Im Schatten des Krieges: Putin und Xi nehmen Lateinamerika ins Visier

Putin und Xi nehmen Südamerika ins Visier
Wladimir Putin und Xi Jinping versuchen ihren Einfluss in Lateinamerika auszubauen.Bild: watson

Im Schatten des Ukraine-Krieges: Wie Putin und Xi Lateinamerika ins Visier nehmen

Russland verstärkt seinen Einfluss auf Lateinamerika. Das gilt auch für China. Beide Länder dringen heimlich in politische Pufferräume in Brasilien, Mexiko, Argentinien oder auch der Karibik vor.
10.10.2023, 09:2210.10.2023, 18:15
Sven Papaux / watson.ch/fr

Lateinamerika gerät mehr und mehr in den Fokus von Wladimir Putin. Die französische Zeitung «L'Express» enthüllte kürzlich, dass in den vom Verteidigungsministerium in Brasilia verteilten Militärzeitschriften Alexander Dugin, Propagandist des Kremlherrn, regelmässig zur Feder greifen darf. Er macht dabei Stimmung gegen Europa und die Vereinigten Staaten und schreibt, dass es zur Wiederherstellung der Weltordnung leider notwendig sei, Krieg zu führen.

Diese Intervention steht im Einklang mit der russischen Politik, die in jene Lateinamerikas (und in die Köpfe der Bürger) eindringen möchte. Das ist nicht neu, russische Manöver in der amerikanischen Nachbarschaft gibt es seit langem.

Der russische Experte für nationale Sicherheit Stephen Blank schrieb 2008:

«Moskaus Politik in Lateinamerika ist das Ergebnis eines alten Wunsches: den Status Russlands als grosse Weltmacht und Förderer einer multipolaren Welt zu etablieren.»

Blank zufolge offenbarte sich darin vor allem eine geopolitische Taktik, um den Vereinigten Staaten entgegenzuwirken. Zum Leidwesen für Putin hat die Wirtschaftskrise von 2008 die russischen Pläne in diesem Teil der Welt deutlich geschwächt.

Weshalb Putin von den lateinamerikanischen Rechten fasziniert ist

Heute, im Jahr 2023, ist Putin fasziniert von den lateinamerikanischen Ultrarechten – und er findet in ihnen Verbündete. Das zeigen die massiven Ressourcen, die Moskau in die spanischsprachigen Medien RT und Sputnik investiert.

Die russische Präsenz ist dabei nicht nur in Brasilien sichtbar. In Mexiko beispielsweise kam es zu einem Skandal, als 14 «Putin-Soldaten» während der nationalen Militärparade zum Unabhängigkeitstag auftraten.

Und die besagte Parade sorgt für noch mehr Fragezeichen: In diesem Jahr durften 18 Länder Soldaten dorthin schicken, darunter auch China. Die ukrainische Botschafterin hingegen erhielt keine Einladungskarte. Eine vielsagende Geschichte, die zeigt, dass Lateinamerika bereitwillig in die Fussstapfen des Zaren tritt – oder aber seinen Zorn fürchtet.

Mexikos Position ist dabei ziemlich zweideutig, da das Land im Jahr 2022 die russische Invasion verurteilt hat. Zwei Monate später wurde Mexiko wie Brasilien bei der Abstimmung über die Suspendierung Russlands in der UN-Menschenrechtskommission genau beäugt. Beide Länder enthielten sich.

Eine mexikanisch-russische Freundschaft, die im Tourismus spürbar ist, unterstreicht ein anderer Bericht von «L'Express». Immer mehr Russen halten sich in Cancún oder an anderen Touristenorten auf, um der Kühle Moskaus zu entfliehen.

Mexiko: Ziel russischer Spione und Propaganda in sozialen Netzwerken

Russische Touristen strömen also in Scharen nach Mittelamerika. Der Trend wird auch in mexikanischen sozialen Netzwerken widergespiegelt. Russischsprachige Influencer bespielen den Newsfeed der User und verbreiten neben schönen Strandbildern auch unentwegt politische – häufig anti-westliche – Statements in perfektem Spanisch.

Das ist auch in den Botschaften in Mexiko zu spüren. Eine Anmerkung von« L'Express»:

«Mexiko hat 36 neue russische Diplomaten zusätzlich zu den 49 bereits amtierenden akkreditiert.»

Die französischen Medien erinnern zudem daran, dass die russische Botschaft in Mexiko mit 85 Diplomaten die am besten ausgestattete der Welt sei.

Die Pläne in Lateinamerika beschränken sich jedoch nicht nur auf Brasilien und Mexiko. Auch Kuba steht wieder im Fadenkreuz Putins.

Das Bündnis zwischen den beiden Ländern ist nicht neu, es geht auf das Jahr 1960 zurück. Im vergangenen Juni bekräftigte Verteidigungsminister Sergei Schoigu, dass Kuba Russlands «wichtigster Verbündeter» in der Karibik sei.

Nur dass ein kleines Sandkorn die diplomatische Maschinerie zum Erliegen brachte: Kuba verkündete, dass es den Menschenhandel unterbunden habe. Die kubanische Regierung erklärte Anfang September, sie habe ein russisches Schleppernetzwerk identifiziert, dessen Ziel es sei, Kubaner für «militärische Operationen in der Ukraine» zu rekrutieren.

