Schweiz
Interview

Du willst heiraten? Dann sprich am besten zuerst über die Scheidung

2018 gab es in der Schweiz 4 Prozent mehr Scheidungen als im Jahr davor. Wenn das so weiter geht, dann werden schliesslich zwei von fünf Ehen scheitern, hat das Bundesamt für Statistik (BFS) errechnet ...
Bereits vor der Hochzeit kann einiges geregelt werden, damit es bei der Scheidung nicht zu Uneinigkeiten kommt. Bild: DPA dpa
Interview

Du willst heiraten? Dann sprich am besten zuerst über die Scheidung

Fast die Hälfte der Schweizer Ehen gehen in die Brüche. Danach folgt oft ein langwieriger Rechtsstreit. Das muss nicht sein, sagt Familienrechtsanwältin und Mediatorin Nicole Kopp. Sie rät, bereits vor der Heirat über die Scheidung zu sprechen.
14.12.2019, 15:0215.12.2019, 10:42
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Im Vergleich zum Vorjahr haben die Scheidungen im vergangenen Jahr wieder zugenommen. 16'542 Paare liessen sich 2018 scheiden – fast jede zweite Ehe ging in die Brüche. Was folgt, sind oftmals jahrelange Rechtsstreitigkeiten über die Kinderbetreuung und das gemeinsame Vermögen. Wie sich das vermeiden liesse und warum es sich für verlobte Paare lohnen würde, bereits vor der Hochzeit über die Scheidung zu sprechen, erklärt Nicole Kopp, Rechtsanwältin und Familienmediatorin, im Interview.

Frau Kopp, gibt es die ideale Scheidung?
Nicole Kopp: (lacht) Das Wort «ideal» ist im Zusammenhang mit der Scheidung ein schwieriger Ausdruck. Ich glaube aber, dass Paare den Scheidungsprozess besser oder weniger optimal gestalten können. Wichtig ist, dass sie einvernehmliche Lösungen erarbeiten können, welche auch längerfristig tragfähig sind.

«Wenn das Gericht über eine Scheidung entschieden hat, ist das Ergebnis meist eine Lose-Lose-Situation.»

Was ist denn Ihre Aufgabe als Mediatorin?
Ich begleite die Paare dabei, ihre eigene Scheidungsvereinbarung inhaltlich zu gestalten. Denn die Gesetzgebung lässt ihnen viel Freiraum, für sie passende Lösungen zu finden. Im Anschluss daran erstelle ich die Scheidungsvereinbarung, welche die Paare beim Gericht einreichen können. Sie werden dann vom Richter zu einer Anhörung eingeladen, welche ein persönliches Gespräch und keine Gerichtsverhandlung ist.

Nicole Kopp Familien Dialog Rechtsberatung Mediation Coaching © Margherita Delussu Fotografie
Die Rechtsanwältin und Familienmediatorin Nicole Kopp empfiehlt, bereits vor der Hochzeit über die Scheidung zu reden.bild: zvg
Zur Person
Nicole Kopp war zehn Jahre als Prozessanwältin mit Schwerpunkt Familienrecht tätig. Nach einer Mediationsausbildung hat sie sich auf einvernehmliche Lösungen fokussiert. Unter dem Label «Familiendialog» erarbeitet Nicole Kopp mit Paaren rechtskonforme Scheidungsvereinbarungen, begleitet Familien in Konflikten und ist als (Paar-)Coach tätig. Sie betreibt die Website familiendialog.ch.

Was wird mit einer Mediation verhindert?
Ein Scheidungsanwalt hat mir kürzlich gesagt: Wenn das Gericht über eine Scheidung entschieden hat, ist das Ergebnis meist eine Lose-Lose-Situation. Beide Ehepartner haben das Gefühl, sie hätten verloren und dem anderen sei es besser ergangen. Wird in einer einvernehmlichen Scheidungsvereinbarung alles geregelt, sind die Parteien mit dem Inhalt meist wesentlich zufriedener, da sie selbst dafür verantwortlich sind. Dementsprechend klappt die Umsetzung auch wesentlich besser. Verhindert werden jahrelange Auseinandersetzungen, häufig auf Kosten der Kinder, und deren finanzielle Folgen.

