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Axpo in Not: So lief die spektakulärste Rettungsaktion seit dem Fall

Die Axpo braucht Hilfe: So lief die spektakulärste Rettungsaktion seit dem Fall UBS ab

Dem Stromkonzern Axpo droht ein akuter Liquiditätsengpass. In der Not wenden sich die Manager an Simonetta Sommaruga. Darauf spannt der Bund übers Wochenende einen Rettungsschirm auf. Es ist ein Krimi, der Ende 2021 beginnt. Mit Wladimir Putin als Bösewicht.
07.09.2022, 06:34
Stefan Bühler und Doris Kleck / ch media
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Dramatische Tage in Bern. Wieder muss sich der Bundesrat zu einer Notsitzung treffen. Wieder muss der Bund eine Firma retten, die «too big to fail» ist. 2008 war es die UBS. 14 Jahre später ist es die Axpo. Damals spielten die Finanzmärkte verrückt, heute der Strommarkt. Doch damit enden die Parallelen. Denn dieses Mal kommt die Krise mit Ansage.

Der Bundesrat verschickt die Mitteilung am Dienstagmorgen wenige Minuten nach 7 Uhr: «Energie: Bundesrat aktiviert Rettungsschirm und gewährt Axpo einen Kreditrahmen.» Gestützt auf eine Notverordnung, hat die Regierung in einer ausserordentlichen Sitzung entschieden, den sogenannten Rettungsschirm zu aktivieren und der Axpo einen Kreditrahmen über 4 Milliarden Franken zur Verfügung zu stellen.

Bundesraetin Simonetta Sommaruga, Mitte, Benoit Revaz, Direktor des Bundesamts fuer Energie BFE, links, und Sabine D'Amelio-Favez, Direktorin der Eidgenoessischen Finanzverwaltung EFV, kommen zu  ...
Auf dem Weg zur Pressekonferenz: Bundesrätin Simonetta Sommaruga (Mitte), Benoit Revaz, Direktor des Bundesamts für Energie, und Sabine D'Amelio-Favez, Direktorin der Eidgenössischen Finanzverwaltung (rechts), haben den Axpo-Rettungsschirm aufgespannt. (Bern, 6. September 2022)Bild: keystone

Der Entscheid folgt auf ein Wochenende, an dem in den Berner Amtsstuben unter Hochdruck gearbeitet worden ist: Am Freitag gegen Abend kontaktiert die Axpo-Konzernspitze telefonisch Sommaruga, schildert ihr die Lage. Die Manager des Energieriesen fürchten, die Kapriolen am Strommarkt nicht mehr länger aus eigener Kraft bewältigen zu können. Je nach Entwicklung an der Börse könnte die Axpo bis am Dienstagmorgen in einen akuten Liquiditätsengpass geraten, so sollen es interne Szenarien aufgezeigt haben. Nach dem Telefongespräch reicht der Konzern beim Energiedepartement noch am Abend schriftlich das Gesuch für die Aktivierung des Rettungsschirms ein.

Nun laufen in Bundesbern die Drähte heiss. Die gleichen Fachleute des Bundesamts für Energie und der Finanzverwaltung machen sich an die Arbeit, welche schon Weihnachten 2021 in den Amtsstuben verbrachten. Damals hatte sich die Alpiq in Bern gemeldet, vor einem finanziellen Engpass gewarnt und Hilfe erbeten. Damals nannte sich die Arbeitsgruppe der Verwaltung «Agathon», nach einem griechischen Tragödiendichter. Sie entwarf ein Rettungskonzept, das dann doch nicht nötig wurde. Jetzt prüfen die Experten, ob die Angaben der Axpo plausibel sind, die vorsorgliche Massnahme nötig. Sie müssen wissen: Was genau ist passiert?

Wie Börsenkapriolen und Putins Gaspoker die Axpo in die Knie zwingen

Seit Kriegsausbruch steigen die Strompreise stetig an. Die Fieberkurve zeigt seit Juni immer steiler nach oben und erreicht am 26. August ein «Allzeithoch», wie die Aufsichtsbehörde über den Strommarkt, die Elcom, in ihren Wochenberichten festhält: Für eine Megawattstunde Strom, geliefert in 2022, werden an diesem Tag bis 1118 Franken geboten.

