere Volksabstimmung stehen würde. Der Verdacht drängt sich auf, dass SVP, FDP oder der Hauseigentümerverband (HEV) in diesem Fall zum Nein umschwenken werden. Irgendeinen Grund findet man immer.
Das Misstrauen der Gebirgskantone kommt somit nicht von ungefähr, denn ihnen droht ein finanzielles Fiasko. Allein im Tessin mit vielen Zweitwohnungen und umgebauten «Rusticos» drohen Ausfälle bis 100 Millionen Franken. Das könnte Auswirkungen auf den Finanzausgleich haben, vor denen sich Geberkantone wie Nidwalden fürchten.
Es ist eine komplexe Gemengelage, und die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es gibt Gründe für die Abschaffung des Eigenmietwerts. Man kann ihn als Ärgernis betrachten. Doch auch das Misstrauen der Gegner hat seine Berechtigung.
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