Ein Staatsoberhaupt mit Kennedy-Antlitz und der Coolness Obamas, das scheinen sich auch die Franzosen zu wünschen: Die jüngsten Umfragen sagen für den ehemaligen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron 59 Prozent Wähleranteil voraus, für die rechtsextreme Marine Le Pen 41 Prozent. Das TV-Duell von Donnerstagabend konnte der 39-Jährige auch eindeutig für sich entscheiden. Ein klarer Fall, so scheint es. Trotzdem gibt es Aspekte, die den Ex-Banker zu Fall bringen könnten:
Macron war von August 2014 bis August 2016 Wirtschaftsminister im Kabinett Valls II (Premierminister Manuel Valls) unter Präsident François Hollande. Er war also bereits einmal Teil der Regierung. Von seinen Kritikern wird er deshalb auch gerne als «Mini-Hollande» bezeichnet, was viele Franzosen aufschreckt. Denn in den vergangenen Jahrzehnten war kein französischer Präsident unbeliebter als Hollande. Der Präsident wird für die schlechte wirtschaftliche Lage und die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht und musste im Kampf gegen den Terrorismus heftige Kritik einstecken.
Macron wird oft auch vorgeworfen, er habe die Chance gehabt, seine Ideen umzusetzen, als er Wirtschaftsminister war. Dass er das nicht getan hat, zeuge von seiner Ineffizienz, sagen Kritiker. Le Pen und ihr Front National hingegen haben es nie bis in die Regierung geschafft. So wird sie von vielen als «Erneuerung der Politik» angesehen, als eine Art Anti-Establishment.
Während des Wahlkampfs mussten alle Kandidaten ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Und dabei sorgte Macron für eine grosse Überraschung: Der ehemaliger Grossverdiener (er bezog zwischen 2009 und 2014 bei der Bank Rothschild ein Einkommen von 3,3 Millionen Euro) hat den Angaben zufolge mit 336'000 Euro eines der kleinsten Vermögen. Dieser Betrag sei für den Lohn des Investment-Bankers «auffällig tief», sagte der Antikorruptionsverein Anticor Anfang März, und beauftragte die Hohe Behörde für die Transparenz im öffentlichen Leben die Vermögenserklärung genauer unter die Lupe zu nehmen. Diese fand aber nichts Auffälliges, wie sie in einem Rapport Ende März mitteilte. Zu spät: Die Skepsis gegenüber Macrons Sparbüchlein scheint bei vielen Franzosen geblieben zu sein.
In Frankreich herrscht seit jeher ein gewisses Misstrauen gegenüber Bankern und allen, die im Finanzbereich tätig sind. Diese Argwohn hat sich seit der Subprime-Krise im Jahr 2007 nur verstärkt, und so wird Macrons hochdotierter Ex-Job bei der Privatbank Rothschild & CIE in jeder französischen Politsendung zum Thema. Die Kritiker werfen Macron vor, er werde kaltblütig Entscheidungen für Profit treffen, ohne sich dabei um die humanen Folgen zu scheren – «typisch Banker» eben, wenn man den Kritikern Glauben schenkt. Ein Financier an der Macht – «quelle horreur», sagt deshalb Marine Le Pen. Macron wäre aber nicht der Erste, der die Franzosen trotz Banker-Vergangenheit von sich überzeugen könnte. Der ehemalige Président Georges Pompidou war vor seiner Wahl ebenfalls bei Rothschild & CIE als Generaldirektor angestellt.
Nachdem am Sonntag, 23. April klar war, wer den ersten Wahlgang für sich entscheiden konnte, feierte Emmanuel Macron mit seinem Team und Prominenten ausgiebig im Pariser Restaurant La Rotonde. Champagner inklusive. Die Party wird von vielen als unangebracht angesehen, da Macron ja (noch) nicht die Präsidentschaft erlangt hatte, sondern nur die Stichwahl. Seither wird er von vielen als arrogant abgestempelt.
Macrons politische Haltung, weder links- noch rechtsorientiert, galt lange als Vorteil für seine Kandidatur. Und er warb auch gerne selbst dafür: «Ni de droite, ni de gauche», schrie er bei Meetings euphorisch in die Menge. Unter den Franzosen werden diesbezüglich aber vermehrt kritische Stimmen laut. Macrons Haltung zeuge von Unentschlossenheit, er sei «mit allem einverstanden», sagen diese. Auch oft an den Kopf geworfen wird ihm, er sei opportunistisch und «gierig nach der Macht des höchsten Postens Frankreichs». Und dafür zu jeglichem Kompromiss bereit.