Die Axpo mit CEO Christoph Brand schrieb dazu in einer Medienmitteilung am Dienstag: «Die Situation hat sich in den letzten Wochen nochmals massiv verschärft. Die Grosshandelspreise für Strom haben sich gegenüber September 2021 mehr als verzehnfacht und die Preisschwankungen haben in den letzten Tagen neue Rekordwerte erreicht. Diese extreme Situation und die unvorhersehbare Entwicklung hat für alle Marktteilnehmer weitreichende Auswirkungen auf die Liquiditätsanforderungen.»

An den hohen Preisen werden die Stromkonzerne zwar kräftig verdienen, kurzfristig drohen sie, diese aber ins Elend zu stürzen. Denn für langfristige Lieferverträge müssen die Konzerne an der Strombörse Depotzahlungen hinterlegen. Diese Depots steigen und sinken mit dem Strompreis. Sie sollen garantieren, dass Grosskunden langfristig vereinbarte Lieferungen sicher erhalten. Sobald die Lieferung erfolgt, erhalten die Energiekonzerne ihr Depot zurück. Es ist ein Sicherungssystem, das in solch unruhigen Zeiten aus den Fugen gerät. Denn mit den Strompreisen werden immer höhere Depots fällig - der Axpo droht die Liquidität auszugehen.

Dies, obwohl in den letzten August- und den ersten Septembertagen die Strompreise wieder sinken. Unter anderem wegen «Gewinnmitnahmen», wie die Elcom festhält. Hinzu kommen Signale der Politik, den Strommarkt zu reformieren. Auch die zunehmend besser gefüllten Gasspeicher in Deutschland sowie die Nachricht, dass Frankreich mit einem ehrgeizigen Plan die derzeit ausser Betrieb stehenden AKW in den kommenden Monaten wieder ans Netz zu nehmen, könnten die Situation beruhigen.

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Doch am Freitag macht sich neue Unsicherheit breit: Am Abend gibt der russische Gazprom-Konzern bekannt, vorerst kein Gas mehr via Nordstream I nach Europa zu liefern. Es ist offensichtlich: Der Gaspoker Putins schüttelt den Strommarkt in Europa gewaltig durcheinander - und die Schweiz ist mittendrin. Mit der Axpo als potenziellem Opfer.

Bis am Sonntagabend stehen Sommarugas Anträge, die rechtlichen Grundlagen für den Rettungsschirm sind bereit: Am Montagmittag tritt der Bundesrat zu einer ausserordentlichen Sitzung zusammen. Er bewilligt das vorsorgliche Rettungspaket. Die Finanzdelegation des Parlaments stimmt an einer zweiten Sondersitzung am Montag nach 17 Uhr zu.

Wie sich Strombarone und Parlament gegen Sommarugas Tempo wehren

Keine 90 Minuten nach dem Versand der Medienmitteilung tritt am Dienstagmorgen Energieministerin Sommaruga in Bern vor die Medien. «Wir sind froh, dass wir so gut vorbereitet waren», sagt sie. Das Ziel des Bundesrates sei es, die Stromversorgung im Land sicherzustellen. «Wir könnten es uns nicht leisten, dass ein Energieunternehmen wegen eines Liquiditätsengpasses in Schwierigkeiten kommt.»

Ein Unternehmen notabene, das AKW und Wasserkraftwerke betreibt, in gewissen Kantonen für die Stromnetze zuständig ist, kommunale Energieversorger beliefert. Von der Turbine zur Steckdose - die Axpo, so macht Sommaruga deutlich, ist «too big to fail»: Sie darf nicht Konkurs gehen. «Wir wollen einen Flächenbrand verhindern.»

