«Das Eis wird immer dünner» – Politologe zum Zoll-Dilemma der SVP
«Was ist eigentlich los mit der SVP?», fragt FDP-Ständerätin Susanne Vincenz-Stauffacher auf X. Sie ist nicht die Einzige, die sich diese Frage stellt.
Die Partei, die keine Gelegenheit auslässt, um das Vertragspaket mit der EU als «Unterwerfungsverträge» zu bezeichnen, scheint kein Problem damit zu haben, wenn die USA künftig 15 Prozent Zölle auf Schweizer Produkte erheben. Mehr noch: Die SVP feiert den schlechteren Zollsatz als zu US-Präsident Joe Bidens Zeiten als grossen Erfolg. «Gut gemacht, Herr Parmelin», steht auf der Webseite der Volkspartei.
Was genau die SVP gut an der mündlichen Absichtserklärung findet, ist allerdings gar nicht so einfach herauszufinden. In der Medienmitteilung vom Freitag steht: «Diese Einigung sichert Arbeitsplätze in der Schweiz und sorgt für viel bessere Rahmenbedingungen für die Schweizer Exportwirtschaft.» Bessere Rahmenbedingungen als 39 Prozent, ja. Aber doch nicht besser als zu Vor-Trump-Zeiten.
Aus bisherigen Statements der Partei gegenüber Medien wird man allerdings nicht schlauer. Fraktionschef Thomas Aeschi lässt sich von SRF nur wie folgt zitieren: «Was aktuell vorliegt, ist rechtlich nicht bindend. Es wird jetzt darauf ankommen, was im ausgehandelten Abkommen genau geschrieben steht.» SVP-Präsident Marcel Dettling hat watson für ein Statement nicht erreichen können.
Der Zolldeal kam nur zustande, weil Winzer und SVP-Bundesrat Guy Parmelin unter anderem zustimmte, dass die Schweiz zollfreie Einfuhr von US-amerikanischem Fleisch gewährt. Fleisch, das gerade im Falle von Chlorhühnern nicht den Schweizer Qualitätsstandards entspricht.
Doch auch zu diesem Punkt äussern sich die Vertreterinnen und Vertreter der SVP auffällig unklar. Am Freitag sagte Werner Salzmann gegenüber watson nur: «Das könnte die Schweizer Landwirtschaft unter Druck setzen.» Selbst auf erneute Nachfrage beim SVP-Nationalrat und gelernten Metzger Mike Egger am Dienstag blieb die Partei vage, was sie von den einzelnen Punkten des Zolldeals hält.
Woher kommt diese ungewohnte Zurückhaltung? Politologe Mark Balsiger hat eine Vermutung.
Das Eis wird dünner
«SVP-Schlüsselfiguren haben in den letzten Monaten Bundesrätin Karin Keller-Sutter die Schuld an den verhängten 39 Prozent Zöllen gegeben. Nun, wo ihr eigener Bundesrat federführend war, feiert sie das Ergebnis als grossen Erfolg ab», sagt Balsiger. Der Fokus dieser Verhandlungen sei es gewesen, die Ausgangslage der Schweizer Wirtschaft zu verbessern. Und das sei – im Vergleich zu den vorherigen 39 Prozent – ja gelungen, obwohl der Supreme Court in den USA die Strafzölle noch kassieren könne.
Gleichzeitig sei die Partei in den letzten Monaten stark damit beschäftigt gewesen, das Vertragspaket mit der EU als erpresserisch darzustellen – insbesondere im Vergleich zu den Verhandlungen mit den USA. Diesem Narrativ versuche sie, treu zu bleiben. «Auch wenn das Eis immer dünner wird.»
Kurswechsel wäre möglich
Dass sich die SVP zurückhaltend zu einzelnen Punkten des Zolldeals äussert, wertet Balsiger als Unsicherheit innerhalb der Partei. Er kann sich vorstellen, dass sie ihre Position zum möglichen Handelsvertrag mit den USA noch ändert. Entscheidend seien die Dynamiken, die sich in der Schweiz entwickeln würden:
Die Landwirtschaft sei die am besten vertretene Branche im Parlament. Insbesondere durch Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus der SVP. «Das importfreie US-Fleisch betrifft die Bauern und die Lebensmittelstandards direkt. Dadurch kann die SVP gegenüber ihren Wählerinnen und Wählern in Erklärungsnot geraten», sagt Balsiger.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die SVP mit ihrer offenen Unterstützung des US-Präsidenten Donald Trump in die Bredouille käme. Bereits nachdem die USA 39 Prozent Zölle auf Schweizer Importe verhängt hatten, musste die Partei händeringend nach anderen Sündenböcken als Trump und ihrem Bundesrat Guy Parmelin suchen, der als Wirtschaftsvorsteher bereits damals an den Verhandlungen teilnahm.
Könnte die Trump-Frage der SVP bei den nächsten Parlamentswahlen 2027 schaden? «Jein», sagt Balsiger. Die Partei könnte durchaus zwei, drei Prozentpunkte verlieren, so wie das 2019 der Fall gewesen sei. Aber: «Die SVP hat in jedem Fall einen soliden Wählerstamm, der ihnen 25 Prozent sichert.» Es stelle sich die Frage, wie stark die Leute die Haltung der SVP gegenüber den USA gewichteten.
