Als Ingrid Ryser, Informationschefin des Bundesamt für Justiz, an der Pressekonferenz den Journalistinnen das Wort für Fragen übergibt, stockt ihre Stimme. Der besprochene Forschungsbericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zu den illegalen Adoptionen aus Sri Lanka gehe ihr nahe, so Ryser.
Ihr Statement folgt auf das Referat von Sarah Ramani Ineichen. Sie war eines der Kinder, die in den 1980er Jahren von Sri Lanka in die Schweiz adoptiert wurde. Heute ist sie die Präsidentin des Vereins Back to the Roots und kämpft für eine lückenlose Aufklärung der illegalen Machenschaften von damals.
Ihr Verein fordert zudem eine kostenlose psychologische und finanzielle Unterstützung bei der Suche nach der eigenen Herkunft und den biologischen Eltern. «Wir brauchen DNA-Tests und die Behörden in Sri Lanka müssen informiert werden.» Die Zeit dränge, so Ineichen: «Es muss jetzt schnell gehen, einige unserer biologischen Elternteile sind bereits verstorben.»
Eine prominente Rolle im Adoptionsskandal nahm der Kanton St.Gallen ein. Er erteilte der umstrittenen Adoptionsvermittlerin Alice Honegger über Jahre hinweg die Adoptionsbewilligung. Die im Forschungsbericht untersuchten Adoptionsfälle wiesen alle Unregelmässigkeiten auf. Gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen der Adoptionen wurden vom Kanton missachtet oder vernachlässigt.
«Der Kanton hätte seine Aufsichtsfunktion in Bezug auf die Vermittlungstätigkeiten von Frau Honegger strenger wahrnehmen müssen», sagt Martin Klöti, FDP-Regierungsrat im Kanton St.Gallen und Vorsteher des Departements des Innern, am Mediengespräch. Er habe sich bereits öffentlich bei den betroffenen Adoptierten entschuldigt und man werde ihnen jegliche Unterstützung bei der Suche nach ihrer Abstammung bieten.
Auch der Bund verletzte seine Aufsichtspflicht gemäss des Forschungsberichts der ZHAW. Zu einem Adoptionsstopp von Kindern aus Sri Lanka kam es nicht, obwohl der Bund vom Kinderhandel Kenntnis hatte. Man sei bemüht, die Geschehnisse aufzuarbeiten, so Joëlle Schickel-Küng. Sie ist Co-Leiterin des Fachbereichs Internationales Privatrecht beim Bundesamt für Justiz.
Schickel-Küng bittet zudem um Geduld. Auch der Bundesrat werde sich der Sache annehmen und im Herbst dieses Jahres einen Bericht dazu veröffentlichen.
Nicht nur in St.Gallen, sondern auch in vielen anderen Kantonen kam es zu Adoptionen aus Sri Lanka. Ebenfalls anwesend am Mediengespräch war Alain Hofer, Generalsekretär der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen (KKJPD).
Laut Hofer wird die KKJPD eine Arbeitsgruppe einsetzen, welche die Betroffenen bei der Herkunftssuche so gut wie möglich unterstützt. Man habe bereits die administrativen Hürden für den Zugang zu wichtigen Dokumenten minimiert. «Die Suche nach den biologischen Eltern soll so für die Adoptierten einfacher gemacht werden.» Auch empfiehlt die KKJPD den Kantonen, auf Gebühren zu verzichten und die Adoptierten bei der Suche nach ihrer Herkunft mit einer unabhängigen Stelle zu unterstützen.
Es fällt den Behörden schwer, das Versagen auf so vielen verschiedenen Ebenen zu erklären. «Vielfach wurde die Verantwortung abgegeben oder das Problem auf eine andere Ebene verschoben», sagt Joëlle Schickel-Küng.
Der St.Galler Regierungsrat Klöti vergleicht die illegalen Adoptionen mit einem anderen dunklen Kapitel der Schweizer Geschichte: Den fürsogerischen Zwangsmassnahmen (Verdingkinder). «Auch dort hat der Staat gravierende Fehler begangen. Es ist wichtig, dass wir zu diesen Fehlern stehen und für Aufklärung und Wiedergutmachung sorgen.»
Sabine Bitter*, eine der Autorinnen des ZHAW-Forschungsberichts, sucht nach einer historischen Erklärung. «Das Kindswohl war in den 80er Jahren noch nicht so wichtig wie heute.» Dem Kinderwunsch der Eltern sei damals viel mehr Gewicht geschenkt worden. «In den von uns untersuchten Fällen hat kaum je ein Ehepaar gesagt, sie hätten aus humanitären Gründen ein Kind aus der dritten Welt adoptiert.» Der Kinderwunsch der Eltern sei so stark gewesen, dass man sich auf die Adoptionsvermittlerin Alice Honegger einliess. «Honegger versprach eine schnelle und reibungslose Adoption», so Bitter.
*Korrektur: In einer ersten Version dieses Artikels war Nadja Ramsauer die Rede. Die Aussage machte jedoch Sabine Bitter, ebenfalls Studienautorin. Wir entschuldigen uns für die Verwechslung.
«Es hilft uns und den Betroffenen nicht, die involvierten Personen zur Rechenschaft zu ziehen. Viele der damaligen Regierungsmitglieder sind bereits verstorben.»
Äh? ??? Häh? ???