Auftritte von Wladimir Putin vor laufender Kamera sind selten. Wenn aber Videobilder des russischen Präsidenten veröffentlicht werden, wird dafür umso genauer hingeschaut. Viel Aufsehen erregte etwa das Treffen zwischen Putin und Verteidigungsminister Sergej Schoigu von vergangener Woche.
Viele Beobachterinnen und Beobachter interessierten sich dabei gar nicht so sehr für das Gespräch an sich, sondern für das Verhalten der beiden Teilnehmer.
Auffallend waren dabei folgende Punkte:
Vor allem über Putins Gesundheitszustand wurde nach der Veröffentlichung des Videos viel spekuliert. Seriöse Schlüsse können jedoch keine gezogen werden, auch wenn das einige Twitter-User anders sehen.
Stefan Verra, Experte für Körpersprache, sagte gegenüber t-online.de: «Er sitzt da, wie wir ihn seit Jahren kennen. Zurückgelehnt, nicht wahnsinnig, sich selber präsentierend.» Putin sei noch nie der grosse Mimiker gewesen.
Der Experte warnte vor Überinterpretationen. Die Körpersprache während des Gesprächs sei medizinisch nicht einzuordnen. Die Mimik sei zwar etwas zurückhaltender geworden, aber Putin sei auch 70 Jahre alt und schlafe wahrscheinlich schlecht. «Der Mann ist seit Monaten unter Vollstress. Der weiss, wie die Welt auf ihn schaut. Der weiss, dass er gewinnen muss.»
Interessant ist jedoch, was am Treffen zwischen Putin und Schoigu gesagt wurde. Denn die Realität hat das Gesagte mittlerweile schon wieder eingeholt.
Schoigu berichtete: «Mariupol wurde von den Streitkräften der Russischen Föderation und der Volksmiliz der Volksrepublik Donezk befreit.» Zwar gab der Verteidigungsminister zu Protokoll, dass es noch ukrainische Kämpfer habe. Diese würden sich aber auf dem Fabrikgelände Asowstal verschanzen. Man brauche noch etwa drei bis vier Tage, um die «Arbeit» bei Asowstal abzuschliessen.
Putin entgegnete Schoigu: «Ich halte den geplanten Sturm auf das Industriegebiet für unangemessen. Ich befehle Ihnen, ihn zu stornieren.» Putin sagte, man müsse das Leben und die Gesundheit der russischen Soldaten und Offiziere erhalten. Es sei nicht nötig, «in diese Katakomben zu klettern und unterirdisch durch diese Industrieanlagen zu kriechen.»
Stattdessen befahl er: «Sperren Sie dieses Industriegebiet ab, sodass keine Fliege durchfliegen kann.» Das Kapitel Mariupol, so schien es, wollte er nach der Sitzung mit Schoigu für beendet erklären. «Der Abschluss der Kampfhandlungen zur Befreiung von Mariupol ist ein Erfolg», so Putin.
Wie der Krieg in der Ukraine gezeigt hat, sollte man Putin nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten messen. Von einem «Abschluss der Kampfhandlungen» kann in Mariupol derzeit nämlich nicht die Rede sein.
Am Samstag haben russische Truppen die Angriffe auf Asowstal nach ukrainischen Angaben wieder aufgenommen. «Der Feind versucht, den letzten Widerstand der Verteidiger von Mariupol zu ersticken», sagte Präsidentenberater Olexij Arestowytsch per Videobotschaft. Dabei würde das Industriegebiet aus der Luft beschossen. Auch Artillerie werde eingesetzt. Am Sonntag schrieb dann der ukrainische Präsidentenberater, Mychajlo Podoljak, Russland ziehe Einheiten und Militärtechnik für eine Erstürmung des Stahlwerks zusammen.
Überprüfbar sind die Aussagen der Ukrainer zwar nicht. Ähnliche Angaben macht aber auch das britische Verteidigungsministerium, welches auf Twitter laufend über den Krieg in der Ukraine informiert. «Trotz der erklärten Eroberung von Mariupol finden weiterhin heftige Kämpfe statt», schreibt das Verteidigungsministerium. Der Vorstoss der Russen im Donbas werde somit verlangsamt.
Nicht nur in Mariupol wurde in den vergangenen Tagen gekämpft. Trotz internationaler Bitten um eine Waffenruhe am orthodoxen Osterfest liess Moskau im ganzen Land zahlreiche Stellungen des ukrainischen Militärs beschiessen. Bei Angriffen auf die Hafenstadt Odessa starben gemäss ukrainischen Angriffen acht Zivilisten.
Wer hoffte, Putin setze auf Deeskalation, weil er den Sturm auf Asowstal im Treffen mit Schoigu abblasen liess, der dürfte sich getäuscht haben. Rustam Minnekajew, ein Befehlshaber der russischen Militärführung, sagte am Freitag der Agentur Interfax zufolge, dass Russland den ganzen Donbas und den kompletten Süden der Ukraine einnehmen wolle.
Minnekajew nahm sogar Moldawien und die abtrünnige Provinz Transnistrien ins Visier. «Die Kontrolle über den Süden der Ukraine ist ein weiterer Weg nach Transnistrien, wo es ebenfalls Anzeichen für eine Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung gibt», so Minnekajew.
Die Aussagen Minnekajews decken sich mit einem Bericht der Financial Times. Die Zeitung, die sich auf drei gut informierte Quellen beruft, schreibt: «Wladimir Putin hat das Interesse an diplomatischen Bemühungen zur Beendigung seines Krieges mit der Ukraine verloren und scheint stattdessen darauf aus zu sein, so viel Territorium wie möglich zu erobern.»