Grönlandwale werden bis zu 200 Jahre alt – jetzt haben Forscher ihr Geheimnis geknackt
Es waren die Iñupiat, indigene Küstenbewohner Alaskas, die erstmals festgestellt hatten, dass Grönlandwale mindestens zwei Menschenleben lang leben müssen. Denn mehrere Generationen ihrer Waljäger sollen offenbar dem ein und demselben Grönlandwal begegnet sein. Tatsächlich hat die Wissenschaft später bestätigt: Die Riesentiere, die über 80 Tonnen wiegen können, werden mehr als 200 Jahre alt. Das ist länger als jedes andere bekannte Säugetier.
Hinzu kommt: Der Grönlandwal erkrankt praktisch nicht an Krebs, obwohl sein Körper aus rund tausendmal mehr Zellen besteht als der menschliche – Zellen, die sich theoretisch unkontrolliert teilen und zu Tumoren führen könnten. Der Wal muss also über aussergewöhnlich wirksame genetische Schutzmechanismen gegen Krebs verfügen. Doch bislang wusste die Forschung nur wenig über die biologischen Grundlagen dieses Phänomens.
Nun berichtet ein US-Forschungsteam um die Biologin Vera Gorbunova sowie die Altersforscher Jan Vijg und Andrei Seluanov im Fachmagazin «Nature», dass der Grönlandwal offenbar besonders gut darin ist, Schäden im Erbgut zu reparieren.
Gegensätzliche Wirkung
In Zellversuchen fanden die Forschenden heraus, dass ein zentrales Element dieser Schutzstrategie das Eiweiss namens CIRBP ist. Es kommt in den Zellen des Wals in grossen Mengen vor und hilft dabei, Doppelstrangbrüche in der DNA zu beheben und chromosomale Schäden zu verhindern. Wie genau CIRBP das schafft, ist noch nicht vollständig geklärt. Vermutet wird, dass es Reparaturwerkzeuge an die beschädigte Stelle im Erbgut bringt und diese stabilisiert.
Um zu prüfen, ob sich das Walprotein CIRBP auch beim Menschen zur Krebsprävention eignen könnte, schleusten die Forschenden es in menschliche Fibroblasten, also Bindegewebszellen, ein. Diese wurden anschliessend mit Strahlung und Chemikalien behandelt, um DNA-Schäden auszulösen. Das Ergebnis: Mit CIRBP blieb die DNA stabiler, Mutationen traten seltener auf, und wenn Schäden entstanden, wurden sie zuverlässiger repariert.
Solche Erkenntnisse könnten, so hoffen die Forschenden, künftig helfen, Therapien zu entwickeln, die das Krebsrisiko senken. Insbesondere bei älteren Menschen oder solchen mit genetischer Vorbelastung.
Allerdings ist Vorsicht geboten: Während CIRBP das Tumorwachstum in menschlichem Gebärmutter- oder Eierstockkrebs wohl tatsächlich bremst, fördert er dasjenige bei manchen Krebsarten wie Brust- oder Bauchspeicheldrüsenkrebs eher. Diese Gegensätzlichkeit deutet darauf hin, dass die Wirkung von CIRBP stark vom biologischen Kontext abhängt – und unterstreicht, wie wichtig es ist, die genauen Mechanismen zuerst zu verstehen, bevor an eine therapeutische Anwendung zu denken ist. (aargauerzeitung.ch)
