Morgen geht sie los. Die Expedition, auf die sich Ernst Bromeis in den letzten Monaten gewissenhaft vorbereitet hat. 800 Kilometer durch den Baikalsee in Russland. «Das Wort Expedition war wohl noch bei keinem meiner bisherigen Projekte zutreffender», sagte er kürzlich dem «Bündner Tagblatt».
Der gelernte Primarschul- und Sportlehrer Bromeis ist 51 Jahre alt und seit dem Jahr 2007 hauptberuflich «Wasserbotschafter». Mit verschiedenen Projekten setzt er sich schwimmend für die kostbare Ressource ein. So hat etwa jeder vierte Mensch keinen sicheren Zugang zu sauberem Wasser.
Um darauf aufmerksam zu machen, ist der Baikalsee prädestiniert: Im über 1600 Meter tiefen Gewässer befindet sich rund ein Fünftel der Süsswasserreserven der Erde. Es enthält fast 500 Mal so viel Wasser wie der Bodensee.
«Die Einheimischen sagen, den See der Länge nach zu durchschwimmen, sei nicht möglich», weiss Bromeis nach einem Besuch der Gegend im Herbst. Der Baikalsee gelte den Menschen dort als «heiliges Meer», als «Quelle der Welt». Ein Fischer habe ihn gefragt, ob der See für ihn eine Seele habe, erzählt Bromeis. «Das hat mich in der Schweiz noch nie jemand gefragt. Es gibt keinen symbolträchtigeren Ort als dieses Welt-Wasser-Wunder, um die globale Kampagne zu starten.»
Zwei Monate lang gibt er sich Zeit für die 800 Kilometer lange Strecke von Süden nach Norden. Der Engadiner aus dem kleinen Dorf Ardez plant, jeden Tag für fünf bis sechs Stunden im Wasser zu sein. «Aber nicht alles ist planbar. Es ist eine Expedition und auch ein Abenteuer.» Als «Mount Everest der Schwimmer» hat er sein Unterfangen auch schon bezeichnet.
Darauf vorbereitet hat sich der Extremschwimmer im Walensee, bei Wassertemperaturen von unter 10 Grad. Viel wärmer ist es im Baikalsee auch im Sommer nicht. Bromeis musste sich im Training überwinden – so wie er das auch nun in Sibirien machen muss. Körperlich, ist er überzeugt, hat er es drauf. Entscheidend wird sein, dass auch der Kopf mitmacht. Und dass er den Energieverlust kompensieren kann. Bromeis rechnet damit, zwischen acht und zehn Kilogramm zu verlieren.
Ums Vergnügen geht es ihm nicht. «In kaltem Wasser schwimmen, das ist halt einfach nicht schön», sagte er bei einem früheren Projekt der NZZ. Er missioniert, will die Leute dazu sensibilisieren, sich mit dem Thema Wasser auseinander zu setzen, dass sie es sparen, dass sie es weniger verschmutzen. Seine Rolle vergleicht er mit der eines Tropfens: «Die Summe der Bestrebungen in eine ähnliche Richtung, aus diesen Tropfen gibt es einen Bach, einen Fluss und am Schluss einen Strom.»
Ernst Bromeis wird im Baikalsee nicht von einem Boot begleitet. Er zieht schwimmend etwa zehn Kilogramm Gepäck hinter sich her: Zelt, Kleider, Nahrung. Das ist nötig, weil ihm seine Begleiter an Land wegen der Abgeschiedenheit nicht überall hin folgen können. Es gibt dort schlicht keine Strassen zum See. Er ist ganz auf sich alleine angewiesen, wenn er an Land sein Nachtlager aufschlägt, wo Bären und Wölfe umherstreifen.
«Es macht mir auch Angst», sagt Ernst Bromeis. Vier, fünf Tage lang am Stück wird er auf sich alleine gestellt sein. Er würde lügen, wenn er sagen würde, dass dies nicht auch einen Teil des Reizes ausmache, gibt er zu. Geplant ist, dass der Bündner morgen Donnerstag in Kultuk an der Südspitze des Baikalsees ins Wasser springt. «Was dann kommt, weiss niemand.»