Die Vorkommnisse bei Coop schlagen hohe Wellen. Am Sonntag wurde bekannt, dass Coop-Chef Joos Sutter Mitarbeitern eine Standpauke hielt, die sich für Homeoffice stark machten.
Im September – als keine Homeoffice-Empfehlung galt – unterschrieben rund 70 Büroangestellte eine Petition, in der sie forderten, ihre Arbeit wegen der Pandemie von zu Hause aus erledigen zu dürfen. Sutter zitierte die Gruppe samt ihren Vorgesetzten daraufhin zu sich und machte klar, dass Homeoffice verboten bleibt.
>>> Alle News zum Coronavirus im Liveticker.
Laut der «NZZ am Sonntag», die die Vorgänge publik machte, sei das Treffen von Misstrauen geprägt gewesen. Die Mitarbeiter, so der unterschwellige Vorwurf, würden es sich daheim nur gemütlich machen wollen. Erst nachdem der Bundesrat im Oktober erneut die Homeoffice-Empfehlung herausgegeben habe, durften die Mitarbeiter wieder von zu Hause aus arbeiten.
In den sozialen Medien stösst das Verhalten von Sutter auf Empörung. Auf Twitter ist beispielsweise von einer «diktatorischen Unternehmenskultur» die Rede. Firmen wie Coop würden zeigen, dass nur die Empfehlung für Homeoffice unzureichend sei.
Einige wenige zeigten jedoch Verständnis. Schliesslich arbeite der Grossteil der Coop-Belegschaft an der Front, weshalb Sutters Argument der «innerbetrieblichen Solidarität» nachvollziehbar sei. Coop rechtfertigte sich in einem Tweet, dass man in der Verwaltung dank Schutzkonzepten bisher kaum Coronafälle hatte.
Wir setzen Homeoffice in der Administration zusätzlich zum Schutzkonzept erfolgreich in der ersten und in der zweiten Welle ein. Wir hatten insbesondere im Bereich der Verwaltung kaum Fälle und erachten Homeoffice in der Pandemie für eine sehr wirkungsvolle Schutzmassnahme. >rv
— coop_ch (@coop_ch) November 16, 2020
Traurig, eine solche (diktatorische) Unternehmenskultur zu haben! Insbesondere, da Coop ja eine "Genossenschaft" ist, die keine Gewinnmaximierung anstrebt (Trotz Gewinn im Jahr 2019: 531 Millionen!!!)@coop_ch https://t.co/43QuqHAhTN
— Kaplan (@kaplan_news) November 16, 2020
Firmen wie @coop_ch zeigen, dass eine Home-Empfehlung unzureichend ist. #COVID19https://t.co/VC16zp9GZY
— Hernâni Marques 🦖 @hernani@chaos.social (@vecirex) November 15, 2020
Die Konkurrenz bestand allerdings nicht auf diese innerbetriebliche Solidarität. Auch Migros und Lidl haben 75 respektive 90 Prozent ihrer Mitarbeiter schliesslich nicht im Büro, sondern in den Filialen, in der Logistik oder in der Produktion.
Anders als Coop liessen sie ihre Verwaltungsmitarbeiter im vergangenen halben Jahr aber von zu Hause aus arbeiten. Bei der Migros gilt die Homeoffice-Empfehlung laut einem Sprecher seit Ausbruch der Pandemie «uneingeschränkt», Lidl reduzierte den Homeoffice-Anteil lediglich leicht über den Sommer. Aldi hingegen rief seine Mitarbeiter wie Coop zeitweise wieder ganz ins Büro zurück.
Obwohl auch die Coop-Verwaltungsmitarbeiter momentan wieder im Homeoffice arbeiten dürfen, scheint Sutters publik gewordene Standpauke eine Grundsatzdiskussion ausgelöst zu haben. Denn der Coop-Chef ist mit seiner Haltung bei weitem nicht alleine. Im Gegensatz zur ersten Corona-Welle, als sich die meisten Firmen noch brav an die Homeoffice-Empfehlung hielten, pochen einige Vorgesetzten jetzt wieder auf Präsenz. Gleichzeitig gibt es sicher auch Arbeitnehmer, die freiwillig ins Büro pendeln, obwohl sie von zu Hause aus arbeiten könnten.
Zahlen des Intervista Tracking-Panels zeigen, dass die Mobilität im Frühling deutlich stärker eingebrochen war. Am vergangenen Mittwoch legte ein Schweizer durchschnittlich knapp 33 Kilometer zurück. Das sind zwar etwa 30 Prozent weniger als am letzten Mittwoch im Juli – eine gute Woche nach dem Lockdown im März lag die Zahl aber nur bei gut 16 Kilometern. Noch immer werden also etwa doppelt so viele Kilometer zurückgelegt wie während des Lockdowns im Frühling – eine weitere Abnahme ist nicht in Sicht.
Dass Homeoffice vor allen in Unternehmen weniger üblich ist, wo zwischen den Arbeitnehmenden deswegen Gräben entstehen könnten, ist durchaus denkbar. Im Buchhandel und Zwischenbuchhandel etwa, wo die Mehrheit im Verkauf oder in der Logistik arbeitet, «zeigen sich trotz Pandemie Büromitarbeitende regelmässig im Unternehmen» wie Tanja Messerli, Geschäftsführerin vom Branchenverband, sagt. Denn: Homeoffice werde oft als bequem angesehen.
Auch in Branchen, die ein hohes Mass an Kreativität und Kommunikation bedürfen, könnte Homeoffice zunehmend als problematisch angesehen werden. So hört man etwa aus Architektur- und Werbekreisen, dass die Leute vermehrt wieder ins Büro gehen. Laut den jeweiligen Branchenverbänden befolge man die Vorgaben des Bundes.
Die uneinheitliche Situation löst bei Angestellten jedenfalls Unsicherheit aus: Der Arbeitnehmerverband Angestellte Schweiz erhält pro Woche mehrere Anfragen zum Thema Homeoffice-Zwang. «Die Mitglieder fragen sich und uns, wieso sie trotz der Empfehlung des Bundes ins Büro müssen», sagt Rechtsberater Pierre Derivaz. Er ist auch mit Einzelfällen konfrontiert, die ihm zu denken geben. «Es gibt Arbeitgeber, die alles daransetzen, dass die Mitarbeiter im Büro arbeiten.» Zeige dann jemand Symptome, so würden alle Angestellte dazu aufgefordert, sich testen zu lassen, damit sie möglichst rasch ins Büro zurückkehren könnten.
Gerade auch für Angehörige der Risikogruppe sei es schwieriger geworden. In der ausserordentlichen Lage im Frühling wurden Risikogruppen in der Verordnung im Zusammenhang mit Homeofficeexplizit erwähnt – in der aktuell gültigen Verordnung nicht mehr.
Fakt ist, dass der Arbeitsort ein Ansteckungsort ist. Der Kanton Basel-Stadt listet bekannte Ansteckungsorte immer aktuell auf: Letzte Woche steckten sich 17 Prozent bei der Arbeit an. Derivaz empfiehlt Arbeitnehmern daher, mit dem Arbeitgeber das Gespräch zu suchen, wenn dieser auf Präsenz besteht. Man solle die Chefs an die Homeoffice-Empfehlung erinnern. Die Angestellten sollten sich aber auch flexibel zeigen, vor allem dann, wenn der Arbeitgeber rigorose Schutzmassnahmen ergreife.
Bleibt nur zu hoffen, dass die Angestellten diesen steckengebliebenen Firmen verlassen sobald der Jobmarkt wieder besser ist.