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Interview

Krieg in der Ukraine: «Drohungen sind das Letzte, was Russland bleibt»

In this image released by Ukrainian Defense Ministry Press Service, Ukrainian soldiers use a launcher with US Javelin missiles during military exercises in Donetsk region, Ukraine, Thursday, Dec. 23,  ...
Ukrainische Soldaten feuern eine Javelin-Rakete ab: Sogenannte «MANPADS» spielen im Krieg eine entscheidende Rolle. Bild: keystone
Interview

Sicherheits-Forscher Zogg sagt, warum Russland nur noch Drohungen bleiben

Seit 100 Tagen führt Russland in der Ukraine einen brutalen Angriffskrieg. Im grossen watson-Interview erklärt Benno Zogg, weshalb es gefährlich wäre, dem Aggressor Gebiete abzutreten. Der Sicherheits-Forscher sagt zudem, weshalb er sich zu Beginn der Invasion geirrt hat und was ihm jetzt Sorge bereitet.
03.06.2022, 06:0404.06.2022, 14:05
Corsin Manser
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100 Tage Krieg in der Ukraine. Hand aufs Herz: Hätten Sie am 24. Februar gedacht, dass die Ukrainer heute immer noch erbitterten militärischen Widerstand leisten würden?
Benno Zogg: Nein, definitiv nicht. Ich habe nicht gedacht, dass die Ukraine so lange Widerstand leisten und der Westen so effektiv unterstützen würde. Meine Einschätzung teilten viele Analysten. Sie gingen davon aus, dass Russland mit seiner Gewaltbereitschaft und seinem Arsenal die Ukraine schneller niederringen kann.

Haben Sie die Ukrainer unterschätzt oder die Russen überschätzt?
Ein bisschen von beidem. Ein Stück weit sind viele Analysten im Westen auf die russische Propaganda hereingefallen. Die russische Armee schien auf dem Papier schlagkräftig, reformiert und mit moderner Ausrüstung ausgestattet. Die Realität war eine andere. Die russischen Truppen waren mangelhaft vorbereitet, versorgt und motiviert für den Krieg, in den sie Putin schickte. Auf der anderen Seite haben wir die ukrainische Armee unterschätzt. Sie ist kampfbereit und eine andere als noch 2014 bei der ersten Invasion. Reformen und Training machten sie weniger hierarchisch und zentralistisch. Und die Kämpfenden sind hoch motiviert.

Benno Zogg ist Senior Researcher und Teamleiter des Teams für Schweizer und euro-atlantische Sicherheit am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.
Benno Zogg ist Senior Researcher und Teamleiter des Teams für Schweizer und euro-atlantische Sicherheit am Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich.bild: zvg

Die hohe Moral und die westlichen Waffenlieferungen haben wesentlichen Anteil am beachtlichen Erfolg der Ukraine. Was war sonst noch wichtig?
Die militärischen Strukturen haben eine wichtige Rolle gespielt. Die Entscheidungsgewalt der Einheiten im Feld ist kleinteiliger. Ein lokaler Kommandeur – in der Schweiz etwa im Range von Wachtmeister oder Leutnant – kann seine Einheiten flexibel steuern, ohne zentralisierte Befehle abzuwarten. Ein entscheidender Punkt ist sicher auch, wie schnell die Waffensysteme aus dem Westen eingesetzt werden konnten. Die MANPADS zum Beispiel – also die Luftabwehrraketen, die auf die Schultern gesetzt werden können – sind dafür designt, dass sie schnell und flexibel eingesetzt werden können.

Gleichzeitig haben die Russen die Lage falsch eingeschätzt ...
Die Russen haben ihre Kräfte zu Beginn völlig überdehnt. Die Russen haben mit einer Parade nach Kiew gerechnet. Das sieht man an den Einheiten, die sie in die Ukraine geschickt haben. Sie waren auf einen kleinen, leichten Krieg und Besatzung ausgerichtet. Dass sie einen ebenbürtigen Gegner antreffen würden, der angesichts des massiven Angriffs um das Überleben des Landes kämpft und dabei einen Verteidigerbonus hat, schien nicht Teil der russischen Planung.

