2019 ist nationales Wahljahr. Und es steht viel auf dem Spiel. Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat könnte ein Ende finden. Im Formtief befindet sich vor allem die SVP, welche gemäss aktuellen Umfragen rund drei Prozent ihres Wähleranteils verlieren könnte.
Was sind die Gründe für den sich anbahnenden Verlust? Sicherlich spielt der grössten Schweizer Partei die aktuelle Themensetzung nicht in die Hände. Die Klimadebatte hat die SVP auf dem falschen Fuss erwischt, ihre Kernthemen wie die Migration haben derzeit keine Hochkonjunktur.
Sicher ist aber auch: Die SVP hat seit Beginn dieses Jahres sehr vieles falsch gemacht. Kaum eine Woche ging vorbei, ohne dass einer ihrer Exponenten den Bogen überspannte.
Blicken wir auf die neun gröbsten Schnitzer zurück:
Anfangs März taucht SVP-Nationalrat Luzi Stamm mit einem Säckchen Kokain im Bundeshaus auf. Und er erzählt eine Geschichte dazu, die in den folgenden Tagen die Schlagzeilen dominieren wird.
Er habe die Drogen einem Berner Strassenmusiker abgekauft, so Stamm. Er wolle damit den «Kampf gegen die Drogenmafia» ins Rollen bringen.
Der Schuss geht aber nach hinten los. Im Endeffekt muss Stamm eine Auszeit im Nationalrat nehmen und wird von der Berner Kantonspolizei wegen illegalen Drogenbesitzes angezeigt.
Bleiben wir im Kanton Aargau. Dort muss sich die SVP in diesem Frühling nicht nur mit der Causa Luzi Stamm herumschlagen, sondern auch mit Regierungsrätin Franziska Roth.
Die Differenzen zwischen Roth und ihrer Partei werden Ende April derart gross, dass die Regierungsrätin aus der Partei zurücktritt. Die SVP habe sie mit diversen diffusen Vorwürfen eingedeckt und sie quasi zum Rücktritt gezwungen, sagt Roth.
Die SVP schlägt danach hart zurück. In einer Medienmitteilung mit der Überschrift «Hoffnungslos» zieht sie über Roth her. Darin heisst es etwa: «Franziska Roth mangelt es an Willen, Interesse und Talent, das Regierungsamt auszufüllen.»
Die Kritik an Kommunikation und Personalpolitik folgt umgehend. Der Fall Roth lasse «am Vorgehen der SVP in der Personalpolitik und am Umgang mit ihren Mandatsträgern zweifeln», sagt etwa die Aargauer SP-Präsidentin Gabriela Suter.
Die Wahlen im Kanton Zürich entwickeln sich für die SVP zum Debakel. Gleich 9 ihrer 54 Sitze verliert die Partei. Der Präsident der Kantonalpartei Konrad Langhart muss darauf den Hut nehmen. Dies nachdem Christoph Blocher an einer Delegiertenversammlung ein Machtwort gesprochen hat.
Nur wenige Tage später gibt der geschasste Präsident dem «Tagesanzeiger» ein Interview und holt dort zur Retourkutsche aus. Er kritisiert die Parteimitglieder von der reichen Goldküste, welche zunehmend an der Parteibasis vorbeipolitisieren würden.
Dieser Stil käme im Zürcher Weinland, wo Langhart einen Landschaftsbetrieb hat, immer weniger gut an. Er sagt dem «Tagesanzeiger»: «Ich kann Ihnen sagen, diese Polemik und Aggressivität geht den SVPlern im Weinland immer mehr auf den Wecker. Früher, als die Partei gewachsen ist, hat deswegen niemand reklamiert. Aber unterdessen merken viele: Diese Polemik hat sich abgenützt.»
Ärgern tut sich Langhart etwa über Roger Köppel und dessen Einstellung zur Klimapolitik. Denn es gebe durchaus Parteimitglieder, die sich Sorgen ums Klima machen würden.
Doch Köppel denkt nicht daran, einen etwas milderen Ton anzuschlagen. Er zweifelt die menschengemachte Klimaerwärmung konsequent an, zündelt gegen die Klimastreiks.
Kurz nach der Zürcher Wahlniederlage schreibt er auf Twitter:
„Klima“ ist eine Intensiv-Mode, ein Rausch. Die Leute sind wie betrunken davon. Betrunkene nur bedingt ansprechbar, Gehirn teilweise ausser Kraft. Man muss warten, bis sie wieder nüchtern sind. Und selber keinesfalls aus dieser Flasche trinken.
— Roger Köppel (@KoeppelRoger) March 26, 2019
Dieser Tweet löst viele Reaktionen aus. Jene, die am meisten Beachtung findet, ist eine Antwort von ETH-Professor Reto Knutti.
Über 100 Jahre physikalisches Verständnis, 100 Jahre Beobachtungen, über 50 Jahre Forschung, 30 Jahre IPCC Klimaberichte, zehntausende von Studien die ein immer klareres Bild zeigen.
— Reto Knutti ETH (@Knutti_ETH) March 26, 2019
Tönt nicht gerade nach einer Modeströmung die schnell vorbeigeht... https://t.co/UGFSfkqKoj
Anfangs April ist Ueli Maurer bei SRF für ein Interview eingeladen. Der Bundesrat soll in der Sendung «ECO» die STAF-Vorlage vertreten.
