Langsam lichtet sich der Nebel bei den vier Parteien, die ihr Präsidium neu besetzen müssen. Bei den Grünen hat sich Fraktionschef Balthasar Glättli definitiv als Nachfolger von Regula Rytz in Stellung gebracht. Konkurrenz ist nicht in Sicht, er dürfte problemlos gewählt werden. Bei der kriselnden BDP hingegen ist vieles offen. Präsident Martin Landolt hat seinen Rücktritt vertagt.
Ein schwieriger Fall ist die Nachfolge von Albert Rösti bei der SVP. Die Meldefrist läuft am kommenden Samstag ab. Bisher hat sich erst ein Anwärter aus der Deckung gewagt, der Zürcher Nationalrat Alfred Heer. Den definitiven Wahlvorschlag wird die Findungskommission unter Leitung des früheren Fraktionspräsidenten Caspar Baader machen. Bis dann scheint alles möglich.
Bei der SP wiederum ist seit Sonntag klar, dass es Anfang April in Basel zu einer Kampfwahl um die Nachfolge des langjährigen Präsidenten Christian Levrat kommen wird. Mattea Meyer und Cédric Wermuth, die kurz vor Weihnachten ihre gemeinsame Kandidatur für ein Co-Präsidium angekündigt hatten, bekommen Konkurrenz durch Priska Seiler Graf und Mathias Reynard.
Das ist keine Überraschung: Der ehrgeizige Walliser hat seine Ambitionen nie verheimlicht und sich nach dem Vorpreschen von Meyer/Wermuth um eine Kandidatur mit einer Frau aus der Deutschschweiz bemüht. «Fündig» wurde er bei der Zürcher Nationalrätin und Klotener Stadträtin Seiler Graf. Im Gespräch war auch die Solothurnerin Franziska Roth, doch sie hat verzichtet.
Damit bietet sich den SP-Delegierten in Basel eine überaus reizvolle Auswahl. Das bezieht sich weniger auf inhaltliche Fragen als auf die Zusammensetzung der Duos. Mattea Meyer und Cédric Wermuth unterscheidet eigentlich nur das Geschlecht. Beide sind fast gleich alt (er ist 33, sie 32) und stehen für einen prononcierten Linkskurs. So propagieren sie eine Steuer für Superreiche.
Mathias Reynard und Priska Seiler Graf hingegen sind wie zwei Seiten einer Medaille. Er ist 32, sie 51 Jahre alt. Er ist Romand, sie Deutschschweizerin. Er ist ein «Bergler», sie vertritt die urbane Schweiz. Er steht als ehemaliger Präsident der Juso Unterwallis und Gewerkschafter für linke Ideale, sie gilt als Realpolitikerin. Damit decken sie das gesamte Spektrum der SP ab.
Diesen Aspekt wollen sie bei der Präsidiumswahl ausspielen: «Ich möchte die Welt verändern. Priska ist pragmatischer. Und das ist gut so: Damit sprechen wir andere Zielgruppen an», sagte Reynard der «NZZ am Sonntag». Ausserdem wollen sie Partei und Basis näher zusammenführen, etwa durch Urabstimmungen zu «allen wichtigen Weichenstellungen».
Seiler Graf wiederum betonte gegenüber CH Media ihre pragmatische Ader: «Ich komme aus der Praxis, schaue, was die Leute beschäftigt, und suche dann nach Lösungen. Ich lese nicht eine Theorie und biege dann die Realität zurecht.» Damit grenzt sie sich vor allem gegenüber Cédric Wermuth ab, der Karl Marx nach wie vor als Inspiration für eine linke Politik betrachtet.
Sind Seiler Graf und Reynard so gut wie gewählt? Keineswegs. Manche Delegierte werden sich fragen, wie gut das unterschiedliche Duo harmonieren wird. Oder vielmehr wann es sich das erste Mal ins Gehege geraten könnte. Bei Meyer/Wermuth besteht diese Gefahr kaum. Eher fürchten Kritiker, dass die Zürcherin im Schatten des dominanten Aargauers stehen wird.
Beim internen Lobbying haben sie einen klaren Vorsprung. In einem Newsletter verweisen Meyer und Wermuth auf die Unterstützung durch 500 Anhängerinnen und Anhänger. Besonders ins Gewicht fällt der Support von Jacqueline Badran, die manche als Levrat-Nachfolgerin gesehen hätten. Sie will Vizepräsidentin werden, aber nur wenn Meyer/Wermuth die Wahl schaffen.
Seiler Graf und Reynard haben mehr als zwei Monate Zeit, um ihren Rückstand aufzuholen. Spannung ist garantiert. Ein ähnliches Szenario gab es in der SP in der jüngeren Vergangenheit schon zweimal. 1997 gewann Ursula Koch gegen Andrea Hämmerle, 2004 setze sich Hans-Jürg Fehr gegen Werner Marti durch. In beiden Fällen besiegte das linke Herz den pragmatischen Kopf.
Der SP brachten diese Entscheide kein Glück. Koch legte nach drei von Grabenkämpfen geprägten Jahren Knall auf Fall alle Ämter nieder. Sie zog sich rigoros aus der Öffentlichkeit zurück. Fehr gab das Präsidium nach vier Jahren und einer happigen Niederlage bei den Wahlen 2007 (minus neun Sitze im Nationalrat) ab. Zu seinem Nachfolger wurde Christian Levrat gewählt.
Pragmatismus vor Ideologie zu stellen, bedeutet nicht, seine Grundüberzeugungen aufzugeben.
Es nützt der SP wenig, in linker Reinkultur und Schönheit zu sterben.
Obwohl es nicht wenige gibt, die ihr genau dies an den Hals wünschen.
Ich halte es lieber mit Heinrich Pestalozzi und wünsche mir von der SP eine gleichermassen mutige und lösungsorientierte, wie bodenverhaftete und vernünftige Politik, die Kopf, Herz, Hand (und Fuss) hat.