«Es ist immer noch ein grosses Tabu, dass Paare vor der Hochzeit über eine Scheidung sprechen und sich über die Scheidungsfolgen informieren.»

Klingt alles sehr einfach, doch in der Realität ist das Ehepaar oftmals zerstritten und weniger verhandlungsfähig.
Grundsätzlich kommen Paare zu mir, die eine gemeinsame Lösung anstreben. Einige sind dennoch sehr zerstritten, die Kommunikation ist oft schwierig, teilweise sind Einzelgespräche erforderlich. Es kommt auch vor, dass eine Person bereits sachlich diskutieren kann, während die andere noch sehr mit ihren Emotionen kämpft. In diesen Situationen erarbeite ich mit dem Paar die allernötigsten Regelungen und gebe ihnen nochmals zwei bis drei Monate Zeit. Damit eine Mediation gelingen kann, müssen beide Parteien in der Lage sein, sachlich zu diskutieren. Meistens gelingt ihnen dies nach einer gewissen Weile besser.

ARCHIV - ILLUSTRATION - Eine Frau zereisst ihr Hochzeitsfoto, aufgenommen in Frankfurt (Oder) am 06.10.2011 (Symbolbild zum Thema Scheidung). (zu dpa «Emden bleibt Scheidungshochburg» vom 18.10.2017)  ...
Jede zweite Ehe in der Schweiz geht in die Brüche. Bild: DPA-Zentralbild

Wäre es nicht sinnvoller, eine solche Vereinbarung bereits vor der Eheschliessung zu schreiben?
Vereinbarungen, welche vor der Ehe geschlossen werden und den Unterhalt respektive die Kinderbetreuung betreffen, sind rechtlich nicht verbindlich. Es besteht die Möglichkeit, einen Ehevertrag abzuschliessen. Darin können jedoch lediglich vermögensrechtliche Belange geregelt werden. Dies kann in vermögenden Verhältnissen durchaus sinnvoll sein.

«Bei jedem anderen Vertrag liest man das Kleingedruckte und will bereits beim Unterschreiben wissen, was passiert, wenn der Vertrag aufgelöst wird.»

Haben Ihre Klienten bereits bei der Eheschliessung für die Scheidung vorgesorgt?
Die wenigsten. Das finde ich erstaunlich, bei jedem anderen Vertrag liest man das Kleingedruckte und will bereits beim Unterschreiben wissen, was passiert, wenn der Vertrag aufgelöst wird. Ich stelle immer wieder fest, wie wenig die Leute informiert sind. Es ist immer noch ein grosses Tabu, dass Paare vor der Hochzeit über eine Scheidung sprechen und sich über die Scheidungsfolgen informieren.

Das ist verständlich, die Scheidung ist auch kein romantisches Thema.
Das sehe ich auch so. Aber in der Realität sieht es so aus, dass die Scheidungsrate aktuell bei rund 40 Prozent liegt und leicht steigend ist. Es trifft praktisch jedes zweite Paar. Deshalb ist es für mich schwer nachvollziehbar, dass gewisse Dinge nicht im Vorfeld diskutiert und entsprechende Entscheidungen für die Ehe getroffen werden. Ich bin überzeugt, dass dies vieles erleichtern könnte. Wenn ich meinen Klienten die Scheidungsfolgen bei einem gerichtlichen Urteil erkläre, sind sie oftmals erstmals erschrocken.

Was erschreckt sie?
Frauen wissen oft nicht, ob und wie lange sie einen Unterhalt beanspruchen dürfen und haben Existenzängste. Männer hingegen haben meist Angst, ihre Kinder nun nur noch jedes zweite Wochenende betreuen zu dürfen. Auch sie haben häufig Existenzangst. Bessere Information könnte diese Ängste lindern und allenfalls auch Entscheidungen während der Ehe beeinflussen. So zum Beispiel, ob eine Frau auch während der Ehe berufstätig sein möchte oder der Mann einen Teil der Kinderbetreuung übernimmt.

«Kinder leiden unter einer Scheidung. Oft werden sie von den Eltern instrumentalisiert und das ist ein No-Go.»

