International
Wirtschaft

Was Coca-Cola, Pepsi und M&M's mit dem Krieg im Sudan zu tun haben

Was Coca-Cola, Pepsi und M&M's mit dem Krieg im Sudan zu tun haben

Für uns ist E414 nur eine Lebensmittelbezeichnung, für Millionen von Menschen im Sudan bedeutet der Rohstoff ihre Existenz. Die Machtkämpfe verschärfen den Niedergang der wichtigsten Industrie des Landes – mit weltweiten Auswirkungen.
04.11.2025, 21:0704.11.2025, 21:07

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich – dieses Bonmot, das fälschlicherweise Mark Twain zugeschrieben wird, bewahrheitet sich einmal mehr.

Als der Sudan 2007 wegen des blutigen Darfur-Konflikts mit westlichen Sanktionen belegt wurde, richtete der sudanesische Botschafter John Ukec Lueth Ukec eine deutliche Drohung an den Westen. Mit einer Flasche Coca-Cola in der Hand machte er unmissverständlich klar: Der Sudan ist der wichtigste Produzent von Gummi Arabicum. Problemlos könne er die Produktion einstellen.

Das Druckmittel zeigte Wirkung: Der Regierung gelang es, den klebrigen Stoff vom Embargo zu befreien.

Nun ist die Industrie erneut in Gefahr.

Droht dem Westen mit einer Cola-Flasche: Botschafter John Ukec Lueth Ukec an der Pressekonferenz im Jahr 2007.
Droht dem Westen mit einer Cola-Flasche: Botschafter John Ukec Lueth Ukec an der Pressekonferenz im Jahr 2007.bild: johnakecsouthsudan

Stoff mit Geschichte

Gummi Arabicum, in der Lebensmittelindustrie als E414 bekannt, ist ein natürlicher Pflanzenstoff, der aus dem Harz bestimmter Akazienbäume gewonnen wird.

Die Geschichte der klebrigen Substanz reicht bis ins alte Ägypten zurück. Damals wurden Tote mit dem Naturprodukt mumifiziert. Zuletzt soll Lenin damit eingestrichen worden sein, bevor er ins Mausoleum gebracht wurde. Heute dient der Stoff einem anderen Verwendungszweck: Lebensmittel, Medikamente und Kosmetika werden mit dem Naturprodukt «einbalsamiert».

Der essbare Kleber hat fast schon Superkräfte: In kohlensäurehaltigen Getränken verhindert er, dass der Zucker sich am Boden absetzt, im Bier stabilisiert er den Schaum, im Wein mildert er die Bitterkeit, und in Gummibärchen verhindert er das Kristallisieren des Zuckers.

epa12499545 A handout satellite image made available by Vantor shows fires and smoke around El Fasher Airport, Sudan, 26 October 2025 (issued 02 November 2025). Rapid Support Forces (RSF) fighters too ...
Der Krieg zerstört die Vegetation – und damit die Lebensgrundlage vieler Menschen.Bild: keystone

Die Nachfrage ist global hoch, denn nur wenige Länder können den natürlichen Kleber herstellen. Die Bäume findet man hauptsächlich in der Sahelzone Afrikas. Der weltweit wichtigste Produzent ist der Sudan. Rund 80 Prozent des begehrten Rohstoffes kommen aus dem nordostafrikanischen Land, das sich seit 2023 im Bürgerkrieg befindet. Im Jahr davor erwirtschaftete das Land mit dem Export von Gummi Arabicum 183 Millionen US-Dollar.

Andere Hauptanbauländer in der Sahelzone, wie der Tschad, Somalia oder Nigeria, können die Nachfrage nicht stemmen. Diese exportieren nur in geringen Mengen. Die grössten Abnehmer: Frankreich, die USA, Deutschland sowie das Vereinigte Königreich. Sprich: Länder mit millionenschweren Nahrungsmittelherstellern.

Doch nicht nur Nestlé, Cola, Pepsi, Mars und Co. sind vom Stoff abhängig. Rund fünf Millionen der 45 Millionen Sudanesinnen und Sudanesen verdienen direkt oder indirekt ihren Lebensunterhalt mit der Produktion des Naturkristalls.

Frauenkooperationen halten Handel am Leben

Rund 60 Prozent der Arbeitskräfte in der Produktion sind Frauen. Viele von ihnen weigern sich, die Wälder trotz der Kriegsgefahr zu verlassen, da ihre Lebensgrundlage direkt von der Ernte abhängt.

