Spielen Drohnen im Krieg in der Ukraine eine entscheidende Rolle?
Dominika Kunertova: Drohnen sind im Krieg mittlerweile allgegenwärtig. Ich würde nicht sagen, dass sie entscheidend sind, unwichtig sind sie aber auch nicht.
Wofür werden die Drohnen benutzt?
Weder Russland noch die Ukraine haben die Lufthoheit im laufenden Krieg. Deshalb sind Luftschläge auf dem gegnerischen Gebiet mit Drohnen möglich. In erster Linie werden Drohnen aber für die Luftüberwachung genutzt.
Mit den Drohnen kann also herausgefunden werden, wie der Gegner positioniert ist und was er vorhat.
Genau. Die Drohnen können der eigenen Artillerie genaue Informationen geben, wo sich die Ziele befinden. Für die Luftüberwachung werden keine grossen Flugobjekte wie die Bayraktar-TB2-Drohne eingesetzt. Dafür reichen handelsübliche Drohnen, die einige Kilometer hinter die Frontlinie fliegen können. Drohnen werden aber nicht nur für Luftschläge und Luftüberwachung eingesetzt, sondern auch für Propaganda.
Können Sie das ausführen?
Die Kriegsparteien veröffentlichen zahlreiche Aufnahmen ihrer Drohnen-Missionen. Damit können Sie die Moral des Gegners senken und zeitgleich ihre Erfolge einem breiten, internationalen Publikum präsentieren.
Wenn man sich die Drohnen-Bilder des laufenden Krieges ansieht, fühlt man sich manchmal wie in einem Videospiel ...
Ein Anführer eines ukrainischen Drohnen-Teams sagte kürzlich, dass die jungen Soldaten sehr nützlich seien. Sie seien nämlich extrem talentiert, wenn es um Videospiele gehe. Deswegen sitzen die 18-Jährigen jetzt oft in einem Fahrzeug und steuern Drohnen. Dort nützen sie mehr, als wenn sie im Häuserkampf ein Dorf verteidigen müssen.
Kann man ungefähr sagen, wie viele Drohnen im laufenden Krieg eingesetzt werden?
Genaue Zahlen gibt es keine. Die Ukrainer produzieren selber Drohnen und die Bevölkerung hat der Armee viele Drohnen gespendet. Es dürften Tausende sein. Mit Raketen ausgerüstete TB2-Drohnen hatte die Ukraine zu Beginn des Krieges etwa ein Dutzend.
Die TB2-Drohnen sind bei den Ukrainern beliebt. Es gibt sogar Videos, in denen Soldaten das türkische Kriegsgerät besingen. Hat sie sich wirklich als derart effektiv erwiesen?
Mit den TB2-Drohnen konnten die Ukrainer mehrere Panzer, Luftabwehrsysteme und Infanterie zerstören. Sie waren kein «Game-Changer», aber sicher «nice to have».
I know you all wanted to see this :)
— Canadian Ukrainian Volunteer 🇺🇦🇨🇦✊🏻 (@CanadianUkrain1) May 23, 2022
Glory to #Ukraine ✊🏻🇺🇦 #Bayraktar pic.twitter.com/je4u94Aigf
Wie viele TB2-Drohnen sind noch im Einsatz?
Das ist schwierig zu sagen. Wir befinden uns in einem Abnutzungskrieg und einige dieser Drohnen sind sicher zerstört worden. Nun wollen die USA Gray-Eagle-Drohnen in die Ukraine verkaufen, was ein Zeichen sein könnte, dass der Bestand an TB2-Drohnen merklich geschrumpft ist.
Die USA wollen vier Gray-Eagle-Drohnen in die Ukraine liefern. Könnten sie den Krieg entscheidend verändern?
Nicht sofort. Die ukrainischen Streitkräfte müssen zuerst lernen, wie man diese Drohnen bedient. Aber ja, die Gray-Eagle-Drohnen sind noch leistungsfähiger als die türkischen Kampfdrohnen. Sie können bis zu 400 Kilometer weit fliegen und mit Hellfire-Raketen bestückt werden.
Die USA haben der Ukraine bereits Hunderte Switchblade-Drohnen geliefert. Wie funktionieren sie?
Man kann sie sich wie Raketen vorstellen, die über eine längere Zeit über einem Ziel herumlungern. Deshalb spricht man auch von «loitering munition». Nachdem sie eine Weile über dem Ziel gekreist sind, greifen die Switchblade-Drohnen an und explodieren dabei selbst.
Benutzen die Russen auch Drohnen?
Für die Überwachung setzen die Russen sogenannte «Orlik»-Drohnen ein. Für Luftschläge sind die «Orion»-Drohnen zuständig und die «Kub-bla» ist eine «loitering munition». Zu Beginn des Krieges waren russische Drohnen aber eigentlich abwesend. Das zeigt uns, dass die Russen zu wenig in die Entwicklung von unbemannten Luftfahrzeugen investiert haben. Insgesamt haben sich die Russen im Umgang mit Drohnen als nicht sehr kompetent erwiesen. Vereinzelt konnten aber sicher auch die Russen den Ukrainern Schaden mit Drohnen zufügen.
Was ist anders als in früheren Kriegen, in denen auch Drohnen eingesetzt wurden – etwa in Nagorno-Karabach?
In Nagorno-Karabach konnte man sehen, wie hilfreich TB2-Drohnen sein können, um gegnerische Panzer und Luftabwehrsysteme zu zerstören. Die Drohnen haben den Lauf des Kriegs massgeblich verändert. In der Ukraine haben sich die Panzerabwehrwaffen – Javelin und NLAW – bei der Zerstörung von Panzern aber als effektiver erwiesen als Drohnen.
Welche Lehren kann man aus dem laufenden Krieg ziehen? Braucht die Schweizer Armee noch Kampfjets oder soll sie lieber voll und ganz in Drohnen investieren?
Die Hauptlektion dieses Krieges ist, dass es beides braucht. Sowohl unbemannte als auch bemannte Luftfahrzeuge. Wichtig ist, dass man diese beiden Elemente möglichst gut kombinieren kann. Unbewaffnete Drohnen zur Ergänzung der Kampfjets wären in der Schweiz sicher von Nutzen.
Welche Nachteile haben Drohnen gegenüber Kampfjets?
Drohnen sind nicht in der Lage, gegnerischen Luftabwehrsystemen auszuweichen, und können sich nicht selbst verteidigen. Dann sind Drohnen sehr abhängig von den Wetterbedingungen. Auch die Radar- oder Satellitensysteme zur Steuerung der Drohnen müssen funktionieren. Zudem muss die Station am Boden, von wo die Drohne gesteuert wird, beschützt werden. Auf Drohnen alleine kann man sich nicht verlassen.
Der Ukrainekrieg ist verglichen mit z.B. Irak ein Paradebeispiel wieso man eine Luftwaffe braucht. Die Ukraine kann sich immer noch in den Lüften halten, während der Irak komplett von der Koalition abgeriegelt war und kein Flugzeug in die Lüft brachte.