Der 18. Geburtstag ist für viele Jugendliche ein besonderer Tag. Endlich Autofahren dürfen, endlich Alkohol trinken dürfen, endlich von Zuhause ausziehen können, endlich selbstständig sein. Doch neben Kuchen, Geburtstagskarten und Geschenken erhalten einige Jugendliche auch eine Betreibung der Krankenkasse.
Der Grund: Prämien aus der Kindheit, die die Eltern nicht bezahlt haben. Denn die Krankenkassen müssen die Kosten laut Gesetz auf die 18-Jährigen abwälzen. Die Aarauerin Lorena berichtete gegenüber der Pendlerzeitung 20 Minuten von ihren Erfahrungen: «Meine Eltern hatten zu wenig Geld, um für mich als Kind aufzukommen. Der Start ins Erwachsenenleben war dann auch äusserst schwierig: Aus meiner Kindheit hatte ich im Alter von 18 Jahren bei der Krankenkasse bereits Schulden in der Höhe von 4000 Franken. Trotz dem Zustupf des Sozialamtes kam ich aus dieser finanziellen Notlage nicht heraus. Im Gegenteil: Mit 20 Jahren hatte ich bereits 15'000 Franken Schulden.»
Unverschuldet zu Schulden kommen – wie kann es so weit kommen? «Rechtlich ist das Kind mit 18 Jahren die versicherte Partei und begründet selbständig eine Prämienpflicht», erklärt Barbara Zobrist, Geschäftsführerin der Schuldenberatung Aargau-Solothurn. Bezahlt die versicherte Person trotz Zahlungsaufforderung die Prämie, Kostenbeteiligung und Verszugszinsen nicht innert Frist, muss der Versicherer die Betreibung anheben, heisst es im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG).
Fälle wie jener der Aarauerin Lorena sind gemäss Zobrist keine Seltenheit: «In der Beratung melden sich immer wieder junge Erwachsene, die bei Erreichen der Volljährigkeit unverschuldet Krankenkassenschulden haben und für diese belangt werden.»
Allerdings haben die Krankenkassen keine andere Wahl. «Die Krankenversicherer haben keine gesetzliche Kompetenz, um die Eltern zur Unterhaltspflicht zu verpflichten», erklärt Sandra Kobelt, Leiterin Abteilung Politik und Kommunikation des Schweizer Krankenkassenverbands Santésuisse. «Die 18-Jährigen werden automatisch betrieben, und das trotz der Unterhaltspflicht der Eltern, wenn die Person noch in Ausbildung ist.»
Um die Jugendlichen zu entlasten, müsste ebendieses Bundesgesetz geändert werden. Und genau das möchte die Solothurner SP-Nationalrätin Bea Heim erreichen. Sie ist Präsidentin des Dachverbands Schuldenberatung Schweiz. Dieser erhält gemäss Heim entsprechende Rückmeldungen aus den regionalen Fachstellen für Schuldenberatung.
In einer Motion, die sie Anfang Mai eingereicht hatte, fordert sie, dass das KVG so angepasst wird, dass die Kinder nicht nachträglich für unterlassene Prämienzahlungen der Eltern belangt werden können. «Die unverschuldete Überschuldung hat erhebliche negative Folgen bei der Wohnungssuche und je nach dem auch bei der Berufswahl», so Heim.
Schuldenberaterin Barbara Zobrist unterstützt Bea Heims Forderung. «Es kann nicht sein, dass junge Erwachsene für die Schulden ihrer Eltern aufkommen müssen», so Zobrist. Auch der Krankenkassenverband Santésuisse hält die Motion für «sicherlich prüfenswert».
«Unverschuldet überschuldet zu sein und sich bereits in sehr jungen Jahren mit Betreibungen auseinandersetzen zu müssen, ist für die Betroffenen eine enorme Belastung und ein schwieriger Start ins Leben», erläutert Bea Heim. «Denn eine Betreibung bedeutet leben auf dem Existenzminimum. Die laufenden Steuern werden zudem nicht berücksichtigt, was zur Folge hat, dass die betriebenen jungen Erwachsenen die Steuern nicht bezahlen können.» Ein Teufelskreis, aus dem man nur sehr schwer wieder herauskommt.
Lorena aber hat es geschafft: Sie habe Hilfe von der Invalidenversicherung und einer freiwilligen Sozialarbeiterin erhalten. «So konnte ich eine Lehre als Malerin beginnen und lernte gleichzeitig, meine Buchhaltung in den Griff zu bekommen», sagte Lorena zu «20 Minuten». «Heute bin ich stolz auf mich.» Im nächsten Sommer sei sie fertig mit ihrer Ausbildung und wohl auch mit dem Abzahlen ihrer Schulden. «Auch meine Eltern sind stolz, dass ich es geschafft habe. Gleichzeitig sind sie aber auch sehr traurig, dass sie mich überhaupt in diese Situation gebracht haben.» (aargauerzeitung.ch)