Goodwell Nzou war gerade mit Biochemie beschäftigt, als er von SMS und Facebook-Posts abgelenkt wurde: «Tut mir echt leid mit Cecil» und «Lebte Cecil in der Nähe von deinem Dorf in Simbabwe?». «Cecil wer?», fragte sich der simbabwische Doktorand an der Wake Forest University in North Carolina. Dann begann er die Nachrichten zu lesen – und freute sich instinktiv: Ein Löwe weniger, der Familien wie meine bedroht. Er hat eine völlig andere Sichtweise auf #CecilTheLion, und die tut er nun in einem Gastbetrag in der New York Times kund.
Als er merkte, dass der Löwenkiller als Schurke dargestellt wird, erlebte Nzou einen kleinen Kulturschock. Wissen denn all die Amerikaner, die jetzt Petitionen unterschreiben, nicht, dass Löwen Menschen töten, fragte er sich. Und: «Kämpfte [Comedian] Jimmy Kimmel mit den Tränen, weil Cecil ermordet wurde, oder weil er ihn mit Simba aus ‹The Lion King› verwechselte?»
Dann erzählt Nzou, wie es war, mit Löwen aufzuwachsen. Keiner sei je «geliebt» worden oder hätte einen Kosenamen erhalten. Nein, sie hätten Schrecken verbreitet. Als er neun Jahre alt war, machte ein Löwe sein Dorf unsicher. Er riss einige Hühner, Ziegen und schliesslich eine Kuh. Daraufhin durfte Nzou nur noch in Gruppen zur Schule laufen. Wasser holen, Wäsche waschen und Brennholz sammeln konnte man nur noch mit Personenschutz. Der Onkel der Mutter erlitt Beinverletzungen, als der dem Löwen begegnete. Kurzum: Das Dorfleben kam zum Erliegen.
Als der Löwe endlich getötet wurde, fragte niemand, von wem. Einheimisch oder ein weisser Trophäenjäger, legal oder von Wilderern, war den Leuten gleichgültig. «Wir tanzten und sangen, weil das furchterregende Biest verschwunden war und wir mit heiler Haut davongekommen waren», so Nzou. Ein 14-jähriger Junge in der Nähe seines Dorfes habe kürzlich weniger Glück gehabt: Er sei in der Nacht von einem Löwen angegriffen und getötet worden, währenddem er die Felder seiner Famile bewachte.
Nzou betont, dass wilde Tiere in seiner Kultur eine «nahezu mystische» Stellung einnehmen. Das würde allerdings niemanden davon abhalten, sie zu jagen. Die Amerikaner hätten die Tendenz, Tiere mit Namen zu versehen und zu romantisieren. «Amerikaner, die Simbabwe auf der Karte nicht finden würden, applaudieren der simbabwischen Regierung, weil sie die Auslieferung des Zahnarzts fordert. Sie wissen nicht, dass für das letzte Geburtstags-Bankett des Präsidenten offenbar ein Elefantenbaby geschlachtet wurde.»
«Wir Simbabwer schütteln den Kopf, warum Amerikaner sich mehr um afrikanische Tiere als afrikanische Menschen sorgen», schliesst Nzou. Mitleidsbekundungen für Cecil weist er zurück, solange sich niemand um die Menschen schert, die von Löwen getötet werden, die Hunger haben oder unter politischer Repression leiden. (kri)