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Es ist der Tag, an dem die Energieministerin recht erhält für ihren Kurs: Sie hat den Rettungsschirm für die grössten Energieunternehmen seit dem Fall Alpiq vorangetrieben, gegen viel Widerstand aus der Wirtschaft, aber auch der Politik. Axpo-Chef Christoph Brand sagte noch im Februar in einem Interview mit der NZZ, die Axpo sei nicht «too big to fail». Die Frage, ob es eine neue Regulierung brauche, damit im Fall einer Insolvenz die Elektrizitätswerke weiter Strom liefern, verneinte er. FDP-Ständerat Martin Schmid fand den Rettungsschirm ebenso unnötig wie die Grüne Fraktionschefin Aline Trede. Sie kritisierte Sommaruga, der «riesige Rettungsschirm» lenke von dringenderen Fragen ab.

Nun wird der Rettungsschirm beansprucht, bevor er vom Parlament überhaupt beschlossen worden ist. Der Ständerat hat der gesetzlichen Grundlage im Juni zugestimmt - gegen etliche Stimmen aus den bürgerlichen Parteien: Sie hielten den Rettungsschirm für übertrieben, die darin enthaltenen Auflagen für Energiekonzerne zu streng. Das Büro des Nationalrats befand es derweil nicht für nötig, die Vorlage dringlich zu behandeln, gleichzeitig mit dem Ständerat. Nur die SP-Vertreter sollen für den Antrag Sommarugas gestimmt haben, aufs Tempo zu drücken.

Die Vorlage kommt deshalb nun erst in einer Woche in den Nationalrat. Wegen des gemächlichen Tempos des Parlaments musste der Bundesrat nun einmal mehr per Notrecht entscheiden - wofür er im Zusammenhang mit der Coronapandemie just vom Parlament getadelt worden war.

Wie der Bund die Konzerne zur Kasse bittet

Sommaruga richtet am Dienstagmorgen zwei Botschaften an die Journalistinnen und Journalisten. Die erste: Der Bund hilft, die Stromversorgung ist sichergestellt. Auch wenn in der Ukraine ein Krieg tobt, Putin den Gashahn zudreht, die französischen AKW saniert werden müssen und die Strompreise verrückt spielen. Die zweite: Die Kreditbedingungen für die Axpo sind streng, ja gar «unattraktiv».

Was sie nicht sagt: Das Powerplay der Stromkonzerne und die öffentliche Kritik am Rettungsschirm hatten auch viel mit exakt diesen Bedingungen zu tun. Die Unternehmen wollten den Preis für die Nothilfe runterschrauben. Die Axpo-Rettung ist auch in diesem Punkt nicht mit der UBS-Rettung vergleichbar: Die Bedingungen sind streng und bereits definiert.

In der Tat: Alleine durch die Aktivierung des Rettungsschirms wird eine Bereitstellungspauschale fällig, die alle drei grossen Energiekonzerne zahlen müssen - Axpo, Alpiq und BKW. Die Rede ist von über 19 Millionen Franken. Und sollte die Axpo die Gelder tatsächlich benötigen, werden die Darlehen zu Marktkonditionen verzinst, mit Risikozuschlägen zwischen fünf bis zehn Prozent. Dividenden darf das Unternehmen auch nicht mehr ausschütten. Die Axpo-Besitzer, die Nordostschweizer Kantone, gehen leer aus. Sabine D'Amelio, die Chefin der Eidgenössischen Finanzverwaltung, sagt es am Dienstag an der Seite Sommarugas so: «Ich kann versichern, dass dieser Kredit nicht billig sein wird.» Das Signal ist unmissverständlich: Der Rettungsschirm deckt nur Extremsituationen ab, er soll kein günstiges Finanzvehikel für die Strombarone sein.

Diese müssen noch eine weitere Kröte schlucken: Ihre Unternehmen werden nun strengeren Transparenzvorschriften unterstellt. Heute verfügen weder der Bund noch die Aufsichtsbehörde Elcom über exakte Angaben zum Stromhandel in der Schweiz. Sie wissen lediglich, was die Schweizer Konzerne an der EU-Börse handeln, wo die Geschäftsdaten meldepflichtig sind. Gegen neue Offenlegungspflichten im Inland haben sich die Energiekonzerne bisher stets gewehrt. Dazu sagte Sommaruga im Interview, das sie am Freitag dieser Zeitung gab, bevor sich die Ereignisse überschlugen: «Bei diesen Handelsgeschäften fehlt es an Transparenz.» Sie werde bald zusätzliche Transparenzvorschriften vorschlagen.