Destroyed Russian armored vehicles stand idle on the outskirts of Kyiv, Ukraine, Thursday, March 31, 2022. (AP Photo/Rodrigo Abd)
Zerstörte russische Panzer vor Kiew. Die ersten Tage des Krieges avancierten zu einem Debakel für die russische Armee.Bild: keystone

Sind die russischen Einheiten nicht so flexibel und mobil unterwegs wie die ukrainischen?
Bei russischen Unteroffizieren herrscht ein Manko. Sowohl bei der Anzahl als auch bei deren Qualifikation. Denn die russische Armee ist immer noch gemäss sowjetischer Logik organisiert; in grossen Verbänden und von oben dirigiert. Zwischen Generälen und Soldaten klafft oft eine Lücke. Das hat auch mit der politischen Kultur in Russland zu tun, die sehr zentralisiert ist. Alles hängt von der Spitze ab, sonst traut sich kaum jemand, eigenmächtig Entscheidungen zu fällen. Dieses Muster zeigt sich auch in der Armee, was sich im laufenden Krieg als Nachteil erwiesen hat.

Zu den Waffenlieferungen: Deutschland steht wegen seines Zögerns in der Kritik. Weshalb tut es sich so schwer?
Die Gründe für das deutsche Zögern sind vielschichtig. Es ist eine heterogene Koalition am Ruder und seit dem Zweiten Weltkrieg gibt es in Deutschland einen Kriegswiderwillen. Die deutsche Armee ist notorisch und politisch gewollt schwach. Die deutsche Debatte ist oft stärker von Innenpolitik, dem politischen Erbe und dem Verhältnis zu Russland geprägt als von Abwägungen über konkrete Waffenlieferungen.

Andere europäische Länder handeln deutlich entschlossener ...
Ja, Polen und die baltischen Staaten etwa. Proportional zu ihrer eigenen Grösse und Stärke liefern sie sehr viel in die Ukraine. Sie empfinden die Bedrohung durch Russland als existenziell.

Birgt das unterschiedliche Verhalten der europäischen Länder auch Gefahren?
Es zeigt ein Europa, das ein Stück weit gespalten ist. Das ist nicht überraschend, aber natürlich besorgniserregend. Bei zukünftigen politischen Verhandlungen wäre es wichtig, wenn Europa mit einer Stimme sprechen würde. Spaltungen spielen Putin in die Hände und erlauben ihm ein Stück weit, auf Zeit zu spielen.

Die USA liefern sehr unkompliziert viele Waffen in die Ukraine. Wie erklären Sie sich das?
Das liegt unter anderem am Naturell der US-Aussen- und Sicherheitspolitik, die interventionsfreudiger ist. Man ist bereit, militärische Macht einzusetzen. Die Ablehnung gegenüber Russland ist zudem ein Thema, das den Parteiengraben ausnahmsweise überbrückt. So sind schnelle Mehrheiten möglich.

FILE - A 155mm round is fired from a 777 Howitzer canon at insurgents during a firing mission by soldiers with 2nd Platoon, Charlie Battery, 3rd Battalion, 321 Field Artillery Regiment out of Fort Bra ...
Eine M777-Haubitze der US-Armee: Mittlerweile sind über 100 Stück davon in der Ukraine im Einsatz. Bild: keystone

Kann die Ukraine auch in Zukunft auf die Unterstützung der USA zählen?
Es zeigen sich in den USA bereits erste Differenzen. Gerade die jüngere Generation und Exponenten der weniger international orientierten Republikanischen Partei beginnen sich zu fragen, weshalb die USA eine solche Bürde für einen Konflikt in Europa tragen sollen. Die Unterstützung und die Aufmerksamkeit für die Ukraine dürften laufend abnehmen. Auch darauf könnte Putin kalkulieren.

Apropos Waffenlieferungen: Die Schweiz hat diese Woche die Ausfuhr von dänischen Panzern untersagt. Führt das zu einem Image-Schaden?
Die 20 Piranha-Schützenpanzer sind kriegsmässig nicht matchentscheidend. Viel zentraler ist, dass die Schweiz bei den Sanktionen noch die Kurve gekriegt hat. Wäre die Schweiz dort abseits gestanden, hätte dies sicherlich zu einem Image-Schaden geführt. Die Herausforderungen bleiben aber bestehen: Es werden weitere Sanktionsrunden kommen, bei denen sich die Schweiz erneut überlegen muss, wie sie handeln will. Und die Schweiz muss ihre Sicherheits- und Verteidigungspolitik an neue Gegebenheiten anpassen.

«Kurzfristig können die Sanktionen auch kontraproduktiv sein. Sie sind ein zweischneidiges Schwert.»

Schwierig zu fassen bleibt die Wirksamkeit der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland. Wie wirkungsvoll sind sie wirklich?
Auf zwei Wegen sind sie wirkungsvoll.

