Schweiz
Zürich

Pfefferspray-Einsatz der Stapo Zürich: Opfer erwägt Anzeige

«Ich dachte, die Polizei in der Schweiz ist anders. Aber sie ist genau wie die Polizei in der Türkei»: Jetzt redet das Pfefferspray-Opfer

Sennur Sümer ist nach der Solidaritätskundgebung für Flüchtlinge auf dem Zürcher Helvetiaplatz von Stadtpolizisten aus nächster Nähe mit Pfefferspray besprüht worden. Im Interview sagt die 44-jährige Mutter, wie sie den Vorfall erlebte. 
07.09.2015, 07:1807.09.2015, 10:28
Felix Burch
Folge mir
Mehr «Schweiz»

Nach der Solidaritätskundgebung auf dem Zürcher Helvetiaplatz kam es am Samstagnachmittag zu einem umstrittenen Polizei-Einsatz. Die Demonstrierenden wollten den Helvetiaplatz durch die Langstrasse in einem Demo-Zug verlassen, was die Polizei verhinderte. Verschiedene watson-User filmten, wie bei dem Einsatz, bei dem die Polizei mit Gummischrot gegen die Demonstranten vorging, eine Frau aus nächster Nähe mit Pfefferspray besprüht wurde. Die Stadtpolizei Zürich will den Vorfall gemäss Angaben von Marco Cortesi untersuchen. Jetzt redet die Betroffene zum ersten Mal öffentlich. 

Frau Sümer, wie erlebten Sie die ersten Minuten, nachdem der Demo-Zug den Helvetiaplatz verliess?
Sennur Sümer: Kurz nachdem wir uns in Bewegung gesetzt haben, sah ich, dass die Polizei das offenbar nicht erlaubt. Doch ich dachte, das ist unser Recht und ich wollte weitergehen. 

Was geschah dann?
Die Polizei schoss mit Gummischrot auf uns. Ich wurde nicht getroffen und legte mich auf den Boden. Ich dachte mir, dass kann doch nicht sein. Wir sind friedlich und die beginnen zu schiessen. Ich stand auf und wollte dies zeigen, indem ich meine Hände in die Höhe streckte und mit den Fingern das Peace-Zeichen machte; sofort bekam ich eine Ladung Pfefferspray ins Gesicht. 

Die 44-jährige Sennur Sümer lebt mit ihren drei Kindern und ihrem Mann in Bremgarten AG. Sie ist türkisch-schweizerische Doppelbürgerin. 
Die 44-jährige Sennur Sümer lebt mit ihren drei Kindern und ihrem Mann in Bremgarten AG. Sie ist türkisch-schweizerische Doppelbürgerin. 
«Ich dachte, ich werde blind. Es brannte unerträglich. Sofort kamen mir andere Demonstranten zu Hilfe.»

Haben Sie provoziert, warum sind Sie weiter auf die Polizisten zugelaufen?
Nein. Ich wollte nur verstehen, warum ich nicht weitergehen durfte und schrie ‹Ich habe keine Waffe›.​

Aber Sie wussten, dass der Demonstrationszug unbewilligt war?
Nein. Ich dachte, ich darf hier meine Meinung kundtun. Momentan sterben Flüchtlingskinder, darauf wollte ich als Mutter, als Mensch aufmerksam machen. Schliesslich kam ich auch einmal als Flüchtling in die Schweiz. 

Was gingen Ihnen nach der Pfefferspray-Attacke durch den Kopf?
Ich dachte, ich werde blind. Es brannte unerträglich. Sofort kamen mir andere Demonstranten zu Hilfe. Sie brachten mich zu einem Brunnen, dort wuschen sie mir alle paar Minuten die Augen aus.

Die Polizei liess verlauten, sie ordne eine Untersuchung an. Was erhoffen Sie sich davon?
Ehrlich gesagt nicht viel, das Verhalten der Polizei finde ich aber inakzeptabel. Ich dachte, die Polizei in der Schweiz ist anders. Aber sie ist genau wie die Polizei in der Türkei. Ich überlege mir, ob ich Anzeige erstatten soll.

«Die Schweiz ist und bleibt das Land, das meine Familie und mich aufgenommen hat und uns ein friedliches Leben ermöglicht.»

Wann wollen Sie darüber entscheiden?
Ich weiss es noch nicht, es ist alles noch zu frisch.  ​

Wann waren Sie selber Flüchtling?
Das war im Jahr 2001, ich flüchtete aus der Türkei in die Schweiz und weiss deshalb, wie sich die jetzigen Flüchtlinge fühlen. Niemand verlässt sein Land freiwillig.

Hat sich Ihr Bild der Schweiz nach diesem Vorfall verändert?
Nein. Die Schweiz ist und bleibt das Land, das meine Familie und mich aufgenommen hat und uns ein friedliches Leben ermöglicht. 

Dir gefällt diese Story? Dann like uns doch auf Facebook! Vielen Dank! 💕

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
104 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Karl33
07.09.2015 08:37registriert April 2015
Wenn ich die Dame wäre, würde ich nicht die Polizisten verklagen, sondern die Medien (Watson, Blick, Tagi) die sie als "altes Grosi" bezeichnet haben.
10225
Melden
Zum Kommentar
avatar
Mett-Koch
07.09.2015 08:04registriert Januar 2015
Naja... Klar ist wohl, dass die Polizei überreagiert hat. Andererseits sollte sie sich nicht beschweren. Wenn sie eine Demo anführen will, sollte sie sich informieren, ob nur eine Kundgebung oder eben auch ein Demonstrationszug genehmigt wurde.
Der Titel "Jetzt redet XY" erinnert übrigens sehr an eine Blick-Schlagzeile ;)
8817
Melden
Zum Kommentar
avatar
⚡ ⚡ ⚡☢❗andre ☢ ⚡⚡
07.09.2015 07:40registriert Januar 2014
Stapo war daneben, aber der Organisation des Umzugs würde ich jetzt auch kein Kränzchen bilden.
703
Melden
Zum Kommentar
104
Velotouren für Geniesser: Wenig Höhenmeter, super Aussichten
Die Schweiz ist zwar das Land der Berge. Für Velofahrer bedeutet dies meist: Es geht immer wieder hinauf und du musst kräftig in die Pedale treten. Doch das gilt nicht überall. Wir haben dir hier Velostrecken für Geniesser zusammengestellt, bei denen die Höhenmeter eher runterführen.

Der Frühling lockt und bald schon können wir das Velo wieder aus dem Keller nehmen. Doch das Velofieber packt nicht nur alte Hasen, auch Newbies schwingen sich gerne aufs Velo. Für diese hatte Kollege Ralf Meile hier mal 20 goldene Ratschläge zusammengestellt. Wenn du diese beherzigst, kannst du dich auf folgende Touren freuen.

Zur Story