Luganos grandiosem, spektakulärem Untergang in diesem vierten Playoff-Halbfinal werden wir am besten mit dem Refrain eines Songs der US-Südstaaten-Rockband 3 Doors Down gerecht: «Going Down in Flames».
I’m going down in flames
I’m falling into this again, yeah
I’m going down in flames
I’m falling into this again.
Jeden anderen Gegner als den SC Bern hätte Lugano am Dienstagabend niedergerungen, vom Eis gefegt oder wäre über ihn hinweggebraust, hätte ihn zersaust. Es ist ein «Grande Lugano», gelenkt und vom freundlichen Titanen Philippe Furrer. Der Verteidigungsminister hat von allen Schweizern bei Lugano am meisten Eiszeit (21:20 Minuten). Leidenschaft, Tempo, Präzision. Keine Provokationen. Zum ersten Mal in dieser Serie gibt es mehr Strafen gegen den SCB.
Noch einmal mobilisiert der mächtige, leidenschaftliche Aussenseiter gegen den Meister alles und stürmt zu Land, zu Wasser und in der Luft. Und berennt den SCB, als gelte es am Vorabend des Jüngsten Gerichtes noch eine Festung zu erstürmen. Das Torschussverhältnis lautet am Ende 41:20.
Hinterher, im Wissen, wie es geendet hat, ist es leicht, die taktische Cleverness der Berner zu rühmen. Aber wenn Lugano das 1:0, vielleicht sogar das 2:0 gelungen wäre, alles hätte ganz anders kommen können. Ein klarer Sieg wäre möglich gewesen. Acht Minuten Überzahlspiel vermögen die Tessiner beim Stande von 0:0 nicht auszunützen und ein letztes Mal bleiben sie beim Stande von 1:2 während zwei Minuten im Powerplay erfolglos.
Ja, es brennt auf dem Eis lichterloh. Aber am Schluss geht Lugano in den Flammen unter, die es selber entfacht hat. So, als wäre nicht nach Hockeyregeln gespielt worden, sondern nach einem Hollywood-Drehbuch.
Ausgerechnet Beat Gerber führt die Entscheidung herbei. Im spielerischen Wesen und Wirken so etwas wie der hockeytechnische Gegenentwurf eines typischen Lugano-Stars. Ein kleiner (178 cm), aber mutiger, zäher, kräftiger (87 kg) «Bullterrier».
Seine Aufgabe ist das Verhindern von Toren. Nicht das Erzielen derselben. In mehr als 900 NLA-Spielen hat er noch nicht 40 Treffer erzielt. Keine Frage: Jeder nur einigermassen begabte Drehbuchschreiber wählt genau diesen Spieler aus, um dieses Drama zu vollenden. Und tatsächlich: Nicht einer der offensiven Titanen trifft Lugano mit einem Schuss mitten ins Herz. Es ist Beat Gerber. Nach 35 Minuten und 59 Sekunden fährt sein Geschoss zum 0:1 ins Netz von Elvis Merzlikins.
Es fällt hinterher, da wir ja wissen, wie alles herausgekommen ist, leicht, diesen Treffer dramatisch zu erhöhen. Aber jeder im Stadion spürte es: Würde Lugano, das der Verzweiflung nahe ist, weil einfach niemand ein Mittel fand, um Leonardo Genoni zu überwinden, würde also dieses Lugano jetzt in seine leidenschaftlichen Bemühungen hinein einen Treffer kassieren, dann wäre das die Entscheidung.
Und Beat Gerbers Treffer zum 0:1 ist der Anfang vom Ende. Schockstille. Es wird ein paar Sekunden so ruhig in diesem Hexenkessel, dass der Torjubel der beiden Stadtberner Kult-Radioreporter Albi Saner und Luzi Fricker («Goooou! Goooou! Goooou!») weitherum in der Arena zu hören ist.
Nach der Partie muss der Langnauer Gerber, der 2003 zum SCB gewechselt hat, zum Interview-Marathon antreten und in den Wald der hingehaltenen Tonknochen (Mikrophone) reden. Der freundliche, bescheidende, introvertierte Emmentaler, aufgewachsen in Oberlangenegg, der Hochebene, die das Emmental vom Oberland trennt, mag das Interesse an seiner Person nicht.
