Wie gross ist das Risiko eines Blackouts? Das sagt der Bund
Die aktuelle Kältewelle bedeutet für das Atomstromland Frankreich eine besondere Belastung. Corona-bedingt mussten Wartungsarbeiten an zahlreichen Atommeilern auf den Winter verschoben werden. Nun verschärft sich die Situation, weil der Energieverbrauch wegen der tiefen Temperaturen rekordmässig hoch ist. Die Schweiz ist als Nachbarland und Beteiligte am europäischen Hochspannungs-Stromnetz direkt betroffen. watson hat bei der Schweizer Netzbetreiberin Swissgrid und der Aufsichtsbehörde ElCom nachgefragt, wie es um die Versorgungssicherheit steht. Zur Sprache kam auch ein schwerer Zwischenfall vom 8. Januar, den ein unabhängiger Fachmann als «Beinahe-Blackout» bezeichnete.
Frankreich, die Kälte und seine Atomkraftwerke
Die Schweizer Aufsichtsbehörde ElCom hatte schon im Sommer 2020 gemahnt, mit Blick auf die Versorgungssicherheit seien die Revisionen der Kernkraftwerke, insbesondere in Frankreich, weiter zu beobachten. watson hat bei den Fachleuten des Bundes angefragt, wie sie die Lage einschätzen und welche Auswirkungen eine vorübergehende Stromknappheit der Franzosen für die Schweiz haben könnte.
Die Kommunikationsverantwortliche Antonia Adam teilt nun mit:
Dies habe für die Schweiz zwei Folgen:
- Die hiesigen Speicherwerke würden überdurchschnittlich produzieren, insbesondere bei kaltem Wetter.
- Zweitens werde das schweizerische Übertragungsnetz stark belastet, insbesondere auch durch ungeplante Stromflüsse von Deutschland über die Schweiz nach Frankreich.
Wie steht es um die Versorgungssicherheit in der Schweiz?
Dazu teilt die Aufsichtsbehörde ElCom mit:
Dem pflichtet Swissgrid in einer aktuellen Stellungnahme zuhanden von watson bei. Beim Ausfall von französischen Kraftwerken sei unser westliches Nachbarland abhängig von Stromimporten. Kommen diese Importe aus der Schweiz, könne sich das auf die Versorgungslage auswirken:
Für die sogenannte Regelenergie sei Frankreich bereits seit einigen Jahren Importeur aus der Schweiz und hier könnten die Auswirkungen sehr schnell sehr gross sein, und weniger gut vorhersehbar. Der Ausschluss von Swissgrid aus den europäischen Kooperationen kompliziere die Lage weiter.
Wenn im europäischen Umfeld gesicherte Kapazität abgebaut werde – sprich: Kraftwerke stillgelegt werden – dann wirke sich dies negativ auf die Importfähigkeit der Schweiz aus. Die stark vernetzte Schweiz hänge von den Gegebenheiten in den Nachbarstaaten ab. Ohne Stromabkommen mit der EU seien die Import- und die Exportwilligkeit gefährdet.
Aus heutiger Sicht erscheine die Versorgungslage der Schweiz stabil, betonen die ElCom-Fachleute. Aber:
Seitens Swissgrid wird dies bestätigt:
Die Fachleute betonen, das Schweizer Übertragungsnetz gehöre zu den stabilsten und sichersten der Welt.
Ausreichende Strom-Importkapazitäten seien auch mit den Ländern Deutschland, Österreich und Italien vorhanden und diese würden vom Strommarkt ebenfalls genutzt um die Stromimporte in die Schweiz sicherzustellen.
Swissgrid sei mit den Übertragungsnetzbetreibern in diesen Ländern in stetigem Austausch, um jederzeit so viel Netzkapazität wie möglich bereitzustellen und das grenzüberschreitende Übertragungsnetz jederzeit sicher zu betreiben.
Sollte sich mittel- oder langfristig eine Gefährdung der inländischen Versorgungssicherheit abzeichnen, werde die ElCom dem Bundesrat Vorschläge für entsprechende Massnahmen unterbreiten.
Der «Beinahe-Blackout» am 8. Januar 2021
Am 8. Januar schauten die Betreiber des europäischen Hochspannungs-Stromnetzes in den Abgrund. Kurz nach 14 Uhr sackte die Netzfrequenz plötzlich ab.
Dazu muss man wissen, dass die Länder Kontinentaleuropas über Stromleitungen verbunden sind. Das elektrische Herz Europas schlägt mit 50 Hertz (Hz). Diese Netzfrequenz gewährleistet jede Sekunde die Stabilität der Stromflüsse, von Lissabon bis Warschau, von Kopenhagen bis Istanbul.
