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Berns subver­si­ve Strassenschilder

Durch farbige Strassenschilder sollte sich die französische Armee in Bern zurechtfinden. 
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Durch farbige Strassenschilder sollte sich die französische Armee in Bern zurechtfinden.Illustration: Marco Heer

Berns subver­si­ve Strassenschilder

In der Schweiz sind Strassen in weisser Schrift auf blauem Grund gekennzeichnet. Ausser in der Berner Altstadt: Hier sind Strassenschilder rot, grün, gelb, schwarz und weiss. Diese Farbenpracht hat die Stadt Bern dem Feldzug Frankreichs von 1798 zu verdanken.
16.11.2025, 11:3916.11.2025, 11:39
Thomas Weibel / Schweizerisches Nationalmuseum

Die 20‘000 Berner Soldaten hatten gegen die von Norden einfallende, 35‘000 Mann starke französische Armee am Ende keine Chance. Solothurn war gefallen, die Berner Regierung hatte kapituliert, die 4100 Mann starke eidgenössische Hilfstruppe blieb passiv, und im 16 Kilometer entfernten Fraubrunnen stemmten sich an diesem 5. März 1798 wenige Tausend Berner unter dem Kommando des Generalmajors Karl Ludwig von Erlach vergeblich gegen die Übermacht.

Später an diesem Tag geriet die Schlacht am Grauholz, jenem bewaldeten Hügelzug nördlich von Bern, vollends zum Desaster. Nach letzten Scharmützeln auf der Schosshalde vor den Toren der Stadt war die Schlacht verloren. Insgesamt 700 Berner waren tot, und die französischen Truppen marschierten in Bern ein.

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Der Einmarsch der Franzosen in die Stadt Bern. Druckgrafik von Abraham Girardet.
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Der Einmarsch der Franzosen in die Stadt Bern. Druckgrafik von Abraham Girardet.Bild: Wikimedia / Musée Carnavalet, Paris

Im Grossen war Frankreichs Vorstoss ein Erfolg. Der Berner Staatsschatz, unter dem Rathaus eingelagerte Kisten voller Gold- und Silbermünzen, wurde beschlagnahmt – seinen enormen Wert beziffern Ökonomen heute auf umgerechnet über 600 Milliarden Franken. Selbst die Berner Wappentiere, die Bären aus dem (damals noch beim heutigen Bollwerk gelegenen) Bärengraben, wurden als Kriegstrophäen nach Paris abtransportiert.

Im Kleinen aber stand der französische Kommandant, General Alexis Balthasar Henri Antoine von Schauenburg, vor Problemen. Einquartierung und Verpflegung der Soldaten waren Sache der Stadt und privater Haushalte. Doch die Bevölkerung murrte über die Plünderung Berns zugunsten der französischen Staatskasse, in die Napoleons bevorstehender Ägypten-Feldzug grosse Löcher gerissen hatte. Karikaturen, die das französische Direktorium beim Auspressen der Stadt Bern zeigten, machten die Runde. Der Text spricht für sich: «Poussez ferme! L’or de la Suisse nous achètera l’Égypte!» («Drückt fest! Das Gold der Schweiz wird uns Ägypten einbringen!»).

Karikatur der französischen Auspressung Berns, um die Finanzierung von Napoleons Ägyptenfeldzug zu sichern.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karikatur_Or_de_la_Suisse.jpg
Karikatur der französischen Auspressung Berns, um die Finanzierung von Napoleons Ägyptenfeldzug zu sichern.Bild: Wikimedia

Auch der Alltag der französischen Truppen in der ihnen unbekannten Stadt gestaltete sich schwierig. Frankreichs Soldaten, zumeist des Lesens unkundig, pflegten sich immer wieder zu verirren, und so erteilte von Schauenburg dem einheimischen Maler Franz Niklaus König den Auftrag, für die verschiedenen Stadtteile farbige Strassenschilder anzufertigen, damit sich seine Soldaten in den verwinkelten Gassen zurechtfanden, auch ohne die Strassennamen lesen zu können.

