1889 fragte eine Zeitschrift ihre Leserinnen, warum manche Frauen sich dafür entscheiden, ledig zu bleiben. Die Antworten waren grossartig.
07.12.2025, 05:4207.12.2025, 21:35
Die Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts glich oftmals einem widersprüchlichen Gemenge zwischen erstickendem bürgerlichem Konservatismus einerseits und aufkeimenden modernen Ideen der Geschlechtergleichstellung andererseits. Mit dem Aufkommen des Bürgertums war das Konzept der «Hausfrau und Mutter» im modernen Sinne entstanden – und infolgedessen auch dessen Idealisierung der liebevollen Mutter und Ehefrau.

Familienfoto anno 1890: das viktorianische Eheideal.Bild: www.imago-images.de
Aber mit der Industrialisierung und den damit einhergehenden neuen Jobformen eröffneten sich auch neue Wege und Perspektiven für Frauen. Sie verdienten zwar rund die Hälfte für die gleiche Arbeit, doch dass Frauen überhaupt was verdienten, war schon ein Novum. Auch die Alphabetisierung erreichte einen historischen Höchststand.

Streichholzfabrikarbeiterinnen-Protest 1871 in London. Das brutale Eingreifen der Polizei trug wesentlich dazu bei, die öffentliche Meinung zugunsten der Arbeiterinnen zu beeinflussen.Bild: wikicommons
Dies war somit auch die Ära, in der Frauen aller Gesellschaftsschichten sich verstärkt gegen die Ungleichbehandlung der Geschlechter aussprachen und sich kompetent mobilisierten, um diese sozialen Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Fabrikarbeiterinnen organisierten äusserst wirksame Streiks, um bessere Arbeitsbedingungen und Löhne durchzusetzen. Frauenrechtsaktivistinnen aus dem gehobenen Bürgertum lobbyierten gekonnt für Unterstützung für das Frauenwahlrecht und die Rechte randständiger Bevölkerungsgruppen. Derweil aber durften verheiratete Frauen weder Eigentum noch eigenes Geld besitzen. Während die gesellschaftlichen Ungleichheiten bedrückend waren, waren die in der Ehe noch gravierender.
Im Jahr 1889 schrieb das Londoner Wochenmagazin Tit-Bits einen Geldpreis aus für die beste Antwort auf die Frage, «Warum bin ich eine alleinstehende Frau?» («Why am I a spinster?»)
In der Vorwoche hatten die Herausgeber einen Artikel mit dem Titel «Warum bist du Junggeselle?» veröffentlicht und wollten nun das Gleiche mit den Damen versuchen. Wohl kaum rechneten sie mit derart vielen scharfzüngigen Repliken, weshalb sie gleich eine ganze Seite ausgewählter Antwortbriefe druckten.
«Warum bin ich Single?» Hier eine Auswahl der besten Antworten:

Bild: Library of Congress
«Weil ich meine Menagerie an Haustieren nicht erweitern will und finde, dass die Tiergattung ‹Mann› weniger lieb ist als ein Hund, weniger zärtlich als eine Katze und weniger lustig als ein Affe.»
Miss Sparrow, 9 Manor Place, Paddington, London W.
Disclaimer: SYMBOLBILDER
Sämtliche hier gezeigten Fotos stammen aus dem späteren 19. Jahrhundert, sind aber nicht Darstellungen der zitierten Personen. Sie sind Symbolbilder, die lediglich zur Illustration dienen.

Bild: Library of Congress
«Weil, wie ein Stück seltenes Porzellan, ich zerbrechlich bin – und obwohl reparierbar, schwer einzufügen.»
Miss S. A. Roberts, Ocker Hill, Tipton, Staffordshire.

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«Weil mir andere Berufe offenstehen, in denen die Arbeitszeit kürzer, die Arbeit angenehmer und die Bezahlung möglicherweise besser ist.»
Mitt Florence Watts, 29 Fulham High Street, London SW.

Bild: instagram/thevictoriangallery
«[...] Wir können nicht alle auf eine Ehe hoffen. Aber denkt bitte nicht, dass ich unzufrieden bin. Ich bin vielleicht nur eine Milchmagd. Doch wenn ich verheiratet wäre, müsste ich Ehefrau, Mutter, Krankenschwester, Haushälterin, Zimmermädchen, Näherin, Wäscherin, Milchmagd und allgemeine Putzfrau sein.»
Miss Sophia Drew, 62 Grove Park Road, Tottenham, London.

Bild: wikicommons
«Warum bin ich Single?»
«Weil ich wie die Rifle Volunteers bin: allzeit bereit, aber bisher nicht benötigt.»
Miss Annie Thompson, 2A Belmont Street, Oldham, London.