Am ersten Freitag im neuen Jahr sank die Frequenz unerwartet stark auf 49,8 Hz. Das mag nach wenig klingen, reichte aber, um die Stabilität des Netzwerks zu gefährden. Daraufhin wurde das europäische Stromnetze zweigeteilt.
Herbert Saurugg, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge, schlug via Twitter Alarm: Der registrierte Leistungsabfall von 3,5 Gigawatt entspreche dem Ausfall mehrerer Atomkraftwerke. Der unabhängige Experte kam zum Schluss, es handle sich um einen «Beinahe-Blackout».
Der Branchendienst Gridradar konstatierte:
Der Vorfall blieb hierzulande quasi unbemerkt. Die Gratiszeitung «20 Minuten» widmete ihm eine kurze Meldung.
Wie beurteilte die ElCom den Zwischenfall und welche Erkenntnisse konnte man daraus ziehen?
Dazu die Sprecherin der Aufsichtsbehörde:
Die Gewährleistung eines sicheren und stabilen Netzbetriebs sei die Kernaufgabe der Übertragungsnetzbetreiber, also hierzulande von Swissgrid. Die Betreiber hätten mit ihrem «Bilanz- und Engpassmanagement» dafür zu sorgen, dass es nicht zu solchen Kaskaden komme. Die Anforderungen für die Gewährleistung eines stabilen Netzbetriebs nehmen tendenziell zu: Weil herkömmliche Kraftwerke (AKW, Kohle) durch Erneuerbare Energielieferanten ersetzt werden, nehmen die Schwankungen zu. Dies erfordere häufigere, kurzfristigere und stärkere Eingriffe durch die Netzbetreiber.
Und wie beurteilt Swissgrid den Zwischenfall?
Die Systeme und Prozesse hätten korrekt funktioniert und somit weitere Auswirkungen der Störung unterbunden, versichern die Swissgrid-Fachleute und betonen wie ElCom, dass die Untersuchungen noch am Laufen seien.
Generell lasse sich sagen, dass die Übertragungsnetzbetreiber auf Störfälle im Netz vorbereitet seien. Sie trainierten solche Situationen und es bestünden eingespielte Prozeduren zur Stabilisierung der Netzfrequenz.
Swissgrid und die anderen europäischen Übertragungsnetzbetreiber würden zur Stabilisierung der Netzfrequenz auch permanent Energie vorhalten, sogenannte Regelleistung, mit der unvorhergesehene Schwankungen in der Produktion, beispielsweise beim Ausfall eines grossen Kraftwerks oder im Verbrauch, ausgeglichen werden können.
Wie beurteilen die Fachleute die Blackout-Risiken?
watson hat bei Swissgrid nachgefragt, was aus Sicht der Experten die grössten Risiken und Gefahren seien bezüglich einer drohenden Strommangellage (Blackout)?
Die Swissgrid-Sprecherin betont, dass eine Strommangellage und ein Blackout nicht dasselbe seien:
- Unter einem Blackout verstehe man den vollständigen Zusammenbruch des Stromnetzes, beispielsweise aufgrund von Schäden an der Strominfrastruktur.
- Als Strommangellage werde ein anhaltendes Ungleichgewicht zwischen Stromangebot und Stromnachfrage bezeichnet, beispielsweise aufgrund reduzierter Produktions- oder Importkapazitäten.
Bezüglich der Risiken für die Schweiz ist die Einschätzung klar:
Die enge Vermaschung mit dem europäischen Stromnetz – die Schweiz hat 41 grenzüberschreitende Leitungen – trage aber auch zur grossen Stabilität bei: Je enger ein Netz geknüpft sei, desto geringer seien die Auswirkungen auf dessen Stabilität, sollte mal ein Knoten reissen.
In der Schweiz, wie auch im Rest Europas, werde für den Fall von unvorhergesehenen Schwankungen (wie am 8. Januar) sogenannte «Regelleistung» vorgehalten, die im Notfall zur Stabilisierung des Netzes eingesetzt werden könne. Zudem betreibe Swissgrid das Netz n-1 sicher. Das bedeute, dass beim Ausfall eines Netzelements kein anderes überlastet.
Und die Aufsichtsbehörde hält fest:
Bist du gerüstet?
Auch wenn die Versorgungssicherheit gemäss Netzbetreibern und Aufsichtsbehörde gewährleistet ist, raten die Fachleute des Bundes allen Privatpersonen, vorzusorgen. So wird unter anderem das Halten eines Notvorrates empfohlen.
Quellen
- republik.ch: Gerät das Stromnetz aus dem Gleichgewicht?
- saurugg.net: Bedenkliche Ereignisse 2021
- gridradar.net: Netzfrequenz in Europa sinkt auf 49,75 Hz am 08.01.2021 - Folge Systemaufspaltung
- spektrum.de: Was vor dem grossen Blackout schützen soll
- lci.fr: Vague de froid: un "blackout" est-il déjà arrivé en France?
