YouTube/Jürg Knobel
Filmer fliegt mit Drohne über AKW Leibstadt – und schreckt die Betreiber auf
Der Kühlturm des Kernkraftwerks Leibstadt (KKL) präsentiert sich derzeit als gähnendes Loch. Am 2. August ging die Anlage zwecks vierwöchiger Revision vom Netz.
Am 5. August tauchte auf Facebook und YouTube ein Video auf, das den Leibstadter Kühlturm mit und ohne Wasserdampf zeigt. Ein Drohnenfilmer flog mehrmals mit seinem ferngesteuerten Fluggerät über die Anlage – durch den Wasserdampf und über das gähnende Loch.
Erlaubt, aber ... In Leibstadt ist man nicht gut zu sprechen auf das Video. «Wir lassen Bildaufnahmen der Anlage zu, sofern sie mit uns abgesprochen sind – aber so etwas hätten wir nie bewilligt», sagt Karin Giacomuzzi, Mediensprecherin des KKL, auf Anfrage.
Zu gefährlich sei so ein Drohnenflug über den Kühlturm. «Der Wasserdampf hätte das Gerät zum Absturz bringen können», begründet Giacomuzzi. Auch die Hochspannungsleitungen, die die Anlage verlassen, seien ein Risiko. «Wäre die Drohne abgestürzt, hätte sie Menschen verletzen können», so Giacomuzzi. Oder nicht zuletzt in den Kühlturm fallen können, wo sie unter Umständen erheblichen Schaden anrichten könne.
Rechtlich hat das Kernkraftwerk kaum eine Handhabe, um gegen neugierige Drohnenfilmer vorzugehen. «Grundsätzlich ist es erlaubt, mit Drohnen über Schweizer Kernkraftanlagen zu fliegen», bestätigt Urs Holderegger, Mediensprecher des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL), die entsprechende Verordnung.
Gesetzlich geschützt vor Drohnen sind in der Schweiz militärische Anlagen, Menschenansammlungen, Flugplätze oder die Privatsphäre – nicht aber AKW. Anders als etwa in Frankreich oder Deutschland (siehe Box unten).
«Im Interesse der Öffentlichkeit»
Jürg Knobel aus Döttingen ist es, der das Video am Freitag auf Facebook und YouTube hochgeladen hat. «Im Interesse der Öffentlichkeit, zum Polarisieren und Diskutieren», schreibt er auf YouTube dazu.
Im Telefongespräch mit der AZ führt er aus: «Ich wollte zum Nachdenken anregen darüber, wie einfach man mit einem solchen Fluggerät an Kernkraftanlagen herankommt. Etwas aufschrecken.»
Er selbst wohne schliesslich in der Nähe des Kernkraftwerks Leibstadt – «und da ist mir manchmal schon etwas mulmig zumute». Der Filmer weiss, dass nicht verboten ist, was er getan hat. Er selbst ist es ja, der sich ein Verbot wünscht.
Noch am Freitag hagelte es auf YouTube kritische Kommentare. Diese hat Knobel inzwischen deaktiviert. Auf Facebook tönt es aber ähnlich: «Das Ganze ist doch strafbar?», schreiben dort User. Knobel sagt: «Ich wollte herausfinden, wie die Leute reagieren, die Resonanz hat mich überrascht.»
In den sozialen Medien «geächtet»
Der Drohnenflieger ist längst kein Unbekannter mehr. Auch nicht beim Kernkraftwerk Leibstadt. «Die Person ist uns bekannt», sagt Karin Giacomuzzi.
Bei ihr hat sich auch ein Kenner der Szene gemeldet. Es ist ein Drohnenpilot aus der Region, der sich für die Ehre der Drohnenfilmer einsetzen und anonym bleiben will. «Kein verantwortungsvoller Kopterpilot würde so etwas machen», sagt er gegenüber der AZ auf Anfrage. Es existiere unter den Piloten eine Art Ehrenkodex, schutzbedürftige Anlagen nicht zu überfliegen.
«In dem Wasserdampf des Kühlturms entsteht grosse Thermik, die Gefahr eines Absturzes war relativ gross», so der Szenekenner. In den sozialen Medien sei der Drohnenflieger für sein Video «geächtet worden».
KKL will YouTube-Video entfernen lassen
Von einer Strafanzeige sieht die Kernkraftwerk Leibstadt AG ab. Aber: «Wir prüfen derzeit die urheberrechtliche Situation», so Mediensprecherin Karin Giacomuzzi.
Das KKL hat am Dienstag in einem Brief an YouTube gebeten, den Film entfernen zu lassen. Giacomuzzi: «Weil die Verwendung des Films nicht von uns genehmigt war und wir deshalb die Veröffentlichung auf YouTube als unzulässig erachten.» Ausserdem fordern die Betreiber des KKL YouTube auf, dem Urheber des Films zu bestellen, er solle sich mit ihnen in Verbindung setzen, «um die Angelegenheit zu klären».
Jürg Knobel hat sein Ziel längst erreicht. «Ich warte ab und bin gespannt», sagt er.
In Frankreich ist es verboten, Atomkraftwerke in einem Umkreis von fünf Kilometern und einer Höhe unter 1000 Metern zu überfliegen. 2014 sorgten mehrere Drohnenflüge über französischen Kernkraftwerken für Aufruhr. Der französische Stromkonzern und AKW-Betreiber erstattete Anzeige.
In Deutschland ist das Fliegen von Drohnen laut der Deutschen Flugsicherung im Gegensatz zur Schweiz zusätzlich über «Unglücksorten, Katastrophengebieten und anderen Einsatzorten von Polizei oder anderen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, Justizvollzugsanstalten, Industrieanlagen, Kraftwerken und Anlagen der Energieerzeugung und -verteilung» verboten, «soweit diese Stellen den Betrieb nicht ausdrücklich gestattet haben».
Das Schweizerische Bundesamt für Zivilluftfahrt, BAZL, hielt im Februar 2016 in einem Bericht fest, dass in der Schweiz rund 20'000 unbemannte Luftfahrzeuge unterwegs sind. Es sei möglich, dass «Aktivisten oder Terroristen ein Kernkraftwerk oder andere kritische Infrastrukturen aus der Luft mit Drohnen relativ einfach observieren können, um Aktionen vorzubereiten», wie es in dem Bericht heisst. Die Forderung des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats, ENSI, nach einem Flugverbot über Kernkraftwerke hält das BAZL laut des Berichts momentan aber nicht für sinnvoll: «Ob sich eine solche Flugverbotszone bei ernsthaft böswilligen Absichten beim heutigen Stand der Technik durchsetzen liesse, ist offen.» (smo/sda) (aargauerzeitung.ch)
