Gerd Nitzsche lehnt mit seinem Fahrrad an einer Strassenlaterne unweit der polizeilich abgeriegelten Sperrzone. Dahinter erstreckt sich das Kongresszentrum, wo die Mächtigen der Welt über Flucht, Klima, Handel und Migration debattieren sollten. Die Kaiser-Wilhelm-Strasse führt genau vor Nitzsches Haus durch. Der Protest einer Gruppe von vielleicht 100 linken Aktivisten droht jetzt, kurz vor halb zwölf Uhr mittags, zu eskalieren.
Die Polizei fährt mit Wasserwerfern an, Beamte in Vollmontur stürmen die Strasse, vermummte Demonstranten flüchten sich in Nebenstrassen. Das Schauspiel dauert keine drei Minuten, dann ist die Demo aufgelöst. «Die Polizei geht viel zu rabiat vor», sagt der 68-Jährige, «was soll dieses Vorgehen gegen ein paar Leute, die Plakate hochhalten?» Den G20-Gipfel hält Nitzsche für wichtig: «Besser, sie unterhalten sich, als wenn sie Kriege führen.»
Hamburg gleicht am Freitag beim Auftakt zum Gipfel der G20 einer Festung. Schon die ganze Nacht hindurch heulten Sirenen, war der Nachthimmel blau beleuchtet. Am Vorabend des Gipfels kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit mehreren Verletzten. Am Freitagvormittag war der Weg zum Kongresszentrum hermetisch abgeriegelt, Helikopter kreisten über jenem Ort, wo Putin, Trump, Merkel und Co. an Lösungen für die Konflikte der Gegenwart feilen sollten.
Am Freitag forderte die Hamburger Polizei wegen der hohen Gewaltbereitschaft militanter Gipfel-Gegner Verstärkungen aus anderen Bundesländern an. Die Meinungen der Hamburger über die G20 und das Vorgehen der Polizei gehen weit auseinander. Im Zentrum der linksautonomen Hamburger Szene, in der seit Jahren besetzt gehaltenen Roten Flora im links-alternativen Schanzen-Viertel, tummeln sich am frühen Nachmittag Hunderte von Gipfel-Gegnern. Man gelangt erstaunlich leicht in das Gebäude, weit und breit ist keine Polizei zu sehen, die Hausbesetzer führen keine Kontrollen durch. Überall liegen Info-Broschüren linker NGOs auf.
Von wem die Gewalt ausgeht, darüber ist man sich in der Roten Flora einig: Kapitalismus tötet, und die Hamburger Polizei lässt es durch ihr provokatives Auftreten absichtlich zur Eskalation bei Demonstrationen kommen. Die Medien sollen das Bild von Gewalt zeichnen, damit die breite Öffentlichkeit von den wahren politischen Inhalten des Gipfels abgelenkt wird. Im westlichen Hamburger Viertel Altona, einem gutbürgerlichen Wohnquartier, ist es am Freitagmorgen zu wüsten Szenen gekommen. Vermummte haben Autos von Anwohnern in Brand gesteckt und einen Ikea angegriffen, Scheiben von Geschäften rund um den S-Bahnhof Altona sind eingeschlagen, der Boden ist übersät mit Scherben.
Vor zwei völlig ausgebrannten Fahrzeugen stehen am Nachmittag einige Anwohner etwas ratlos und schiessen Fotos, manche diskutieren miteinander. Richard Träger, 75, hat die abgefackelten Autos begutachtet. «Ein blödes Pack», nennt er die Übeltäter und zeigt mit dem Finger nach Osten, wo sich Gipfel-Gegner ein Zeltlager eingerichtet haben. «Diese Vermummten in der Roten Flora und ihre Sympathisanten, die sind ja gegen alles. Aber gleichzeitig machen sie die Hand beim Staat auf und kassieren Sozialhilfe, damit sie ihr Leben in Freiheit geniessen können.» Dabei wäre Träger dem Protest gegenüber der G20 durchaus zugetan. Er kritisiert das Agieren der «Mächtigen» in scharfen Worten, am schlimmsten findet er aber die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. «Merkel fehlt das Weltwissen und der Weitblick. Sie handelt wie eine normale Hausfrau. Eine Hausfrau mit Physikstudium.»
Im Bauch des Stadions des FC St.Pauli am Millerntor haben verschiedene linke Organisationen ein alternatives Pressezentrum eingerichtet. Hier kommen linke Aktivisten bei Pressekonferenzen zu Wort, hier debattieren Vertreter von NGOs, hier sind auch Menschen jener afrikanischer Staaten anwesend, welche es nicht auf die Liste der G20 im Kongresszentrum nebenan geschafft haben. Auch die linke Schweizer Wochenzeitung «WoZ» ist mit zwei Redakteuren anwesend.
Werner Rätz, Mitbegründer des linken Netzwerkes Attac Deutschland, hat auch beim Pressezentrum im Millerntor vorbeigeschaut. Der 65-Jährige ist eine der markanten Figuren des Hamburger Protests, für Samstag hat er eine Grossdemo angekündigt. Dass die G20 ausgerechnet in der linken Hochburg Hamburg tagt, das halten Rätz und viele Hamburger für eine bewusste Provokation der Behörden. Es sei wichtig, dass die G20 von lautstarkem Protest begleitet wird, sagt Rätz. Die G20 würde Spielregeln setzen, die für alle zu gelten hätten. «Sie setzen sich Regeln, obwohl die meisten Staaten in einer Konkurrenz zueinander stehen, manche sogar indirekt in Kriegen gegeneinander.» Die Vereinbarungen zu Flucht, Migration, Klima, Handel und Krieg seien «Verabredungen im Sinne der G20. Alle anderen Staaten werden von den Entscheiden ausgegrenzt», kritisiert der Aktivist.
Um 19 Uhr hätte das Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters in der prachtvollen Elbphilharmonie beginnen sollen. Nicht zuletzt auch wegen Trumps langer Unterredung mit Putin beginnt das Orchester mit Beethovens 9. mit einer halben Stunde Verspätung. Zuvor zog Gastgeberin Angela Merkel eine nüchterne Bilanz nach dem ersten Tag. Die Unterhändler haben eine Nachtschicht vor sich, damit für das heutige Abschlusspapier ein Kompromiss gefunden werden kann, mit dem sich der G20-Gipfel von Hamburg als Erfolg verkaufen lässt. Während die Regierungs- und Staatschefs in der Hamburger Elbphilharmonie den klassischen Klängen lauschen, formiert sich vor der Roten Flora neuer Widerstand militanter Linker. Hamburg steht vor einer neuen unruhigen Nacht.
G20-Treffen !
Da sass doch mal Barak Obama ganz entspannt bei einem G-Treffen auf einer Bank und plauderte locker mit my dear Angela. Die Mächtigen waren da auf dem Land einquartiert und waren unter sich. Keine Krawalle. Nichts. Und jetzt ? G20 mitten in einer Grossstadt.
Die Krawallbrüder WISSEN JETZT : Mit 1500 Militanten bringen wir das Sicherheitsdispositiv komplett an den Anschlag. Mit 3000 Militanten bringen wir es zu Fall.
P. S. Die Krawallanten sind Arschlöcher und Feiglinge. Eigentum von Unschuldigen kaputt machen.
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