Auf welchen?
Zum einen als Signal. So zeigt man, dass man den Völkerrechtsbruch verurteilt. Und zum anderen werden sie langfristig sicher ihre Wirkung entfalten. Die russische Rüstungsindustrie und Erdöl- und Gasförderung werden von wichtiger Technologie abgeschnitten. Der russische Staat wird ganz allgemein weniger finanzielle Mittel haben, was auch die militärische Schlagkraft schwächen wird. Aber eben erst längerfristig. Die Idee, dass der Westen den Geldhahn zudrehen und damit die Kriegsmaschinerie abklemmen kann, ist verkürzt. Kurzfristig können die Sanktionen auch kontraproduktiv sein. Sie sind ein zweischneidiges Schwert.

Weshalb?
Die Sanktionen treffen auch die Bevölkerung in Russland. Dafür wird weniger Putin verantwortlich gemacht als der Westen, der Russland gegenüber feindlich gestimmt sei. Das kann das Zusammengehörigkeitsgefühl und vielleicht sogar die Zustimmung zum Krieg stärken. Es lähmt aber auch viele Russen, die sich politisch machtlos fühlen.

Die Sanktionen bekommen nicht nur die Russen zu spüren, sondern auch die Menschen im Westen. Stichwort Benzinpreis.
Es ist trotzdem wichtig, die Sanktionen zu ergreifen. Dass der Westen Schaden in Kauf nehmen würde, um ein wertebasiertes System in der internationalen Ordnung aufrechtzuerhalten, war nicht Teil von Putins Weltbild. Er dachte, wir seien dekadent, würden unseren Luxus lieben und wären niemals bereit, etwas zu unternehmen, das uns selber schmerzt. Schon gar nicht für die Ukraine. Diese Bereitschaft des Westens hat Putin sicher überrascht und schmerzhaft getroffen.

Im Internet kursieren viele hochaufgelöste Drohnenbilder vom Krieg. Allerdings spielen auch Schützengräben, Artillerie und Panzer eine Rolle. Wird jetzt weitestgehend wie im Zweiten Weltkrieg gekämpft oder hat sich die Kriegsführung komplett verändert?
Es gibt eine Mischung von alten und neuen Elementen. Der Krieg hat etwas sehr Archaisches und gleicht in Teilen den Schlachten des Zweiten Weltkrieges – Panzer, Artilleriefeuer und grosse Truppenbewegungen. Russland legt damit ganze Städte in Schutt und Asche. Auf der anderen Seite gibt es die modernen, auch asymmetrischen Elemente.

epa09991176 (FILE) - People carry bags at a playground of a damaged apartment block in Horenka village, Ukraine, 22 April 2022 (reissued 03 June 2022). 04 June 2022 marks 100 days since on 24 February ...
Ein Mann in einem völlig zerstörten Quartier in Horenka: Die russischen Streitkräfte legen ganze Städte in Schutt und Asche.Bild: keystone

Können Sie das ausführen?
Natürlich setzten die Russen auch moderne Lenkwaffen ein, die überall in der Ukraine Ziele getroffen haben. Doch sie sind auch auf breiter Front mit mechanisierten Verbänden ins Land eingedrungen und haben nicht einmal die Lufthoheit zu erringen versucht. Die Ukrainer konnten in kleinen Einheiten mit den sehr modernen Lenkwaffen Gegenwehr leisten, auch mit Drohnen. Die Überwachungsflüge, die vor allem die USA in der Region durchführen, vermitteln der Ukraine ein ziemlich genaues Bild davon, wer wo kämpft. Der Nebel des Krieges hat sich durch die moderne Technologie etwas gelichtet.

Wie wichtig ist die Cyber-Kriegsführung?
Sie spielt bisher eher eine hintergründige Rolle. Meine Kolleginnen und Kollegen am Center for Security Studies, die zu Cybersicherheit und -krieg forschen, meinen, dass die Cyber-Kriegsführung in der Vergangenheit gerne etwas überschätzt wurde. Viele Menschen dachten, man könne einfach in ein System eindringen und ganze Infrastrukturen lahmlegen. So kennen wir das aus Hollywood-Filmen. So einfach ist das aber nicht. Hinzu kommt, dass sich Russland vielleicht gar nicht auf einen Cyber-Krieg vorbereitet hat, da man an einen schnellen Sieg glaubte.