Im ersten Jahr der Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) brach die Produktion um die Hälfte ein. Letztes Jahr haben die RSF die Kontrolle über die wichtigsten Anbaugebiete in Kordofan und Darfur im Westen Sudans erlangt.

Im Sudan spielt sich derzeit eine der schlimmsten humanitären Krisen weltweit ab. Der Konflikt, der 2023 zwischen der sudanesischen Armee (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) ausbrach, dreht sich vor allem um Macht und Ressourcen – allen voran Gold. Laut einem UN-Bericht haben beide Seiten schwere Menschenrechtsverletzungen begangen.
KEYPIX -Patients sit outside the malnutrition ward of Bunj Hospital in Maban, South Sudan, Tuesday, Aug. 19, 2025. (KEYSTONE/AP Photo/Caitlin Kelly)
Hunderttausende Kinder haben nicht genug zu essen.Bild: AP

Für die Produzentinnen und Produzenten ist die Arbeit nicht nur gefährlicher geworden, sie bringt ihnen auch immer weniger ein. Zwar steigt der Preis bei Knappheit, doch die RSF erhebt hohe Gebühren, sodass die Menschen vor Ort kaum davon profitieren. Zudem sind durch den Krieg viele Erntegebiete schwer zugänglich oder zerstört worden.

«Heute wird im Sudan der gesamte Gummi geschmuggelt, weil es im Land keine funktionierende Autorität mehr gibt», sagt ein Branchenexperte gegenüber Reuters. Experten zufolge fliessen die Erlöse direkt in die Finanzierung des bewaffneten Konflikts.

Der sudanesische Journalist Hussein Ali sagt gegenüber DWR, dass die Fortsetzung des Krieges einen «kompletten Exporteinbruch» verursachen könnte – und viele grosse Unternehmen in die Krise stürzen könnte.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das ist gerade im Sudan los – erklärt in 90 Sekunden
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
24 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Bennno
04.11.2025 23:07registriert April 2018
„Rund fünf Millionen der 45 Millionen Sudanesinnen und Sudanesen verdienen direkt oder indirekt ihren Lebensunterhalt mit der Produktion des Naturkristalls.“

„erwirtschaftete das Land mit dem Export von Gummi Arabicum 183 Millionen US-Dollar.“

183 Mio. : 5 Mio. = 36,6 US-Dollar pro Person und Jahr für den Lebensunterhalt…

Rechne ich falsch? Wenn das stimmt, verstehe ich sofort, dass das zu Krieg führt. 😢
556
Melden
Zum Kommentar
avatar
Nocciolo
04.11.2025 21:39registriert November 2014
Moment: die ganze Welt braucht das? In jedem Cola, Gummibärli, etc. steckt das drinnen und die produzieren 80% der Weltproduktion. Dafür kassieren sie pro Jahr 183 Millionen US-Doller. Da sieht man wieder mal wie der Westen den globalen Süden ausbeutet. Vielleicht sollte man faire Preise bezahlen, dann wären solche Länder vermutlich stabiler.
8141
Melden
Zum Kommentar
avatar
Pat Andrea
05.11.2025 09:40registriert Juli 2024
Ich find's originell wie hier in den Kommentaren über "Schuld" diskutiert wird.

Das Wort (oder ähnliche Formulierungen) kommen im Artikel KEIN EINZIGES Mal vor.

Es steht da auch nix vom "Westen", sondern es wird v.a. über jene Nahrungsmittelkonzerne berichtet, welche "abhängig" sind und nun vor einem Problem stehen.

Sicherlich: es mag Leute geben, welche da eine Schuld erkennen wollen oder strikt dagegen argumentieren. Aber aus diesem Artikel lese ich weder eine Position für das eine, noch das andere.
286
Melden
Zum Kommentar
24
Wie Trump mit irrationalem Hass die US-Wirtschaft sabotiert und einen Crash riskiert
Der Boom um die Künstliche Intelligenz ist das einzige, was die US-Wirtschaft zusammenhält – Trump attackiert ausgerechnet ihre grosse Schwachstelle.
Die USA führen gerade ein kurioses Schauspiel auf. Der Arbeitsmarkt steht am Rande einer Krise. Die Inflation vor einem Comeback. Die Börse am Anfang oder am Ende eines historischen Booms. Mittendrin tobt Donald Trump. Die Welt schaut zu und fragt sich, ob bald die nächste Krise made in USA über ihr hereinbricht.
Zur Story