Erst Seegräben, dann Windisch. Die Zürcher und die Aargauer Gemeinde sorgten in den letzten Tagen für Schlagzeilen und rote Köpfe, weil angeblich eingesessene Mieter aus ihren Wohnungen «vertrieben» werden sollten, um Platz für Asylsuchende zu schaffen. Das «gesunde Volksempfinden» geriet in Wallung, angeheizt durch Boulevardmedien.
In Windisch waren 49 Personen betroffen, darunter Familien mit Kindern. Der Kanton Aargau, der in den drei Liegenschaften eine Unterkunft für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) einrichten will, räumte Fehler in der Kommunikation ein. In der Kritik steht der für das Flüchtlingswesen zuständige SVP-Regierungsrat Jean-Pierre Gallati.
Seit Jahren ist der Aargau in der Asylpolitik ein «Problemkanton». Abgesehen davon wäre den Mietern ohnehin gekündigt worden. Die Hausbesitzerin, eine Immobilienfirma mit Sitz im Steuerparadies Wollerau SZ, plant die Liegenschaften abzureissen und einen Neubau zu errichten. Die Asylunterkunft ist als Zwischennutzung vorgesehen.
Als ähnlicher «Sturm im Wasserglas» entpuppte sich die Kündigung eines Mieters in Seegräben. In seine Wohnung sollte eine Flüchtlingsfamilie einziehen. Dann zeigte sich, dass die Gemeinde sich «verzählt» und die vom Kanton vorgegebene Quote bereits erfüllt hatte. Raus muss der Mann trotzdem – weil er allein in einer 5,5-Zimmer-Wohnung lebt.
Dieser Aspekt wie auch der Neubau in Windisch verweisen auf das eigentliche Problem. Und den Grund, warum weitere Konflikte dieser Art drohen. In der Schweiz werden nicht nur die Einfamilienhäuser, sondern zunehmend auch die Mietwohnungen knapp. Schon im letzten Herbst hatte eine Raiffeisen-Studie vor der «unaufhaltsamen» Wohnungsnot gewarnt.
Das Problembewusstsein ist mittlerweile in den Medien angekommen. «Es ist fünf nach zwölf und somit nur noch eine Frage der Zeit, bis die Bombe platzt und die Marktmieten explodieren», sagte Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff der «Sonntagszeitung». Denn die Wohnbautätigkeit in der Schweiz hält nicht Schritt mit dem Bevölkerungswachstum.
Davon betroffen sind nicht nur Städte und Agglomerationen. In weiten Teilen der Schweiz werde «bis in zwei Jahren Wohnungsnot herrschen», schreibt der «Beobachter» in seiner aktuellen Ausgabe. Credit-Suisse-Experte Fredy Hasenmaile sagte bei der Vorstellung der Immobilienmarkt-Studie 2023, die Schweiz steuere auf einen «Eisberg» zu.
Für die erlahmende Bautätigkeit gibt es verschiedene Gründe, etwa die durch Urteile des Bundesgerichts verschärften Lärmschutzvorschriften. In der Stadt Zürich sind deswegen mehrere Bauprojekte blockiert. Und für Verdichtung sind im Prinzip alle. Wenn aber ein solcher «Klotz» vor der eigenen Nase errichtet werden soll, kommt es häufig zu Einsprachen.
Hinzu kommt, dass in der kleinräumigen Schweiz drei verschiedene Interessen um den knappen Boden konkurrenzieren: Bauwirtschaft, Landwirtschaft und Naturschutz. Der Hauptgrund für die Wohnungsknappheit aber ist die Migration. Die Asylzahlen sind stark angestiegen, vor allem wegen des Ukraine-Kriegs, und eine Entspannung ist nicht in Sicht.