Aber er muss den Chronisten nach dem Spiel Red und Antwort stehen. Ob er will oder nicht. Seine kurzen, träfen Antworten haben schon fast Kultcharakter. Nein, es spiele keine Rolle, wer die Tore schiesse, wenn sie nur jemand schiesse. Nun müsse man am Donnerstag wieder konzentriert spielen. Nein, er könne sich nicht an zwei Treffer in der gleichen Playoffserie erinnern (er hatte im zweiten Spiel in Lugano auch das 3:1 erzielt). Nein, nein, er werde jetzt nicht zum Stürmer umfunktioniert. «Für mich ändert sich nichts. Meine Aufgabe ist es weiterhin, Tore zu verhindern.»
Den Stachel dieses 0:1 bringt Lugano nicht mehr aus seinem Herzen. Als in der Schlussphase (51. Minute) doch noch das 1:2 fällt, ist es zu spät (David Jobin hatte zum 0:2 getroffen). Der SCB hält auch dem letzten Ansturm stand und trifft ins leere Tor zum 3:1.
59' Tooooor #SCBern Andrew Ebbett trifft! Sein 6. Playoff-Tor! *1:3 pic.twitter.com/OpWVbPW7Ns
— SC Bern (@scbern_news) 28. März 2017
Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Verteidiger Beat Gerber (34) und David Jobin (35) im gleichen Playoffspiel im gleichen Drittel treffen, ist etwa so gross wie die Gefahr, dass der Papst in einen Sexskandal verwickelt wird: David Jobin hat diese Saison erst einen Treffer erzielt und seit 2012 in den Playoffs nicht mehr getroffen. Für Beat Gerber war es der vierte Saisontreffer.
Berns grosser Bandengeneral Kari Jalonen hatte das Spielfeld wieder einmal in einen taktischen Maschinenraum verwandelt und seine Männer waren mehr Ingenieure der Defensive als Künstler der Offensive. Oder, um beim eingangs erwähnten Beispiel der Musik zu bleiben: Die Berner spielten, einfach, geradlinig, urig, schnörkellos, funktional, nüchtern, schlicht, simpel wie eine Rock-Band. Wie die Jungs von Status Quo, die es mit bloss drei Akkorden zu Weltruhm brachten. Meisterliche Rockmusik.
Diese vierte Partie brachte das bisher eindrücklichste Beispiel der unheimlichen Einfachheit des Spiels der Berner. Es war ein perfektes Spiel. «Nein, das war es nicht», widerspricht Kari Jalonen. «Ein perfektes Spiel gibt es nie. Fehler gibt es immer.» Aber der pragmatische Finne sagt bescheiden, das erste Drittel sei gut gewesen, das zweite habe ihm sehr gut gefallen und das dritte sei, na ja, ganz ordentlich gelungen.
Und wir haben gesehen, warum Leonardo Genoni als bester Torhüter der Liga gilt (Fangquote: 97,22 %). Aber das ist nun ja wirklich nicht neu. Ein Zaungast scherzt nach der Partie auf der Tribüne mit Marc Lüthi: «Es gibt ja schon einen Grund, warum der Genoni der bestbezahlte Schweizer Spieler in der SCB-Geschichte ist.» Der SCB-General muss es wissen. Er dementiert diese Feststellung nicht und sagt: «Und wenn es so ist, dann ist er jeden Rappen seines Gehaltes wert.»
Nun braucht der SCB noch einen Sieg für den Finaleinzug. Für den SCB gibt es einen zusätzlichen wichtigen Grund, diese Serie am Donnerstag zu beenden. Verliert Kari Jalonen in diesem Halbfinale ein zweites Spiel, dann können wir ohne Bosheit sagen: Aber mit Lars Leuenberger an der Bande hat der SCB im letztjährigen Finale gegen Lugano nur einmal verloren.
Kann Lugano diese Serie noch drehen und wie im Vorjahr ins Finale einziehen? Nein. Und wenn es gelänge, wäre es das grösste Comeback seit Lazarus. Und das war vor etwa 2000 Jahren.