Im Westen gibt es Stimmen, die meinen, die Ukraine müsse Gebiete abtreten. Was halten Sie davon?
Es ist problematisch, wenn man der Ukraine vorschreibt, schmerzliche Kompromisse zu schliessen, oder, im Gegenteil, bis zu einem vollumfänglichen Sieg kämpfen zu müssen. Es geht um ihr Land, um ihr Gebiet. Ukrainerinnen und Ukrainer tragen die Last dieses Krieges und werden pragmatisch abwägen müssen, wann sie welche Kompromisse eingehen können. Für mich stellt sich aber ein Problem, wenn man Russland Gebiete abtreten würde.

Das wäre?
Sagen wir, morgen würde ein Frieden gemäss den Grenzen der aktuellen Front geschlossen werden. Das wäre kein nachhaltiger Frieden. Gebietsabtretungen an Russland wären vielleicht temporär stabilisierend. Längerfristig öffnen sie aber Tür und Tor für weitere russische Ambitionen und Interventionen, wie wir ja seit 2014 – der Besetzung der Krim und des Donbas – gesehen haben. Russland würde sich zudem in seiner Erpressung und Kriegsführung bestärkt fühlen. Und: Wie viel Territorium der Ukraine Russland genau direkt kontrolliert, ist gar nicht die massgebliche Frage. Es geht allen Beteiligten um weit mehr als die Ukraine.

Wie müsste demnach eine Lösung aussehen, die langfristig für Stabilität sorgen kann?
Es braucht ein Abkommen, das über die Ukraine und Russland hinausgeht. Es wird die europäische Ordnung betreffen. Um irgendetwas Nachhaltiges zu schaffen, wird es Garantiemächte für die Ukraine brauchen, die USA und viele andere Länder. Strategische Stabilität, Rüstungskontrolle und Transparenz über Waffensysteme, Stationierungen und Einsatzdoktrin müssen gestärkt werden, vor allem zwischen Russland und dem Westen. Das erfordert, mühselig ein Mindestmass an Vertrauen zu erarbeiten. Ansonsten wäre einzig ein Waffenstillstand vorzuweisen – und Waffenstillstände ohne Lösungen für breitere politische Probleme werden meistens irgendwann gebrochen.

Eine schwierige Aufgabe ...
Definitiv. Zumal Putin momentan gar nicht verhandeln will. Er glaubt an die Eroberung des Donbas und ist deshalb nicht bereit, Kompromisse zu schliessen. Im Moment will er kämpfen. Aber irgendwann werden wieder alle an einen Tisch kommen. Im April, bei den Verhandlungen in der Türkei, ist man einem Kompromiss übrigens schon relativ nahegekommen.

Wie sah dieser aus?
Es war von einem Neutralitätsstatus der Ukraine und Sicherheitsgarantien die Rede. Einem EU-Beitritt hätte Russland offenbar sogar zugestimmt. Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine war vom Tisch und Entscheidungen zum Status der Krim und des Donbas wollte man vertagen.

Es gibt Stimmen, die es sogar für möglich halten, dass die Ukrainer den Krieg gewinnen und die Russen komplett vertreiben können. Halten Sie das für realistisch?
Dieser Tenor ist momentan recht stark, trotz ukrainischen Rückschlägen in den letzten Wochen ...

Sogar Nato-Chef Jens Stoltenberg äusserte sich dahingehend ...
Ja, genau. Aber mir fällt es schwer, zu glauben, dass die Ukraine die Grenzen von vor dem Krieg militärisch wiederherstellen kann.

«Putin kalkuliert damit, dass wir uns auf Dauer politisch nicht einig sind.»

Wie schätzen Sie das Potenzial der Russen ein? Können sie noch viel Gelände gewinnen?
Der Donbas liegt vielleicht noch drin, dank enormer Feuerkraft. Gleichzeitig werden aber die Ukrainer lokal erfolgreiche Gegenstösse durchführen können. Die Verluste auf beiden Seiten dürften beträchtlich sein. Keine Seite dürfte den massiven, entscheidenden militärischen Sieg erringen können, auf den sie hoffen.

In Russland hofft man darauf, dass es Risse in der westlichen Allianz gibt. Spätestens im Herbst werde der Westen angekrochen kommen, da man für die kalte Jahreszeit Gas und Öl zum Heizen brauche, sagte ein Kreml-Beamter der Zeitung Meduza. Wie ordnen Sie das ein?
Dieses Thema wird akut werden und Europa vor einen Härtetest stellen. Einkommensschwache Haushalte und ärmere Länder schmerzen die hohen Preise schon jetzt – von Entwicklungsländern, die mit hohen Energie- und Lebensmittelpreisen konfrontiert sind, ganz zu schweigen. Putin kalkuliert damit, dass wir uns auf Dauer politisch nicht einig sind und uns unser eigenes Wohlbefinden am wichtigsten ist. In diesem Sinne spielt die Zeit für Putin. Die westliche Einigkeit, die am Anfang bestanden hat, hat sehr klare Risse bekommen.

