In Tobias Arnolds Zuhause tief im Kanton Uri liegt ein Schatz. Tief verstaut in einer Kiste, unter Karton und Schutzpapier, blieb er seit Monaten unberührt. Tobias wartet auf einen besonderen Anlass, um den Schatz anzuschauen, um ihn zu berühren und ihn schliesslich um den Hals zu legen. Der Schatz, den er so ehrfürchtig wahrt, ist ein Rosenkranz. Es ist nicht die einzige Gebetskette, die Tobias besitzt, aber die Einzige, die ihm vom Heiligen Vater geschenkt wurde – als Dank für seinen treuen Dienst.
Tobias diente zwei Jahre lang in der Schweizergarde. Schmal gebaut und in Jeans und T-Shirt gekleidet statt in der schweren Renaissance-Uniform kommt er in die watson-Redaktion. Als Tobias von seiner Arbeit im Vatikan zu erzählen beginnt, strahlen seine Augen. Es sei die grösste Ehre seines Lebens gewesen, für Papst Franziskus' Sicherheit zu sorgen. Und ein Kindheitstraum, der in Erfüllung ging: «Bereits als kleiner Bub, als mir mein Mami Geschichten von der Schweizergarde vorlas, war ich sicher: Dorthin will ich auch.»
Ende 2014: Tobias ist 26 Jahre alt. Er hat eine Lehre als Metallbauer hinter sich und die Rekrutenschule absolviert. Ausserdem ist er über 1.74 gross und römisch-katholisch – die auf dem Papier verlangten vier Voraussetzungen für die Aufnahme in die Schweizergarde erfüllt er damit.
Doch die angehenden Gardisten müssen auch in der Praxis überzeugen: Tobias nimmt an einem regelrechten Casting teil, inklusive langer Gespräche mit ranghohen Gardisten, Psychologie- und Intelligenztest. Ein paar Monate später ist klar: Tobias darf nach Rom. Er verpflichtet sich für zwei Jahre Dienst, muss eine Waffenausbildung, Selbstverteidigungs- und Italienischkurse absolvieren.
Februar 2015: Tobias zieht in das Schweizergarde-Quartier im Vatikan, in ein Zimmer, das er sich mit einem Gardisten aus der Romandie teilt. Die zwei kennen sich bereits aus der RS, «ein cooler Zufall», so Tobias. Vor Ort wird ihm erstmals richtig bewusst: «Ich bin nun Teil einer 500-jährigen Geschichte» – «da war ich schon ein bisschen stolz.»
Die Arbeit im Vatikan sei ein dankbarer Job, erzählt Tobias eifrig. «Viele Besucher waren begeistert von uns Gardisten und unserer Aufgabe. Sie stellten Fragen und dankten uns für unseren Dienst.» Am wenigsten Kenntnisse über die Garde hätten seine Mitbürger gehabt: Viele Schweizer wussten nicht, dass wir Gardisten Schweizer sind. Ich wurde mehrmals auf Englisch angesprochen, erkannte jedoch den typisch schweizerdeutschen Akzent und das bezeichnende Mammut-Tschöpli.»
Der Dienst im Vatikan sei körperlich sehr anstrengend.« Besonders hart ist es, in der Sommerhitze auf dem Petersplatz zu stehen. Mit der Uniform hat man da schnell das Gefühl, es sei 50 Grad.» Während seinen zwei Dienstjahren hat Tobias Persönlichkeiten aus den verschiedensten Bereichen getroffen: Da waren wichtige Kardinäle, Politiker wie der ehemalige Staatspräsident Frankreichs François Hollande oder Promis wie Leonardo DiCaprio oder Penelope Cruz. Arnold hält kurz inne: «Penelope war sogar noch hübscher als in ihren Filmen – unglaublich.» Beeindruckter als von Frau Cruz zeigt sich Tobias nur von Papst Franziskus. Mit ihm hat er mehrmals gesprochen. «Er hat eine richtig gütige Art und widmet sich zu Hundertprozent seinem Gesprächspartner.» Den Schwur, den er bei seiner Vereidigung abgelegt hatte, war bitterernst gemeint: «Ich war bereit, mein Leben für das des Papstes zu opfern – und wäre es noch immer.»
Zu extremen Situationen ist es während seines Dienstes nicht gekommen. Doch eingreifen müssten die Gardisten schon ab und zu: «Wenn mal wieder einer glaubt, er sei Jesus und müsse den Papst nun unbedingt sprechen. Oder Menschen, die steif und fest behaupten, sie hätten vorhergesehen, dass wir attackiert werden und durch die Sicherheitskontrolle rennen.» Noch lieber als an den Eingängen des Vatikans war Tobias aber auf Patrouille. Dabei begleitete er beispielsweise Gäste innerhalb vom Vatikan. Dabei trug Tobias statt der Galauniform einen schwarzen Anzug mit Krawatte und weissem Hemd – «à la James Bond». Immer dabei: eine Waffe und Handschellen.
Oft heisst es, Schweizergardisten seien fromm und abstinent. «Das sind nur Klischees», entgegnet Tobias. «Wir sind Soldaten, nicht Priester – Alkohol und Partys sind in der Freizeit erlaubt.» So hat er in Rom nicht nur reichlich an Arbeitserfahrung gesammelt, sondern auch eine Freundin gefunden. Allzu wild gefestet hat Tobias in Rom aber nicht. «Ich habe mich vorher in meiner Jugendzeit schön ausgelebt, war damals bei jedem Fest dabei.»
Tobias bezeichnet sich als gläubig, aber nicht als streng praktizierend. «Ich gehe fast nur an Weihnachten oder für Hochzeiten in die Kirche.» Wichtiger als dieser Aspekt sei ihm bei seinem Eintritt in die Schweizergarde die Tradition gewesen. Die Ehre, einen Dienst anzutreten, der nur Schweizern vorbehalten ist. Einige der Gardisten seien aber tief religiös.
Nach 26 Monaten im Dienst hatte Tobias im Februar 2017 aber genug. Bei seiner Abschieds-Audienz wurde er dennoch nostalgisch: «Papst Franziskus war so nett und gütig. Ich glaube, er hatte auch Freude, dass er mit mir Spanisch sprechen konnte – da packte mich fast das schlechte Gewissen.»
Zurück in der Schweiz ist Tobias aber froh um seinen Entscheid. Es sei eine schöne Zeit gewesen, aber eine langfristige Karriere in der Schweizergarde wäre nichts für ihn gewesen. Für ihn ist der Dienst im Vatikan nun auch ein Karriere-Sprungbrett. Mit den gesammelten Erfahrungen erhofft er sich einen einfacheren Eintritt in die Polizei- oder Grenzwachschule. Tobias spielt gedankenversunken mit seiner Halskette, einem anderen Rosenkranz, und sagt: «Aber nun geht es erst einmal nach Mexiko zum Surfen.»