Doch Maurer hat keine Lust, er lässt das Gespräch mit Moderator Reto Lipp kurzerhand platzen. Dem Vorsteher des Finanzdepartements passt offenbar die Bildsprache des geplanten «ECO»-Fernsehbeitrages nicht. Dort heisst es: «Alter Wein in neuen Schläuchen.»
Am Ende gewinnt Maurer die STAF-Abstimmung trotzdem. Der Nicht-Auftritt des Bundesrats im Fernsehstudio hinterlässt aber dennoch einen bitteren Nachgeschmack. Ein Bundesrat muss mit medialer Kritik professioneller umgehen.
Bundespräsident Ueli Maurer liess heute Mittag ein Interview mit #srfeco zur Steuervorlage 17 im Studio platzen. Er erschien zwar im Studio, störte sich aber an der Formulierung "alter Wein in neuen Schläuchen" im Beitrag und verliess das Studio. #srfeco 22.25 Uhr
— Reto Lipp (@retolipp) April 8, 2019
Ein Interview gibt Maurer dann doch noch. Und zwar dem US-Fernsehsender CNN. Nach seinem Besuch bei Präsident Trump will die Moderatorin wissen, was im Weissen Haus besprochen wurde.
Das Gespräch entwickelt sich zum Fiasko. Maurer hat Mühe, die Journalistin zu verstehen, im Hintergrund ist jeweils sein Kommunikationschef zu hören, der die Fragen ins Schweizerdeutsche übersetzt.
Vielleicht nicht die ganze Welt, aber zumindest die halbe Schweiz lacht in der Folge über die ungenügenden Englischkenntnisse des Bundespräsidenten. Hätte er wohl besser dieses Interview platzen lassen als jenes beim SRF.
Swiss President #UeliMaurer on @cnni after meeting @POTUS (2/2) pic.twitter.com/ojI3i4HaQG
— Jonas Bischoff (@JonasBischoff) May 16, 2019
Für Unruhe innerhalb der SVP sorgen auch die Debatten um die Gesundheitskosten. Lange ist die grösste Partei für eine Erhöhung der Krankenkassen-Franchise. Erst im letzten Moment versenkt sie die Anpassung in einer unheiligen Allianz mit der SP und den Grünen.
Kurz vor dem Urnengang will man die Wählerschaft offenbar nicht mit zusätzlichen Kosten verärgern. Der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht ärgert sich danach in der NZZ über seine eigene Partei: «Das hat allein mit den Wahlen zu tun.»
Der Winter ist eigentlich schon lange vorbei, doch Thomas Aeschi will es nochmals wissen und geht Ski fahren. In Engelberg sind die Pisten nach wie vor in hervorragendem Zustand und das Wetter zeigt sich von der besten Seite.
Doch dann das: Der SVP-Fraktionschef muss am Lift derart lange warten, dass ihm der Kragen platzt. Er setzt einen Tweet ab und beschwert sich über die Zuwanderung und den «Overtourism». Offenbar hatte es in der Warteschlange auch Gäste aus dem Ausland.
Mit dem Tweet schiesst Aeschi jene vor den Bug, die ihn eigentlich wählen sollten. Zumal sich die SVP als Wirtschaftspartei bezeichnet. Peter Reinle, Marketingleiter der Titlis-Bergbahnen, hat an den Äusserungen des Nationalrats jedenfalls keine Freude. Gegenüber «CH Media» sagt er: «Ich bin befremdet, dass ein bürgerlicher Politiker so etwas schreibt und seine persönliche politische Gesinnung über das Wohl des Schweizer Tourismus stellt.»
#Overtourism auf @EngelbergTitlis. Als Skifahrer kommt man kaum noch auf den Gipfel. #Schengen und #Dublin kosten die #Schweiz viel mehr als sie uns nutzen. Und die Zuwanderung gehört wieder eigenständig gesteuert. #BGIJa! pic.twitter.com/77EQnpAvYJ
— Thomas Aeschi (@thomas_aeschi) April 19, 2019
Anfangs Juni dann die vorerst letzte Entgleisung der SVP. Andreas Glarner veröffentlicht die Handynummer einer jungen Zürcher Lehrerin auf Facebook und ruft dazu auf, ihr mitzuteilen, «was man davon hält», dass sie zwei muslimischen Kindern am Tag des Fastenbrechens freigegeben hat.
Der Handy-Terror hinterlässt bei der Lehrerin, welche korrekt gehandelt hat, Spuren. Sie kann im weiteren Verlauf der Woche nicht mehr unterrichten. Nun beabsichtigt die Lehrerin rechtliche Schritte gegen den Aargauer Nationalrat einzuleiten und darf dabei auf die Unterstützung von der Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner zählen. Sie wirft dem SVP-Politiker vor, dass er jeglichen politischen Anstand überschritten und die persönliche Integrität der Lehrperson verletzt habe.
Von Glarner selber kam am Sonntagabend eine Entschuldigung. Ob sie ihm abgekauft wird, erfahren wir spätestens am 20. Oktober. Dann wird in der Schweiz gewählt.
Solche Selbstdarsteller hatten noch nie zu einer Verbesserung der Politik geführt. Man sollte am besten einfach nichts mehr über den schreiben.