Kuba verlor gleichzeitig aber keine Zeit, sofort jegliche Beteiligung an der Rekrutierung junger Menschen an der ukrainischen Front abzustreiten. Doch seltsamerweise verlangte das Land von Russland keine Stellungnahme oder Rechenschaft für die Vorwürfe.

Lateinamerika sieht also den dunklen Schatten Russlands auf sich zukommen und nur wenige Länder stellen sich gegen das Gespenst Moskau. Chile und Uruguay verurteilten die russische Invasion, die einzigen auf der langen Liste: Die anderen ziehen es vor, Putins Vorgehen diskret zu beurteilen, klare Stellungnahmen zu vermeiden und gleichzeitig mit einem Verbündeten Russlands zusammenzuarbeiten: China.

China folgt Russlands Beispiel

Für Xi Jinpings Land arbeitet hinter den Kulissen mit Cai Wei (52) ein erfahrener Diplomat. Cai ist Pekings Sprecher, ein diskreter Beamter, über den das politische Magazin Americas Quarterly ein faszinierendes Porträt verfasst hat.

Denn der als Generaldirektor des chinesischen Aussenministeriums für Lateinamerika und die Karibik vorgestellte Abgesandte weiss bestens, wie man Einfluss gewinnt. Dies zeigte er im Juli 2022 bei einem offiziellen Besuch in Buenos Aires. Ein argentinischer Beamter dankte Cai Wei in der Folge ausführlich. Seitdem sind die Beziehungen zwischen Argentinien und China, wie Americas Quarterly betont, äusserst solide.

Als Zeichen des herzlichen Verständnisses stimmte Argentinien im April zu, monatlich 790 Millionen US-Dollar für chinesische Importe in Yuan statt in US-Dollar zu zahlen. Dann, im Juni, kündigte die Zentralbank des Landes an, dass Einzelpersonen Konten in Yuan eröffnen könnten. Für die USA eine Ohrfeige und eine bittere Pille.

Es gibt also Manöver, die Chinas Wunsch unterstützen, sich in dieser Weltregion zu etablieren. Und es ist trotz der Diskretion offensichtlich, dass China nach der Pandemie in ganz Lateinamerika und der Karibik seinen Einfluss verstärken möchte. Getragen von der geschickten Untergrabungsarbeit von Cai Wei. Nebst dem Abschluss bilateraler Abkommen ist Lateinamerika eine weitere Option für China, die Versorgung mit natürlichen Rohstoffen auszubauen.

Was es in Lateinamerika zu holen gibt

Über Schattenmann Cai Wei versucht China auch mit lokalen Partnern wie Mexiko zusammenzuarbeiten, «um seine Lithium-Lieferketten gleichermassen vor- und nachgelagert aufzubauen», wie Mitch Hayes, Gründer von The China Signal, in einem Newsletter über die Beziehungen zwischen China und Lateinamerika, schreibt. Auch Argentinien war, wie Americas Quarterly berichtet, sehr daran interessiert, seine lokale Industrie so zu entwickeln, dass sie nicht länger nur Lebensmittelexporteure sind, sondern gerade China auch mit anderen Rohstoffen versorgen können.

Auch im Parlament sind die diplomatischen Fortschritte Chinas sichtbar. Während der Amtszeit von Cai Wei flirtete China mit Politikern über die Taiwan-Frage. Nicaragua brach im Dezember 2021 die Beziehungen zu Taiwan ab – es erhielt Tage später eine Million chinesischer Impfstoffe – und Honduras folgte im März diesem Beispiel. Peru hat sich auch mit China zusammengetan, wobei Lima das Tor für den Export von Mineralien ist und weiterhin der zweitgrösste Produzent der Welt ist. Peking nutzt dies aus und verschlingt mindestens 67 Prozent der Produktion, wie aus einer Untersuchung der New York Times hervorgeht.

China wendet sich nun zudem kleineren Staaten zu. Diese Taktik ist voller Bosheit. Peking versprach beispielsweise Guyana und Suriname, in die Agrarproduktion zu investieren, um die Ernährungssicherheit in der Region zu verbessern. Die Methode ist gut etabliert, wie Mitch Hayes beschreibt, denn in kleinen Volkswirtschaften können Initiativen dieser Art bei entscheidenden Themen wie der Beziehung zu Taiwan leicht einen öffentlichen Meinungsumschwung herbeiführen.

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34 Kommentare
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YvesM
10.10.2023 10:48registriert Januar 2016
Die Bedrohung durch Russlands und Chinas asymetrischen Krieg wird vei uns nach wie vor nicht ernst genommen. Die Westlichen Demokratien wurden und werden einem langjährigen Stresstest unterzogen. Flüchtlingsströme, lokale Kriege, Cyber-Attacken, Fake-News, Wahlbeeinflussung… Wir können nur hoffen, dass unsere Demokratien resilient genug sind.
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Garp
10.10.2023 12:32registriert August 2018
Das tun sie schon länger in diversen Ländern und alle schlafen.
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Chris_A
10.10.2023 14:54registriert Mai 2021
Barak Obama und Raul Castro haben ja eine schrittweise Annäherung der USA an Kuba angestossen. Dann wurde Trump Präsident und hat das in seiner Einfältigkeit gleich wieder zerschlagen. So kommt es halt wenn immer wieder so dümmliche Leute wie Trump das Sagen gaben.
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