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Der Berner Stadtteil I, die Innenstadt, bestand aus fünf Bezirken: Bezirk 1 (Matte und Nydegg), Bezirk 2 (Nydegg bis Kreuzgasse), Bezirk 3 (Kreuzgasse bis Zytglogge), Bezirk 4 (Zytglogge bis Käfigturm) und Bezirk 5 (Käfigturm bis Hirschengraben). König sann lange über Schauenburgs Auftrag nach und orientierte sich schliesslich an den Farben der neuen, von Frankreich 1799 diktierten helvetischen Trikolore grün, rot und gelb. Die Farben dieser nach dem Vorbild Frankreichs gestalteten Flagge waren alles andere als zufällig gewählt: Mit ihnen, so hofften die französischen Besatzer, sollte die widerspenstige Bevölkerung für die Anliegen der erst zehn Jahre zurückliegenden Revolution gewonnen werden.

Grün stand für die Waadt, wo im Januar 1798 im Zug der révolution vaudoise die bernischen Landvögte verjagt worden waren, rot und gelb nahmen Bezug auf die Schweizer Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden. Dieser helvetischen Trikolore entsprechend wies Maler König den Quartieren der Oberstadt rote (Bezirk 5), goldene beziehungsweise gelbe (4) und grüne (3) Strassenschilder zu, die historisch ältesten Stadtviertel erhielten weisse (2) und schwarze (1) Schilder. Für dieses Farbkonzept, so dachte sich König, müssten die französischen Besatzer doch zu gewinnen sein.

Franz Niklaus König orientierte sich für die Farbwahl der Berner Strassenschilder an der helvetischen Trikolore.
Franz Niklaus König orientierte sich für die Farbwahl der Berner Strassenschilder an der helvetischen Trikolore.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum / Thomas Weibel / Wikimedia

Tatsächlich aber war die Farbwahl ausgesprochen subversiv. Die Farben goldgelb und rot nämlich hatten eine versteckte, in Bern aber ohne weiteres erkennbare Botschaft: Es waren die Farben des (ein Jahr später aufgelösten) «Äusseren Standes», der Gesellschaft junger Burger der Stadt Bern. Mit dem Schultheissen, den Räten, Vennern und Landvögten ahmte dieser Äussere Stand die Organisation der Stadt nach, um die jungen Bernburger auf spätere politische Ämter vorzubereiten. Der Äussere Stand veranstaltete militärische Umzüge und Übungsgefechte, am Ostermontag fand jeweils der jährliche Umzug statt. Das Emblem des Äusseren Standes zeigt einen auf einem roten Krebs reitenden Affen – auf goldenem Grund. Und der Versammlungsort der Gesellschaft, das prestigeträchtige Rathaus zum Äusseren Stand, lag folgerichtig im gelben Quartier.

Dieser tiefere Sinn entging den Franzosen völlig. Als Napoleons Herrschaft über die Schweiz 1813 zu Ende ging, blieben jedoch die bunten Beschriftungen den Bernerinnen und Bernern erhalten. Die Stadt lässt sich ihre einst subversive Signalisation einiges kosten: Die insgesamt rund 360 Emailleschilder sind Einzelanfertigungen und werden in Handarbeit hergestellt. Sie kosten zwischen 500 und 750 Franken, die Montage nicht eingerechnet. Damit sie die Zeiten überdauern, werden sie sogenannt «vandalensicher» verschraubt – anders als gewöhnliche Strassenschilder, von denen die Stadt Bern jährlich 100 bis 200 Stück ersetzen muss, werden ihre napoleonischen Pendants kaum je gestohlen.

Emblem des Äusseren Standes aus Bern, entstanden in den 1680er-Jahren.
https://katalog.burgerbib.ch/detail.aspx?ID=176067
Emblem des Äusseren Standes aus Bern, entstanden in den 1680er-Jahren.Bild: Burgerbibliothek Bern
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Berns subver­si­ve Strassenschilder» erschien am 11. November.
blog.nationalmuseum.ch/2025/11/napoleons-erbe-berns-subversive-strassenschilder
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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TheCookieMonster
16.11.2025 11:55registriert September 2019
Super Artikel. Wusste ich als Berner nicht! Danke!
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CoolSideOfThePillow
16.11.2025 12:24registriert Juli 2022
Wann können wir die französischen Reparaturzahlungen erwarten?
5210
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HappyUster
16.11.2025 13:21registriert August 2020
Wird wieder mal Zeit durch unsere Hauptstadt zu schlendern.
Danke für diese History.
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