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Hier ein Kommentar zum damaligen Trend, worin wohlhabende Amerikanerinnen nach Grossbritannien auswanderten, in der Absicht, einen Aristokraten zu heiraten:
«Weil ich eine Engländerin bin und die Amerikanerinnen den Markt monopolisieren.»
Miss Jessie Davies, 16 Claremont Road, Sparkbrook, Birmingham.

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«Sehr geehrter Herr Tit-Bits, als Köchin mit 14 Pfund, 5 Schilling und 10,5 Pence Ersparnissen auf der Bank schaue ich natürlich herab auf Polizisten, Soldaten und dergleichen. Ich warte darauf, dass ein Graf oder Herzog oder so etwas in der Art mir einen Heirats- und Herzensantrag macht, und deshalb bin ich noch ledig.»
Miss Annie Newton, Warwick Cottages, Yiewsley, West Drayton, Middlesex.
Das wären heute gut 2'500 Franken. Also, hey.

Bild: instagram/thevictoriangallery
«Ein feiner Kerl warb um mich sehr.
Ich glaubt' ich hätte ihn im Griff.
Doch ach! Ich spielt' mit seiner Gunst,
Und so ist er mir entwischt.»
Miss W. Mosley, Whittlesford, Cambridge.

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«So wie der wilde Mustang, der ungehindert durch die Prärie zieht [...] in Verachtung vor dem Lasso, das ihn zum Gefangenen zu erklären versucht, empfinde auch ich es als verlockender, am Grat zwischen Freiheit und Gefangenschaft zu wandeln, als einem Fänger zu erlauben, mir das Lasso der Ehe zu umschlingen.»
Miss Sarah Kennerly, Newton Road, Ashton-on-Ribble, Lancashire.
«Ich würde lieber wieder Single sein wollen, denn Männer sind so egoistisch und hängen dauernd in ihrem Club. Sie kommen spätnachts nach Hause und sind dann nur noch abweisend. Deshalb, anstatt zu heiraten und dieses traurige Schicksal zu erleiden, lebe ich lieber als alte Jungfer mit meiner Katze als Gefährtin. Denn auch wenn sie nachts vielleicht herumstreunt, kann ich mich darauf verlassen, dass sie nicht betrunken nach Hause kommt ...»

Bild: Public Domain
«... Also halte ich mich an meine Katze, solange sie mit der Milch zufrieden ist und ich den Rahm für mich behalte. Denn gute Männer sind rar, aber Dummköpfe gibt es im Überfluss. Und deshalb bin ich mit siebenundzwanzig noch Single.»
Miss Annie Custance, 7 Bridge Street, Peterborough, Cambridgeshire.

Bild: wikicommons
«John, den ich liebte, wurde in seinem Büro durch ein Mädchen ersetzt, das die gleiche Arbeit für die Hälfte seines Gehalts verrichtet. Er konnte nicht genug verdienen, um einen Haushalt zu finanzieren, und ging deshalb ins Ausland; folglich bin ich immer noch eine Junggesellin.»
Miss E. Jones, 32 St. Peter's Street, Mile End, London E.
Übrigens: Die Tit-Bits-Redaktion konnte sich schliesslich nicht auf einen einzigen Gewinner-Brief einigen. Schlussendlich wurde das Preisgeld an alle verteilt, deren Antworten publiziert wurden. Etwa:

Bild: wikicommons
«Weil die Ehe wie eine elektrische Batterie ist: Hat man sich einmal die Hand gegeben, kann man nicht mehr loslassen, egal, wie sehr es schmerzt; und wie bei einer Schlittenfahrt muss man bis zum bitteren Ende durchhalten, egal wie sehr es rumpelt.»
Miss Laura Bax, 29 Pelham Road, Wood Green, London N.

Bild: Public Domain
«Weil Männer, wie Dreiecks-Törtchen, trügerisch sind: Sie sind hübsch fürs Auge, aber bei näherer Bekanntschaft erweisen sie sich als hohl und abgestanden; sie bestehen hauptsächlich aus Luft, mit nur einem Minimum an Süsse und einer unvermeidbaren Fähigkeit, einem auf dem Magen zu liegen.»
Miss Emaline Lawrence, 8 Abbey Gardens, St. John's Wood, London NW.

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«Der Grund, warum ich Single bin, ist mit einem Zitat aus [Shakespeares] ‹Der Widerspenstigen Zähmung› beantwortet: ‹Ich habe unter allen Lebenden noch keinen Mann gesehen, dem ich vor einem andern den Vorzug gäbe.›»
Miss Lizzie Moore, 12 Foulser Road, Upper Tooting, London SW.