Sie sprechen die Kinderbetreuung an. Viele Männer fühlen sich diesbezüglich benachteiligt.
Das ist tatsächlich ein Problem. Wenn sich die Eltern nicht einig sind, entscheidet das Gericht in der Regel, dass die Väter die Kinder jedes zweite Wochenende und während zwei bis drei Wochen in den Ferien betreuen, sofern sie nicht bereits während der Ehe die Kinder mehr betreut haben. Gerade deshalb ist es wichtig, dass sich die Eltern auf eine Kinderbetreuung einigen, die für beide stimmt. Ich rate den Müttern oft, den Vätern und den Kindern gegenüber grosszügig zu sein und eine ausgedehnte Betreuung zu ermöglichen. Dies kann die mehrheitlich alleinerziehende Mutter entlasten.

Frauen sollen bei der Scheidung grosszügiger mit der Kinderbetreuung durch die Väter sein.
Frauen sollen bei der Scheidung grosszügiger mit der Kinderbetreuung durch die Väter sein.bild: shutterstock.com

Was ist der beste Umgang mit den Kindern in einem Scheidungsprozess?
Kinder leiden unter einer Scheidung. Oft werden sie von den Eltern instrumentalisiert und das ist ein No-Go. Wichtig ist, dass die Eltern den Kindern als Einheit gegenübertreten und den Kindern gewisse Dinge gemeinsam erklären. Oft machen die Eltern einander bei den Kindern schlecht und laden ihre Wut und ihren Frust bei den Kindern ab. Dies belastet die Kinder sehr und sollte nicht passieren.

Kann man sich diesen Stress nicht einfach sparen, indem man gar nicht erst eine Ehe zusammen eingeht?
Das war die Antwort meines Partners, nachdem ich ihm von dem geplanten Interview erzählt hatte (lacht). Im Ernst: Natürlich können Paare heutzutage auch ohne Trauschein zusammenleben, auch ich lebe in einer «wilden Ehe». Wichtig ist es meiner Meinung nach, die Unterschiede zu kennen, insbesondere in Bezug auf das Vermögen und die Altersvorsorge. Viele meiner Klienten sind übrigens nicht verheiratet. Aber sobald gemeinsame Kinder da sind, stellen sich Fragen betreffend Unterhalt und Betreuung, ganz unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht.

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43 Kommentare
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Rethinking
14.12.2019 16:36registriert Oktober 2018
Sehr weiser Ratschlag.

Bestünde eine nahezu 50% Chance beim Überqueren einer Strasse zu Tode gefahren zu werden, würde sich wohl jeder ganz genau vergewissern und sich absichern, dass kein Auto kommt...

Aber geheiratet wird mitunter meist ziemlich kopflos. Von der Gründung einer Familie schon gar nicht zu reden...

Kein wunder gibt es so viele allein erziehende Sozialhilfeempfänger...
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roger_dodger
14.12.2019 16:23registriert Februar 2016
Und dann kommt hinterher noch der Steuerschock. Als Mann kommt man dann in den Tarif für Alleinstehende und wenn man spät im Jahr getrennt hat kann man praktisch keine Alimente abziehen obwohl man vorher im Jahr auch schon den Unterhalt der Familie bestritten hat. Zu den Alimenten dazu hat man also im dümmsten Fall noch eine horrende Steuerrechnung. Und das Gericht rechnet einem dann auch noch wie in meinem Fall einen Steuerbetrag von ca. 1/3 dessen an was er tatsächlich ist (und zwar im folgenden Jahr wo die Steuern wieder niedriger sind).
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Lilamanta
15.12.2019 12:53registriert Dezember 2018
Liebe Geschiedene, liebe Eltern
Nicht der Vater, nicht die Mutter profitiert von der Scheidung.
Finanziell ist die Scheidung für beide ein Desaster, wenn man Kinder hat. Man muss halt mit dem bisherigen Einkommen plötzlich 2 Haushalte finanzieren. Es gibt im Endeffekt immer zwei Haushalte, die sich bedeutend weniger leisten können als vorher.
Es gibt auch immer mehr Belastung mit der Kinderbetreuung als vorher, denn der zweite Elternteil ist nicht mehr da, um rasch Mal mit dem einen Kind zu spielen wenn das andere gerade schreit. Es ist für alle ein Verlust!
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