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Die neue Polizei-Software darf keine Blackbox sein

EIn Zuercher Stadtpolizist vor der Hauptwache Urania in Zuerich, am Mittwoch, 13. November 2013. (KEYSTONE/Walter Bieri)
Der Computer prognostiziert Straftaten, die Beamten rücken aus.Bild: KEYSTONE
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Die neue Polizei-Software darf keine Blackbox sein

Schweizer Polizeibehörden setzen vermehrt auf Daten-Analyse, um Straftaten zu verhindern. Der Einsatz solcher Prognose-Software müsse offen kommuniziert und die Bevölkerung einbezogen werden, meint Denis Simonet von der Piratenpartei.
02.10.2014, 12:1731.01.2017, 13:32
denis simonet, piratenpartei schweiz
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Es ist verständlich und richtig, dass der Staat mit der Zeit geht und die Chancen des digitalen Zeitalters nutzen will. Allerdings verbergen sich hinter neuen Möglichkeiten auch immer neue Gefahren, die es gegen die Vorteile abzuwägen gilt. Es ist genau so falsch, moderne Technologien zu verteufeln, wie sie unkritisch einzusetzen.

Faktisch wird immer dann verteufelt, wenn es um neue gesellschaftliche Phänomene geht, die durch eine starke Lobby bekämpft werden. Da denke ich zum Beispiel an den grenzenlosen Austausch von Kultur, der etwas Wunderbares für die Menschheit ist, dessen Bedeutung aber im öffentlichen Diskurs leider auf das Urheberrecht reduziert wird – und somit auf kommerzielle Interessen.

«Böses» bekämpfen

Auf der anderen Seite lässt sich der total unkritische Einsatz von moderner Technologie immer dort ausmachen, wo «Böses» bekämpft werden soll. Das führt nicht selten zu absurden Beschlüssen. Der Nationalrat zum Beispiel steht kurz davor, im neuen Überwachungsgesetz BÜPF das Einschleusen von Trojanern auf unsere Computer und Handys zu erlauben – obwohl es zahlreiche technische und rechtswissenschaftliche Argumente gibt, die dagegen sprechen.

Denis Simonet war erster Präsident der Piratenpartei Schweiz und ist heute als Vorstandsmitglied unter anderem für die Medienarbeit verantwortlich.
Denis Simonet war erster Präsident der Piratenpartei Schweiz und ist heute als Vorstandsmitglied unter anderem für die Medienarbeit verantwortlich.bild: zvg

Beide Beispiele haben etwas gemeinsam: Es fehlt ein grundsätzliches Verständnis für die Technologien und es wird kein ausreichend breiter, öffentlicher Diskurs geführt. Und genau das gleiche passiert nun mit Precobs – der Software, die Verbrechen voraussagt. 

Die Parallele zum Film «Minority Report» ist offensichtlich; der Name Precobs unterscheidet sich gerade mal mit einem Buchstaben von den Precogs – also den drei Individuen, die im Film Verbrechen voraussagen und aufgrund deren Eingebungen Menschen weggesperrt werden. 

Dieses präventiv-staatliche Vorgehen führt zwar tatsächlich zu einer Welt mit weniger Verbrechen. Allerdings zeigt «Minority Report» auch eindrücklich auf, was alles schief gehen kann – und warum die Grenze zur Bestrafung von Gedankenverbrechen fliessend ist.

Es braucht eine öffentliche Diskussion

Als Orwell sein Buch «1984» schrieb, wollte er eigentlich vor dem Überwachungsstaat warnen. Und vor der Abschaffung der freiheitlichen Gesellschaft. Doch leider wurde das Buch von vielen als Anleitung für mehr Überwachung missverstanden. Und nun ist die Polizei drauf und dran, diesen Fehler bei der Verbrechensvorhersage zu wiederholen. Keine Analyse der Gefahren und keine Spur von kritischen Gedanken.

Egal, wie gut die eingesetzte Software Verbrechen vorhersagen kann: Bevor sie zum Einsatz kommt, braucht es einen breiten, öffentlichen Diskurs und schlussendlich einen politischen Entscheid, ob, wie und innerhalb welcher Grenzen solche Technologien zum Einsatz kommen dürfen. Dabei muss die Bevölkerung einbezogen werden und es muss transparent kommuniziert werden, was genau getan wird. 

Die eingesetzte Software darf keine Blackbox sein. Es muss klar sein, wie die Resultate zustande kommen – genau so, wie die Ermittlungsschritte der Polizei nachvollziehbar sein müssen, wenn sie eine Hausdurchsuchung beantragt.

Datenschützer müssen einbezogen werden

Besonders wichtig ist, dass es hier sowohl die physische wie auch die digitale Identität zu schützen gilt. Sprich: Es muss sichergestellt werden, dass die Software keine personenbezogenen Daten auswertet, wie etwa aus Facebook oder Twitter, und dass keine Fichen angelegt werden. 

Dabei müssen die Datenschützer als Überwacher einbezogen und mit ausreichend personellen und finanziellen Mitteln versehen werden. Ausserdem muss gewährleistet sein, dass niemand behelligt oder gar verhaftet wird, nur weil eine Software einen Namen ausgespuckt hat. Und Gedankenverbrechen dürfen nicht bestraft werden. 

Es drängt sich auch eine ganz grundsätzliche Frage auf: Soll die Polizei zur Behörde werden, die Verbrechensraten verwaltet, oder soll sie der Freund und Helfer sein? Ich denke, letzteres ist gerade in unserer Zeit wichtiger denn je. Nicht alle Probleme lassen sich mit Technik lösen. Im Gegenteil: Menschen mit gesundem Menschenverstand sind der Technik noch immer in vielen Belangen überlegen.

Wir wollen keine sterile Welt, wo alle Menschen so handeln, dass sie auf keinen Fall von der Software erfasst werden. Wir brauchen eine heterogene, belebte und freie Gesellschaft mit vielen kreativen und aufgeklärten Individuen. Wir müssen aufpassen, dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

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