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Bundesratswahl: Norman Gobbi wird zum Geheimfavoriten

Norman Gobbis Chancen steigen, die Nachfolge von Eveline Widmer-Schlumpf anzutreten.
Norman Gobbis Chancen steigen, die Nachfolge von Eveline Widmer-Schlumpf anzutreten.
Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Trumpft Gobbi in den Hearings auf? Der Tessiner wird zum Geheimfavoriten

Die Bundesratswahl geht in die entscheidende Phase. Als Favorit wird derzeit Guy Parmelin gehandelt, doch der Tessiner Norman Gobbi könnte für eine Überraschung sorgen.
01.12.2015, 13:2102.12.2015, 14:47
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Mit musikalischen Klängen eröffnete die Bundesversammlung ihre 50. Legislatur. In der Wintersession stehen gewichtige Geschäfte an, etwa das Bundesbudget 2016 und die Unternehmenssteuerreform III. Ein Traktandum allerdings überstrahlt alle anderen: Die Gesamterneuerungswahl des Bundesrats am 9. Dezember. Dann wird die Frage beantwortet, die die politische Schweiz bewegt: Wer folgt auf Eveline Widmer-Schlumpf?

Eine wichtige Weichenstellung erfolgt heute Dienstag: Die Fraktionen von FDP, CVP, BDP und GLP laden die drei offiziellen Bewerber der SVP – Thomas Aeschi, Norman Gobbi und Guy Parmelin – zu Hearings ein, um ihnen auf den Zahn zu fühlen. Die Grünen dagegen führen keine Anhörungen durch: «Wir wählen niemanden in den Bundesrat, der aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten will», betonte Co-Präsidentin Regula Rytz am Montag.

Guy Parmelin und Thomas Aeschi am Montag im Nationalrat.
Guy Parmelin und Thomas Aeschi am Montag im Nationalrat.
Bild: KEYSTONE

Die SP laviert noch, sie wird erst heute entscheiden, ob sie die drei SVP-Bewerber anhören will. Dies wäre am 8. Dezember der Fall, einen Tag vor der Wahl. Auch bei den Sozialdemokraten gibt es kompromisslose Gegner eines zweiten SVP-Bundesrats, allen voran der Aargauer Nationalrat Cédric Wermuth. Die Basler Ständerätin Anita Fetz hingegen würde alle drei Bewerber zum Hearing einladen, wie sie im Gespräch erklärte. Dieser Standpunkt dürfte sich durchsetzen.

SVP-Anspruch unbestritten

Zwei Punkte sind absehbar: Wermuth und die Grünen werden mit ihrer Position chancenlos sein. Der Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz ist bei den Mitte-Parteien, die den Ausschlag geben werden, unbestritten. Selbst Regula Rytz macht sich in dieser Hinsicht keine Illusionen. Ebenso zeigt sich die politische Mitte wenig motiviert, durch die Wahl eines «wilden» Kandidaten – etwa Thomas Hurter oder Heinz Brand – eine Kraftprobe mit der SVP zu riskieren.

Falls nicht in der nächsten Woche etwas ungewöhnliches geschieht, dürfte es auf einen Bundesrat aus dem SVP-Dreierticket hinaus laufen. Die besten Chancen scheint derzeit der Waadtländer Nationalrat Guy Parmelin zu haben. Er gilt vor allem im Mitte-links-Lager als das «kleinste Übel». Für Gesprächsstoff sorgte am Montag das Gerücht, die «Weltwoche» wolle in ihrer nächsten Ausgabe ein Alkoholproblem des Winzers aus Bursins thematisieren.

Ist Aeschi Blochers Wunschkandidat?

So richtig daran glauben mag im Bundeshaus niemand. Eine solche Enthüllung käme einer totalen Desavouierung der SVP-Findungskommission gleich. Sie wurde gegründet, um «unwählbare» Kandidaten auszusortieren. Ein einflussreicher Mitte-Parlamentarier nennt ein weiteres Argument: «Wenn die SVP-Fraktion die Wahl eines Welschen verhindern wollte, hätte sie Oskar Freysinger nominieren müssen.» Der Walliser ist für die grosse Mehrheit des Parlaments ein rotes Tuch.

Welcher SVP-Kandidat soll in den Bundesrat gewählt werden?

