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Vor ein paar Tagen habe ich mich stellvertretend dafür entschuldigt, dass watson einen Artikel des Journalisten Helmut Scheben unter dem Titel: «Spielball der Mächte: Weshalb der Syrienkonflikt ein Stellvertreterkrieg geworden ist» von Infosperber übernommen hat.
Diese Story, so meine Aussage, sei russische Propaganda und Scheben ein Putin-Troll, und wir watson-Deppen seien ihm auf dem Leim gekrochen.
Ich habe auch darauf hingewiesen, dass Scheben auf anderen Portalen schon mehrmals sehr umstrittene Thesen veröffentlicht hat, beispielsweise dass die Annexion der Krim durch Russland durchaus im Einklang mit dem Völkerrecht stehe, oder dass der bosnische Kriegsverbrecher Radovan Karadzic – er steht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord vor den Schranken des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag – kein brutaler Schlächter sei, wie er gemeinhin dargestellt wird.
Sowohl der Scheben-Artikel als auch meine Replik haben eine atypische Reaktion ausgelöst: Die Anzahl der Shares auf Facebook und Twitter waren beim Scheben-Text weit über dem sonst üblichen Mass. Ebenso war er begleitet von User-Kommentaren, die fast unisono lauteten: «Liebes watson-Team, vielen Dank für diesen Artikel. Toll, dass ihr den Mut habt, euch gegen den Mainstream zu stellen» und ähnlich.
Auch meine Replik hat eine Flut von User-Kommentaren ausgelöst. Der Tenor dabei war überwiegend: Löpfe wurde unter Druck gesetzt, hat einen aufrichtigen Journalisten verunglimpft und die watson-Leser als Trolle beleidigt.
Ich habe keine liquiden Beweise dafür, dass Helmut Scheben ein Putin-Troll ist. Die Indizien dafür sind jedoch erdrückend. Zudem habe ich Scheben schriftlich gebeten, Stellung zu diesem Vorwurf zu beziehen. Er hat darauf bis jetzt nicht reagiert.
Helmut Scheben ist gelegentlich auch Gast beim TV-Sender «Russia Today» (RT), einem üblen Propaganda-Sender, vergleichbar vielleicht mit Fox News, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: In den USA ist Fox News einer von vielen Sendern. Er wird regelmässig kritisch unter die Lupe genommen, beispielsweise von der Kultsendung «The Daily Show». Auch Leitmedien wie die «New York Times» rücken die Berichterstattung von Fox News immer wieder ins richtige Licht.
In Russland hingegen sind die Medien gleichgeschaltet. Ein Online-Portal wie watson wäre undenkbar, kritische Journalisten sind im besten Fall arbeitslos, im weniger guten Fall im Gefängnis – und im schlimmsten Fall tot.
Russland ist weder ein Rechtsstaat noch eine Demokratie. Oppositionelle werden schikaniert, Homosexuelle diffamiert und westliche NGOs ausgewiesen. Putin selbst bezeichnet das als eine «gelenkte Demokratie», eine höfliche Umschreibung für eine Diktatur.
Vieles an der russischen Propaganda erinnert an die Zeiten der UdSSR, auch die Auslandpropaganda. Es sind auch schon öfters Artikel in renommierten Medien erschienen, in denen reuige Putin-Trolls über ihre Arbeit berichtet und aufgezeigt haben, wie sie via Kommentarspalten die westlichen Medien zu unterwandern suchen.
Meinungsfreiheit ist selbstverständlich auch für uns ein zentrales Anliegen. Aber wie geht man mit denen um, welche die Meinungsfreiheit mit Füssen treten und gleichzeitig im Namen eben dieser Meinungsfreiheit das Recht auf die Verbreitung ihrer Propaganda einfordern?
Es gibt kein Patentrezept, wir werden von Fall zu Fall entscheiden und leider auch damit rechnen müssen, dass wir gelegentlich in die Falle tapsen. Dann hilft nur noch Offenheit und den Fehler eingestehen.
Die Medienlandschaft wird umgekrempelt. Traditionsmedien haben immer weniger Geld, um eine eigenständige Redaktion zu finanzieren und eine unabhängige Berichterstattung zu garantieren. Die Kommentarspalten mit den User-Meinungen gewinnen an Bedeutung und sind unverzichtbar geworden, auch für watson. Sie bieten daher ideale Einfallstore für Putin- und andere Trolls. Ob SVP oder Veganer, ob Schwule oder Jusos – immer öfters werden ganz gezielte Anstrengungen unternommen, die öffentliche Meinung via Kommentarspalten zu manipulieren.
watson ist ein junges Medium mit einer jungen Redaktion (okay, mich ausgenommen) und einem jungen Publikum. Das macht uns anfällig für Trolls aller Art – auch für Putin-Trolls. Sie haben es schon ein paar Mal versucht, und werden es auch weiterhin tun.
«Jeder Mensch hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber kein Mensch hat das Recht, falsche Fakten zu präsentieren», lautet ein berühmtes Zitat des legendären Börsenspekulanten und Philantropen Bernard Mannes Baruch. Diesem Motto versuchen wir bei watson nachzuleben.
Das heisst konkret: Selbstverständlich ist es erlaubt, ja es ist ausdrücklich erwünscht, bei watson über kontroverse Themen zu diskutieren und seine Meinung einzubringen, auch im Fall von Putin. Aber wir versuchen zu verhindern, dass mit falschen Fakten manipuliert wird.
Ich halte es für legitim, zu fordern, dass im Kampf gegen den «IS» auch eine Partnerschaft mit Putin eingegangen werden soll, obwohl ich diese Meinung nicht teile. Ich wünsche mir heftige Debatten über unsere Ernährungsgewohnheiten und sexuellen Präferenzen, und bin auch bereit, über Flüchtlinge mit der SVP zu diskutieren.
Nicht jeder, der die westliche Sicht zur Krim-Annexion nicht teilt, ist zwangsläufig ein Putin-Troll. Man kann auch aus eigener Überlegung zu
einer anderen Ansicht gelangen, und sicher hat es unter den 400 Kommentaren zu meinem Artikel auch Stimmen, die bass erstaunt waren, dass sie beschuldigt werden, Russen-Propaganda zu verbreiten.Bei euch, liebe zu Unrecht als Putin-Trolls Beschimpfte, möchte ich mich entschuldigen. Ich hoffe, dass ihr weiterhin eure Meinung bei watson kundtut.
Dazu noch ein gut gemeinter Tipp: Beginnt euren Kommentar bei Themen im Zusammenhang mit Russland nicht mit «Danke, liebes watson-Team» und meidet den Ausdruck «Mainstream-Medien» wie die Pest. Ihr droht sonst in gut organisierte schlechte Gesellschaft zu geraten.
Hochachtungsvoll,
Philipp Löpfe
Anmerkung der Redaktion
watson wird Leser-Kommentare zum vorliegenden Artikel restriktiv freischalten, weil die Diskussion um den Text von Helmut Scheben und die Entgegnung von Philipp Löpfe bereits umfassend geführt worden ist und hier nicht noch einmal wiederholt werden soll.