Wie sich die Aufsichtsbehörde Elcom endlich Überblick verschaffen will

Hinter den Kulissen ist die Elcom freilich bereits aktiv geworden. Als der Ständerat den Rettungsschirm im Juni guthiess und nachdem später auch aus der zuständigen Kommission des Nationalrats nicht grundsätzliche Bedenken angemeldet wurden, war das für die Aufpasserinnen und Aufpasser über den Strommarkt das Signal, loszulegen: Per Verfügung forderten sie die Stromkonzerne auf, wichtige Daten offenzulegen. Seit Dienstag sind die Verfügungen auf der Website der Elcom einsehbar. Sie richten sich an die Axpo, die Alpiq und die BKW.

Es geht um bereits jetzt vereinbarte Stromgrosshandelsgeschäfte in 2022 und den folgenden Jahren mit Lieferort Schweiz und einer Lieferdauer von mindestens einem Monat. Sie betreffen sogenannte Standardprodukte: Preis, Menge und Lieferprofil sind zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses bekannt. Beispielsweise die Lieferung einer bestimmten Menge Strom zu jeder Zeit von Montag bis Sonntag. Und es sind Verträge, die nicht den Transparenzvorschriften der EU unterstellt sind.

so setzt sich der strompreis 2023 zusammen

Auf Anfrage bestätigt die Elcom, sie habe die Verfügungen am 22. Juli erlassen. Vier Ziele verfolgt die Behörde damit: Erstens will sie die Versorgungssicherheit besser überwachen können. Zweitens einen umfassenderen «Einblick in die Handelsaktivitäten am Marktplatz Schweiz» erhalten. Drittens die Absicherungsaktivitäten der einzelnen Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft sowie deren gegenseitigen Abhängigkeiten analysieren - hier geht es um die Frage:

Droht in der Schweiz ein Dominoeffekt, wenn ein Stromkonzern ins Straucheln gerät? Und viertens hofft die Elcom, dank ihrer Transparenzoffensive Rückschlüsse zu ziehen, «unter anderem auch hinsichtlich möglichen Liquiditätsbedarfs des Bundes zur Stützung systemkritischer Unternehmen». Was in kompliziertem Juristendeutsch nichts anders heisst als: Die Elcom will möglichst genau wissen, wie viele Milliarden Franken für den Rettungsschirm bereitgestellt werden müssen.

Diese Arbeiten sind seit Monaten im Gang. Doch jetzt ist auch die Elcom von den Ereignissen überholt worden. Denn die Verfügungen werden erst Mitte September rechtskräftig, bis dahin können die Konzerne auf dem Rechtsweg dagegen vorgehen. Immerhin: Bis jetzt hat das noch kein Konzern getan. Mehr noch: «Die Verfügungsadressaten haben der Elcom bis Ende August bereits die bis zu diesem Datum einverlangten Daten zur Verfügung gestellt», teilt die Elcom mit. Sie verfügt also über die Daten von langfristigen Verträgen, die bis Ende August abgeschlossen sind.

Warum die Axpo-Krise für die Politik gerade noch rechtzeitig kommt

Welchen Anteil am gesamten Schweizer Strommarkt dieser Verträge ausmachen, kann die Elcom nicht sagen. Denn es gibt noch andere Typen von Vereinbarungen, mit denen Strom gehandelt wird. Kurzfristige etwa oder solche, die keinem Standard entsprechen.

Obwohl der Staat also Rettungsgelder bereitstellen soll für die Stromkonzerne, hat er nach wie vor nur beschränkten Einblick in die Dunkelkammer der Stromdealer. Für die Politik kommt die Axpo-Krise insofern gerade noch rechtzeitig: Jetzt zeigt sich, welche Fragen im Gesetz zum Rettungsschirm noch zu klären sind, bevor dieses vom Nationalrat in den kommenden Wochen in seine endgültige Form gegossen wird. (bzbasel.ch)

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