Parmelin hat folglich gute Karten. Die Ausgangslage von Thomas Aeschi dagegen hat sich verschlechtert. Der Zuger Nationalrat wirkte am Montag sichtlich nervös. Ihm hängt der Ruf eines Strebers und Rechthabers an. Vor allem aber gilt er als Zögling von Christoph Blocher, der angeblich ohne Telefonat nach Herrliberg zu keiner Entscheidung fähig ist. Die Einschätzung, wonach Aeschi Blochers Wunschkandidat ist, könnte allerdings ein Irrtum sein.

Das «Tessiner Problem»

Eine gewichtige Stimme im Bundeshaus geht davon aus, dass der SVP-Vordenker den Tessiner Norman Gobbi bevorzugt. Tatsächlich spricht einiges für diese Version. Es muss Blocher ein Dorn im Auge sein, dass ihm ausgerechnet im Südkanton, der bei den SVP-Kernthemen Ausländer- und Europapolitik weit nach rechts gedriftet ist, die Lega dei Ticinesi vor dem Sünneli steht. Mit der Wahl von Lega-Regierungsrat Gobbi wäre eine «Eingemeindung» der Protestpartei wohl nur eine Frage der Zeit. Die SVP wäre schlagartig die stärkste Kraft im Tessin.

Es gibt weitere Gründe, die für Gobbi sprechen. Mit seiner Mehrsprachigkeit und seiner Italianità dürfte er in den Hearings punkten. Bereits bei der Vorstellung des SVP-Dreiertickets am 20. November hinterliess er den stärksten Eindruck. Ausserdem könnte er das «Tessiner Problem» lösen. Die italienischsprachige Schweiz, die sich vom Rest des Landes vernachlässigt fühlt, will nach 16 Jahren Abwesenheit wieder im Bundesrat vertreten sein.

Mit Gobbi Lombardi verhindern

Wird mit Guy Parmelin ein dritter Westschweizer gewählt, muss das Tessin wohl auf Jahre hinaus in die Gotthardröhre schauen. Vier «Lateiner» gleichzeitig im Bundesrat sind kaum vermittelbar. Will man dieses Szenario verhindern und hält man Aeschi für unwählbar, läuft es auf einen Bundesrat Gobbi hinaus. So nebenbei liesse sich damit die Wahl des ebenso umtriebigen wie umstrittenen CVP-Ständerats Filippo Lombardi als Nachfolger von CVP-Bundesrätin Doris Leuthard verhindern.

Noch ist Norman Gobbi nicht gewählt, denn es spricht auch manches gegen ihn: Seine Vergangenheit als «Eishockey-Hooligan» oder seine Zugehörigkeit zu einer Partei, die in ihrer Zeitung «Il Mattino della Domenica» regelmässig gegen die Deutschschweiz allgemein und Bundesbern im Speziellen polemisiert. Doch selbst aus den Reihen der SP könnte Gobbi vermutlich mit Stimmen rechnen, weil er in sozialen Fragen nach links tendiert.

Nach den heutigen Hearings wird noch nichts entschieden sein. Es wäre aber keine Überraschung, wenn die Kurve von Norman Gobbi danach aufwärts zeigt, jene von Guy Parmelin stabil bleibt und diejenige von Thomas Aeschi einen Abwärtstrend aufweist.

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23 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Raphael Stein
01.12.2015 15:23registriert Dezember 2015
«Wir wählen niemanden in den Bundesrat, der aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten will»

Würde ich auch nicht!
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Linus Luchs
01.12.2015 14:59registriert Juli 2014
Die Grünen und Cédric Wermuth beharren auf dem Prinzip, wer einen Austritt aus der EMRK anstrebt, ist als Regierungsmitglied nicht wählbar. Dass sie mit dieser konsequenten Haltung als Exoten dastehen, ist elend. Die übrigen Bundesparlamentarier scheinen sich vorstellen zu können, einen Bundesrat zu wählen, der einen Frontalangriff auf die Grundfesten unserer Zivilisation für richtig hält.
Was hindert die Mitteparteien an der "Kraftprobe mit der SVP"? Wird die Nötigung mittels Ausschlussklausel hingenommen? Wer weist diese Polit-Hooligans in die rechtsstaatlichen Schranken?
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Toerpe Zwerg
01.12.2015 14:24registriert Februar 2014
Sehr lesenswerte Analyse, merci!
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