
Sag das doch deinen Freunden!
Um die
Jahrtausendwende kam es in europäischen Tunnels zu einigen gravierenden Unfällen. Einer der schlimmsten ereignete sich im
berüchtigten Katastrophen-Herbst 2001 im Gotthard-Strassentunnel. Am
Vormittag des 24. Oktober kollidierte ein belgischer Lastwagen rund
einen Kilometer nach der Einfahrt ins Südportal bei Airolo mit einem
italienischen LKW. Die beiden Camions und ihre Ladung gerieten in
Brand, elf Personen kamen im Inferno ums Leben.
Der Tunnel musste
für zwei Monate gesperrt werden. Während dieser Zeit wurde der
Autoverlad zwischen Göschenen und Airolo reaktiviert. Im
Mont-Blanc-Tunnel zwischen Italien und Frankreich sowie im
österreichischen Tauerntunnel kam es damals zu ähnlichen Unfällen.
Sie spielen im Abstimmungskampf um die Sanierung des Gotthardtunnels
eine zentrale Rolle. Die Befürworter der zweiten Röhre stellen den
Sicherheitsaspekt ins Zentrum ihrer Kampagne.
Auf den ersten Blick
lässt er sich kaum widerlegen. «Mit dem Bau einer zweiten
Sanierungsröhre kann die Sicherheit dank richtungsgetrenntem Verkehr
und neu einem Pannenstreifen entscheidend verbessert werden»,
argumentiert das Pro-Komitee. Road Cross Schweiz, die Stiftung für
Verkehrssicherheit, empfiehlt deshalb ein Ja am 28. Februar. «Mit
zwei Röhren lässt sich das Unfallrisiko minimieren, deshalb sind
wir dafür», sagt Patrizia Koller von Road Cross.
Wie viel sicherer
aber wäre der Verkehr am Gotthard mit zwei Strassentunnels? Seit der
Eröffnung der bestehenden Röhre 1980 kam es nur zu einem wirklich
gravierenden Unfall – jenem vom Oktober 2001. Das Verkehrsaufkommen
hat sich in diesen 35 Jahren jedoch mehr als verdoppelt, von knapp
drei auf über sechs Millionen Fahrzeuge pro Jahr. Im Durchschnitt
kam knapp eine Person pro Jahr im Tunnel ums Leben, wobei die besagte
Katastrophe die Statistik verzerrt.
Mehrere Massnahmen
haben das Unfallrisiko in den letzten 15 Jahren spürbar gesenkt oder
dürften in Zukunft zu einer weiteren Reduktion führen:
Als unmittelbare
Folge der Brandkatastrophe führte der Bund ein Dosiersystem am
Gotthard ein. Es erlaubt die Durchfahrt von maximal 1000
Personenwagen und 150 Lastwagen pro Stunde und Fahrtrichtung. Dieser «Tropfenzähler» hat bewirkt, dass «die Unfälle deutlich
zurückgegangen sind», wie das Bundesamt für Strassen (ASTRA)
festhält. Seit 2002 kamen insgesamt zehn Personen im Tunnel ums
Leben, eine weniger als beim Unglück im Oktober 2001.
Ein Fahrzeugbrand
ist das eigentliche Horrorszenario in einem Strassentunnel. Beim
Unfall im Mont-Blanc-Tunnel 1999 geriet ein Lastwagenmotor in Brand.
Er konnte erst nach 50 Stunden gelöscht werden, 39 Menschen starben.
2013 installierte das ASTRA auf der Gotthard-Südseite ein so
genanntes Thermoportal. Infrarotkameras messen, ob ein Lastwagen
überhitzt ist. In diesem Fall wird er aus dem Verkehr gezogen.
Aufgrund der «guten Erfahrungen» wurde im Dezember 2015 auch auf
der Urner Seite ein Thermoportal installiert, teilte das ASTRA Anfang
Januar mit.
Die Gegner der
zweiten Röhre propagieren eine absenkbare Mittelleitplanke als
Massnahme gegen Frontalkollisionen. Sie ist allerdings umstritten.
Die Befürworter behaupten, dass sie mehr Schaden als Nutzen
anrichten und die Rettungsarbeiten bei einem Unfall behindern könnte.
Das Verkehrsdepartement UVEK meint, dass die Idee «im
Gotthardtunnel nicht taugt».
Selbstfahrende Autos
sind Zukunftsmusik. Die
Digitalisierung im Fahrzeugbereich aber macht laufend Fortschritte.
Beim Verkehrsclub der Schweiz (VCS) geht man davon aus, dass die meisten Neuwagen bis zur
allfälligen Fertigstellung einer zweiten Röhre in 15 Jahren mit
modernen Fahrassistenzsystemen ausgerüstet sein werden. Sie können für genügend Abstand zum vorderen Fahrzeug sorgen und
vor dem unbeabchsichtigen Verlassen der Fahrspur warnen.
Mehr Sicherheit am
Gotthard lässt sich folglich auch mit nur einer Tunnelröhre
realisieren. Umgekehrt wird es auch in zwei separaten Tunnels zu
Unfällen kommen. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) hat
in einer Studie berechnet, dass sich die Zahl der Unfallopfer nach
dem Bau einer zweiten Röhre um 53 Prozent reduzieren liesse.
Allerdings nur, wenn die beiden Röhren wie versprochen mit
einer Fahrspur und einem Pannenstreifen betrieben werden.
Falls jedoch die Befürchtung der Gegner eintritt und ein doppelspuriger Betrieb eingeführt wird, genügt laut der BFU-Studie bereits ein Mehrverkehr von drei Prozent (oder 500 Fahrzeugen pro Tag), um den durch die zweite Röhre erzielten Sicherheitsgewinn aufzuheben. Dieser Effekt dürfte in kurzer Zeit eintreten, ist es doch fast ein Naturgesetz, dass mehr Strassen zu mehr Verkehr führen. Beim VCS vermutet man, dass der dreiprozentige Mehrverkehr bereits mit zwei einspurigen Röhren eintreten wird.
Jeder Verkehrstote
ist einer zu viel. Und zwei Röhren sind grundsätzlich sicherer als
eine. Die Beispiele aber zeigen, dass die Investition von
2.8 Milliarden Franken für eine zweite Gotthardröhre keineswegs
zwingend zu mehr Sicherheit und weniger Unfällen führen wird.