Meinungsforscher sagen Le Pen eine Niederlage voraus. Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass sie irren. Denn gelegentlich ereignet sich eine Überraschung, wie es in den USA mit Donald Trump der Fall war. Le Pens Front National gilt trotz «Entteufelung» (dédiabolisation) in vielen Kreisen als rechtsextrem und nationalistisch, und somit als «unwählbar». Franzosen, die hinter Le Pen stehen, werden ihre Meinung in Umfragen also nicht unbedingt offenlegen. Und könnten so die Umfragewerte verfälschen.
Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon der Partei La France insoumise (das unbeugsame Frankreich) verpasste in der Vorwahl mit etwas über 19 Prozent Wähleranteil knapp das Podium. Er landete hinter dem konservativen François Fillon auf dem vierten Platz. Im Gegensatz zu Fillon und dem Parteikandidaten der Sozialisten, Benoît Hamon, hat Mélenchon für den 7. Mai keine Wahlempfehlung abgegeben. Das ist besonders umstritten, da Mélenchon mit Le Pen in mehreren zentralen Punkten übereinstimmt. So sprach er im Wahlkampf ebenfalls die Arbeiterschaft an, zeigte sich globalisierungskritisch und vertrat den Ausstieg aus dem Euro und der NATO. Wie viele seiner linken Wähler in der Stichwahl den Sprung von ganz links nach rechtsextrem wagen werden, ist unklar.
Marine Le Pen nutzt im Wahlkampf jede Gelegenheit, um zu erwähnen, wie stark sie benachteiligt wird. Ihr Credo: Macron werde von allen als Sieger angesehen, die Medien seien auf seiner Seite und die Justiz führe eine «Hexenjagd» gegen sie. Und zu guter Letzt: Alle würden zum Stimmen gegen sie aufrufen. In diesem Punkt hat sie nicht unrecht. Tatsächlich wollen die meisten Kandidaten des ersten Wahlgangs nun Macron den Weg ins höchste Staatsamt ebnen, und haben ihren Wählern empfohlen, ihm ihre Stimme zu geben. Sie sagen, Le Pen sei gefährlich und eine «Gegnerin der Republik» (Benoît Hamon).
Die Frage ist, wie vorteilhaft dieser Front Républicain (Front gegen Marine Le Pen) für ihr Anliegen ist. Denn er erlaubt Le Pen, sich abermals in der Opferrolle zu positionieren, und mit diesem Ungerechtigkeitsgefühl die Wut ihrer potenziellen Wähler auf «das System» zu füttern. Hinter der Entscheidung Jean-Luc Mélenchons, seine Wähler nicht zur Stimmabgabe gegen Le Pen aufzufordern, könnte auch diese Befürchtung stecken.
Seit Le Pen den Sprung in die Stichwahl geschafft hat, hat sich bei ihr und ihrem Team einiges verändert. War sie vorher noch Präsidentin des Front National, hat sie diese Funktion seit Montag aufgegeben. Seither bezeichnet sie sich nicht mehr als Kandidatin des Front National, sondern als Kandidatin, die vom Front National unterstützt wird. Mit diesem Schachzug erhofft sich die ehemalige Anwältin, die vom Image der rechtsextremen Partei abgeschreckten Wähler eher von sich zu überzeugen.
Der letzte Zug der Entteufelungs-Strategie der rechtsextremen Kandidatin heisst Nicolas Dupont-Aignan. Der konservative Dupont-Aignan kandidierte selbst für das höchste Amt Frankreichs und hat im ersten Wahlgang die Fünf-Prozent-Stufe nur knapp verfehlt.
Den Mann hat Marine Le Pen nun an ihre Seite geholt. Vor wenigen Tagen hat sie ihn für das Amt als Premierminister rekrutiert. Sie hofft, mit ihm Frankreichs Mitte-rechts-Wähler zu gewinnen. Für den Souveränisten Dupont-Aignan ein riskanter Schritt, viele ehemalige Anhänger seiner Partei Debout La France (Erhebe dich, Frankreich) haben sich seither von ihm abgewandt. Für Le Pen hingegen bedeutet sein Anschluss an ihre mögliche Regierung viel. Es ist das erste Mal, dass eine Partei ein solches Abkommen mit dem Front National trifft. Damit wird die rechtsextreme Partei endgültig salonfähig.
Dupont-Aignan politisierte, bevor er seine eigene Partei gründete, zudem über Jahre für Les Républicains (Die Republikaner). Bisher genoss er unter den Mitgliedern der Partei immer noch ein gewisses Ansehen. Und auch wenn er als Präsidentschaftskandidat ein ähnliches Programm wie Le Pen für Frankreich vorgesehen hatte, gilt er als weniger extrem. Er hat nicht die Vergangenheit des Front, muss sich nicht für antisemitische Äusserungen entschuldigen oder Homophobie-Vorwürfe abstreiten. Die Hemmungen, für Marine Le Pen zu stimmen, könnten durch ihn als Premier bei manchen Wählern fallen.