Fälle wie Seegräben und Windisch machen es einfach, Asylsuchende zu «Sündenböcken» zu erklären. «Aber auch ohne die Flüchtlinge fehlen künftig rund 10’000 neue Wohnungen», sagte Raiffeisen-Analyst Francis Schwartz dem «Beobachter». Auch CS-Experte Hasenmaile sagte zu Tamedia, die ukrainischen Flüchtlinge hätten «den Wohnungsmangel nicht zu verantworten».
Das eigentliche Problem ist die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, die nach einer gewissen Entspannung vor und während der Coronapandemie deutlich angezogen hat. Sie führt zu einer Kettenreaktion. Immer mehr Zuwanderer erzeugen Bedürfnisse, die die Rekrutierung von noch mehr Personal erfordern, das irgendwo wohnen muss.
Aus Asyl, Wohnungsnot und Zuwanderung entsteht so ein toxischer Mix, der politische Folgen haben wird, besonders in einem Wahljahr. Die am Montag veröffentlichte Tamedia-Wahlumfrage zeigt, wer davon profitiert. Es ist wenig überraschend die SVP, die um fast zwei Prozentpunkte zulegt und die bisherige «Überfliegerin» GLP klar distanziert.
Nicht weniger als 47 Prozent der Wählerinnen und Wähler erachten die SVP demnach als geeignetste Partei für das Thema Migration und Zuwanderung. Das wirkt einigermassen absurd, denn mit ihrem neoliberalen Tiefsteuer-Dogma macht sie die Schweiz zu einem Magneten für Firmen und Arbeitskräfte, was die Zuwanderung regelrecht befeuert.
In der Asylpolitik liefert die SVP vor allem Schlagworte. So fordert sie, Asylverfahren künftig in Afrika durchzuführen. Dänemark, das sich einer knallharten Asylpolitik rühmt, strebt seit Jahren ein entsprechendes Abkommen mit Ruanda an. Ende Januar aber musste die dänische Regierung das faktische Scheitern dieses Plans einräumen.
Ohnehin zieht es die SVP als durch und durch populistische Partei vor, Probleme zu bewirtschaften, statt sie zu lösen. Wenn ihr das Wahlvolk dennoch die grösste Kompetenz bei Migrationsthemen zuspricht, ist dies ein Armutszeugnis für die Konkurrenz. Die anderen Parteien überlassen der Volkspartei dieses Terrain mehr oder weniger kampflos.
Bei SP und Grünen ist Kritik an der Zuwanderung faktisch tabu. Für die hohen Mieten machen sie die «Renditegier» der Immobilienkonzerne verantwortlich. Gefordert werden eine staatliche Mietzinskontrolle und der Bau von Genossenschaftswohnungen. Am Problem des abnehmenden Angebots bei steigender Nachfrage ändert das kurzfristig nichts.
Die bürgerlichen Parteien propagieren einen Abbau der Vorschriften und die Einschränkung von Einsprache-Möglichkeiten. Auch damit lässt sich die Wohnungsnot so schnell nicht beheben. In der Asylpolitik können sie gegen die Dominanz der SVP nichts ausrichten, und bei der Arbeitsmigration gehen sie ähnlich auf Tauchstation wie Linke und Grüne.
Gegen die Wohnungsnot und die drohende «Mietzinsexplosion» gibt es kein Patentrezept. «Eine Lösung des Problems wird Jahre dauern», heisst es in der CS-Immobilienstudie. Ein Verbot von Airbnb würde es höchstens abmildern und in der Tourismusbranche kaum Begeisterung auslösen. Die Spannungen dürften somit zunehmen.
Nötig wäre zumindest eine ehrliche Debatte, die auch vor dem Thema Zuwanderung nicht haltmacht. Solange das Spektrum von links bis Mitte rechts sie nicht führen will, muss man sich nicht wundern, wenn die SVP im Oktober zur Wahlsiegerin werden sollte.
Man sollte einsehen, dass eine erhöhte Anforderung in die Schweiz zu migrieren nicht gleich ausländerfeindlich ist.
Was meint ihr so zur Einwanderung?
Kommt, singen wir zusammen Kumbaya, kommt schon gut.