Russland wird aus dem Konflikt militärisch geschwächt herausgehen. Ist das ein gutes Signal für die Sicherheit Europas?
Es hat sich erwiesen, dass russische Panzer so schnell nicht in andere Länder einfallen können. Das ist sicher gut für die Sicherheit Europas. Aber ein geschwächtes Russland kann auch noch unberechenbarer werden, als es jetzt schon ist, und verfügt nach wie vor über Fern- und Atomwaffen. Solange das putinsche System bestehen bleibt, können wir nicht beruhigt sein.

«Ich kann mir kaum vorstellen, dass es in den nächsten Jahren Gipfel geben wird, bei denen sich westliche Staatsführer mit Putin an einen Tisch setzen werden.»

Russland und Europa hätten eigentlich viele gemeinsame Interessen. Die Bekämpfung internationaler Kriminalität und der Kampf gegen den Klimawandel etwa. Ist da eine Zusammenarbeit noch realistisch?
Für die akuten Probleme der Menschheit braucht es multilaterale Lösungen. Russland kann wegen seiner schieren Grösse nicht ignoriert werden. Entsprechend können wir Russland nicht vollständig isolieren, sondern müssen einen pragmatischen Umgang mit diesem Land finden, ohne dabei dessen System zu unterstützen. Das ist eine delikate Balance, die uns ja auch bezüglich anderer autokratischer Länder herausfordert, beispielsweise China. Für gemeinsame Lösungen mit Russland wird es wirklich schwierig. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es in den nächsten Jahren Gipfel geben wird, bei denen sich westliche Staatsführer mit Putin an einen Tisch setzen werden. Das macht mir Sorgen.

Im russischen TV haben sich die Moderatoren kürzlich darüber gefreut, dass der Westen Russland wieder als Bedrohung wahrnimmt. Gehört Russland wieder zu den ganz grossen Playern auf dem Planeten?
Da muss man zuerst einmal definieren, was eine Grossmacht ausmacht.

Nur zu.
Für Putin wird eine Grossmacht als stark wahrgenommen, sie hat Einfluss, wird vielleicht sogar gefürchtet und darf sich auch mal über Regeln hinwegsetzen.

Gefürchtet wird Russland aktuell durchaus ...
Wenn Putin von einer nuklearen Waffe spricht, sind am nächsten Tag die Schlagzeilen bei uns von Panik erfüllt. Das gibt der Putin-Regierung ein Machtgefühl. Aber die Drohungen sind das Letzte, was Russland bleibt. Denn Anziehungskraft und wirtschaftliche Stärke hat das Land nicht. Innovation und Dynamik werden auch nicht zugelassen – deshalb verlassen viele Russinnen und Russen das Land. Das Erpressungs-Potenzial durch Energie und Nuklearwaffen ist die letzte wirkliche Quelle der Macht, die Russland noch hat. Mit seinen Drohungen offenbart das Regime in Russland also auch seine Schwäche.

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53 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kommissar Rizzo
03.06.2022 07:47registriert Mai 2021
*Innovation und Dynamik werden auch nicht zugelassen* Genau, das ist das Problem Russlands. Und zwar nicht nur auf wirtschaftlicher sondern auch auf soziologischer, kultureller und politischer Ebene. Irgendwie gefangen im "zaristischen Gedankengut" zwischen Ehrgefühl, Pathos und Fatalismus. Schade!
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mrmikech
03.06.2022 07:51registriert Juni 2016
Die Energiewende wird eine der einflussreichsten Veränderungen der Menschheitsgeschichte sein. Es wird den Lauf der Geschichte zugunsten derer verändern, die mit ihm gehen. Europa muss viel darin investieren, weil es uns nicht nur unabhängig machen wird, sondern auch unsere beste Waffe sein wird, um Russland in Schach zu halten. Und es wird dabei einen immensen materiellen und immateriellen Reichtum zur Verfügung stellen.
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Firefly
03.06.2022 11:15registriert April 2016
"Russland und Europa hätten eigentlich viele gemeinsamen Interessen. Die Bekämpfung internationaler Kriminalität"

Ich glaube kaum, dass ein Mafiastaat wie Russland Interesse hat an der Bekämpfung internationaler Kriminalität
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